Mein Lieblingsspiel – Sunset Overdrive Spezial
Geschrieben von David Pettau am 20.11.2016
Müsste man Sunset Overdrive mit einem Wort beschreiben, dann wäre es “Flow“. Das Spiel glänzt mit einem grandiosen Bewegungssystem, das etwa kleinere Macken, die in Sunset Overdrive sicherlich nicht komplett ausbleiben, sehr gerne verzeihen lässt und das Spiel zu einem kleinen Meisterwerk und absoluten Geheimtipp macht. Leider bekam es nie die Aufmerksamkeit, die es eigentlich verdient, was wohl damit zusammenhängt, dass es Ende 2014 exklusiv für die Xbox One erschien. Da der Titel des Spiels sicherlich auch hier lediglich auf viele fragende Gesichter stößt, will ich euch das wohl abgedrehteste Spiel der letzten Jahre ein wenig vorstellen.
Hier befinden wir uns gerade im Undergrind. Unter uns sammeln sich dabei einige OD – der Overcharge-Lieferwagen in der Ferne könnte der Grund sein.
Zunächst einmal ist Sunset Overdrive genau genommen ein Third-Person-Shooter. Diesen Umstand nutzte das Spiel aber schon, um sich in einem frühen Trailer über andere Vertreter dieses Genres lustig zu machen – Stationäres Geballere aus einer Deckung heraus? Nicht in Sunset Overdrive! Während eines Großteils der Spielzeit bewegt ihr euch mittels diverser, cooler Moves durch die offene Spielwelt, Sunset City – den Kern stellen dabei das “Grinden“ und “Bouncen“ dar. Beim Grinden “schlittert“ eure Spielfigur über alle möglichen Kanten in der Spielwelt – beispielsweise Geländer, Kanten von Häusern oder herumhängende Stromkabel. Dabei unterscheidet man noch zwischen dem normalen und dem “Undergrind“ – dabei hängt sich eure Spielfigur wiederum von unten an eine Kante. Sofern ein Undergrind möglich ist, könnt ihr jederzeit fließend zwischen beiden Grinds wechseln. Das Bouncen ist ein wenig simpler – immer, wenn ihr aus der Luft auf einem von vielen verschiedenen Objekten der Spielwelt landet, schleudert euch dieses Objekt wie ein Trampolin zurück in die Höhe. Das klappt beispielsweise mit Autos, Sonnenschirmen, Büschen und wohl mit so ziemlich allem anderen, abgesehen von Stein. Während euch zu Beginn des Spiels fast nur diese beiden Moves zur stilechten Fortbewegung offenstehen, versteht es Sunset Overdrive sehr gut, während der ersten Spielstunden nach und nach neue Bewegungsmöglichkeiten oder erweiterte Formen der schon bekannten Moves einzuführen. So gewöhnt ihr euch nach und nach an das volle Spektrum an Bewegungsmöglichkeiten, die euch Sunset Overdrive zur Verfügung stellt – und die Spielwelt weiß dieses volle Spektrum dabei auch voll auszunutzen.
Während des ganzen Spiels nimmt sich Sunset Overdrive dabei zu keiner Zeit ernst und strotzt nur so vor Gags oder Anspielungen auf andere Spiele/Filme. Unglaublich abgedreht ist dabei schon die etwas anderen Art der “Zombie-Apokalypsen-Story“ des Spiels: Die in Sunset City ansässige Firma “Fizzco“ feiert die Veröffentlichung eines neuen Energy Drinks – Overcharge. Blöd: Trinkt man von diesem Energy Drink, dann mutiert man in eine Art Monster. Jede Menge Chaos, Sunset City verwandelt sich über Nacht in ein Schlachtfeld und euer Charakter rettet sich gerade noch rechtzeitig nach Hause. Als dann, mehrere Tage später, sein Kühlschrank vollkommen leer ist, kann er diesen Zustand natürlich nicht länger hinnehmen – die Geburtsstunde eines Helden!
Ein Held ist aber natürlich noch lange kein Held, wenn er nicht auch mit den coolsten und abgefahrensten Waffen herumballert. Spätestens hier macht sich das von “Ratchet & Clank“ bekannte Entwicklerteam, Insomniac Games, deutlich bemerkbar. Die Waffenauswahl in diesem Spiel ist absurd wie abwechslungsreich. Ihr ballert nicht etwa mit Sturmgewehren, Maschinenpistolen und Schrotflinten, wie man das aus jedem Third-Person-Shooter kennt, sondern stattdessen mit Schießeisen wie der Haarspraybombe, die jeweils vier Haarspray-Dosen verschießt, dem TNTeddy, einer Waffe, die explosive Teddybären verschießt, oder meinem persönlichen Favoriten: dem Säurespritzer. Dieser verschießt keine Säure, nein, er verschießt Sprinkleranlagen, die anschließend Säure um sich spritzen! Das hat natürlich eine flächendeckende Wirkung zur Folge, wie sie bei den meisten Waffen zum Einsatz kommt – denn Gegner bekämpft ihr meist nur in riesigen Massen.
