
Der Remaster-Wahnsinn unserer Zeit Spezial
Geschrieben von Michael Barg am 05.11.2022
Im September hielt unser geliebtes Videospielunternehmen ihre berühmte Nintendo Direct-Präsentation ab und präsentierte uns allerlei Informationen über kommende Neuerscheinungen. Wobei die Bezeichnung irreführend sein kann, handelte es sich bei den „neuen“ Erscheinungen doch um einen beachtlichen Teil an Remakes, Reboots, Remastern, Reimagines, Re-You-Name-It. Es scheint, als wäre das erneute Erleben der Vergangenheit Toppriorität der Spielerinnen und Spieler – ein Traum, den die Entwicklerstudios und Publisher gewiss gern mit einem breiten Grinsen erfüllen. Der Wettbewerb der Videospielindustrie entfernt sich mit einem gewaltigen Schritt von gewagten Neuankündigungen und dem Risiko, neue IPs zu etablieren, gar allgemein Neues zu versuchen – und wer kann es ihnen übel nehmen, ist das Recyceln der Vergangenheit doch so simpel und genial. Warum dieser „Remaster-Wahnsinn unserer Zeit“ einen besonders schmerzhaften Nerv trifft, wir uns aber trotzdem danach sehnen, erfahrt ihr in diesem Spezial. Vorweg sei gesagt, dass die folgenden Definitionen nach wie vor sehr umstritten sind und ich daher meine persönliche Auffassung der Begriffe darstellen werde.
Um Videospiele aus der Kindheit neu zu erleben, müssen entweder unzählige Second-Hand-Stores abgegrast oder sich mit eBay Kleinanzeigen-Problemen rumgeschlagen werden. Mit ein wenig Glück gibt es Portierungen auf moderne Konsolen – meist digital im hauseigenen Store –, doch so wirklich ist nur ein Bruchteil davon noch zeitgemäß. Somit scheint das Reproduzieren vergangener, nahezu antiker Videospiele seinen Zweck zu erfüllen, doch sind sie komplizierter als wir vermuten würden.
Wie so vieles in der Videogames-Industrie entstammen auch die Definitionen der Neuauflagen von Videospielen meist aus der Filmwelt. Das übergeordnete Remake bedeutet so viel wie eine „neue Version eines bereits verfilmten Stoffes oder bereits veröffentlichten Liedes,“ so heißt es jedenfalls im Cambridge Wörterbuch, wobei wir hier einfach „verfilmter Stoff“ und „Lied“ mit „Videospiel“ austauschen könnten. Genevieve Koski schrieb im September 2015 einen Artikel für das Online-Magazin Vox und erklärte ein Remake in der Filmindustrie als etwas, das „einen bestimmten Film genau nachstellt.“ Bedeutet für uns also einfach gesagt, dass der Titel, Handlung, Gameplay und alles, was beim Videospiel dazu gehört, gleichbleibt und in neuem, modernem Glanz erstrahlt. Ein geradezu perfektes Beispiel für ein modernes Remake stellt das im Jahr 2019 erschienene The Legend of Zelda: Link’s Awakening dar. Selbst die recht veraltete 8-Wege-Steuerung wurde übernommen, vermutlich als Nostalgiefaktor für die älteren Spielerinnen und Spieler unter uns – ein Faktor, den ich später noch mal genauer unter die Lupe nehmen werde. Der finnische Professor Jaakko Suominen beschreibt dies als „digitale Kulturproduktion“, bei der es darum geht, „Extras hinzuzufügen, einen zusätzlichen Wert zu schaffen und neue Versionen zu erstellen.“
Ein Remaster ist da deutlich einfacher zu verstehen: Simpel gesagt wird ein älterer Titel genommen, wie er ist, und mit schicken (HD-)Texturen, neuem Sound und manchmal Quality-of-Life-Änderungen versehen, die Technik aber bleibt gleich. Die etwas aus dem Rahmen fallenden Reboots nehmen in der Regel das klassische Setting eines Spiels, schmeißen jegliche Konventionen über Bord und behalten lediglich den groben Rahmen. Meist löst sich hier das Entwicklerstudio von bereits bestehenden Storylines oder Plots und bildet diese neu. Das Gameplay wird zum größten Teil in die moderne Zeit übertragen.
Auch wenn das preisgekrönte