Dabei schießt ihr grundlegend auf drei Oberkategorien von Gegnern, die jeweils nochmal einige Unterkategorien aufweisen. Zunächst einmal wären da natürlich die Mutanten, die in dem Spiel “OD“ genannt werden (Overcharge Drinker). Diese findet ihr nicht selten in riesigen Massen vor und es gibt sie in zahlreichen verschiedenen Ausführungen. Die Standard-Mutanten stellen dabei keinerlei Gefahr für euch dar, aber beispielsweise die sogenannten “Popper“, die gerne einmal in einer Fontäne aus Overcharge explodieren, sind schon gefährlicher. Menschliche Gegner gibt es natürlich auch, diese kommen aber nur sehr selten vor, weshalb die sogenannten “Scaps“ auch die kleinste Vielfalt bieten, was verschiedene Gegnertypen angeht. Am gefährlichsten sind euch wohl die Fizzco-Roboter, die meist mit Laserwaffen Jagd auf euch machen.
Nun hängt es natürlich stark von eurer Spielweise ab, wie gefährlich euch die finsteren Gesellen werden können. Wer Sunset Overdrive spielt wie jeden anderen Genrevertreter, der wird sehr oft ins Gras beißen. Für den Tod werdet ihr dabei übrigens nicht bestraft, sondern vielmehr mit einer von zahlreichen coolen und witzigen Respawn-Animationen belohnt – beispielsweise gleitet ihr von einem Ufo herab. Doch zurück zum Thema – der Clou in Sunset Overdrive ist es, mithilfe der euch zur Verfügung stehenden Moves immer in Bewegung zu bleiben, während ihr eure Gegner aufs Korn nehmt. Dabei kommt ein motivierendes Kombo-System zum Einsatz: Für jeden Gegner, den ihr besiegt und jedes neue Bewegungsmanöver wie Grinden oder Bouncen, das ihr ausführt, geht der Zähler nach oben. Berührt ihr allerdings den Boden, fangt ihr wieder bei null an – ganz nach dem Motto: “Der Boden ist Lava“! Kombos füllen dabei euren sogenannten Style-Balken – in mehreren Stufen entfesselt ihr mit diesem Balken besondere, zusätzliche Fähigkeiten, die für ordentlich Chaos auf dem Bildschirm sorgen. Beispielsweise regnet es geradezu Blitze, euer Grind entfesselt einen Flammensturm oder jedes Mal, wenn ihr bounct, wird eine gewaltige Explosion freigesetzt. Egal, ob in Kämpfen oder nur dann, wenn ihr euch durch die Spielwelt bewegt: Ständig werdet ihr versuchen, eure Kombo aufrecht zu erhalten, was für den besagten Flow sorgt. Besonders lobend erwähnen muss man dabei die Animationen eures Charakters, die natürlicher und cooler nicht sein könnten (auch, wenn ihr meistens keine Zeit habt, darauf zu achten).
Beim Grinden werden wir unglaublich schnell – zwar gibt es auch eine Schnellreisefunktion, doch nutzt man diese eigentlich nie.
Dank dieses meisterhaften Spielprinzips vergisst man während einer rasanten Spielesession schnell, wie standardmäßig die Struktur des Spiels eigentlich ist. Wie wohl in jedem Open-World-Spiel gibt es Haupt- und Nebenmissionen, die ihr nacheinander abarbeiten könnt. Das Missionsdesign ist dabei allerdings sehr unterschiedlicher Natur – manches ist wirklich simpel und beschränkt sich auf das Sammeln verschiedener Gegenstände oder das Besiegen mehrerer Gegner, was dank des Bewegungssystems allerdings trotzdem nicht langweilig wird. Einige Missionen kommen aber sehr abgedreht daher – an einer Stelle müsst ihr beispielsweise Blutegel aus einem Teich fischen, in dem ihr halbnackt badet. Die Geschichten hinter den einzelnen Missionen sind dabei nicht selten absurder als die Mission selbst. So führt ihr beispielsweise einige dieser Aufträge für eine Gruppe von LARPern aus (Live Action Role Playing), die sich in einer Sporthalle einen Thronsaal eingerichtet hat. Diese Gruppe verhält sich nicht nur super komisch, ihre Sprechweise zaubert euch immer wieder ein Grinsen ins Gesicht – die tolle, deutsche Synchronisation trägt dazu einen großen Teil bei.
Eines meiner persönlichen Highlights des Spiels ist aber die optische Darstellung. Sunset Overdrive gibt sich kunterbunt und das Spiel läuft zu jeder Zeit flüssig – selbst, wenn sehr viel auf dem Bildschirm los ist, was nicht allzu selten vorkommt. Am besten sieht das Spiel dabei auch in der Bewegung aus. Dazu kommt natürlich das unglaublich abgedrehte Kreaturen- und stellenweise auch Charakterdesign, sodass Sunset Overdrive optisch ein unglaublich stimmiges Gesamtbild abgibt.
Ich muss unterm Strich wirklich sagen: Ich liebe Sunset Overdrive – und bei der Ankündigung eines Nachfolgers würde ich wohl an die Decke gehen. Leider ist eine solche Ankündigung aber (vorerst) relativ unwahrscheinlich, da Insomniac Games aktuell an der Arbeit mit dem PlayStation 4-exklusiven Spider-Man-Spiel beschäftigt ist. Wer Sunset Overdrive allerdings gespielt hat, der weiß, dass Spider-Man ziemlich gut werden könnte – das wohl Wichtigste in Spider-Man, das coole Bewegungssystem in einer darauf ausgelegten Spielwelt, haben die Jungs und Mädels bei Insomniac Games definitiv drauf! Jedem von euch, dem sich die Chance auftut, kann ich jedenfalls nur empfehlen, mal einen genaueren Blick auf Sunset Overdrive zu werfen.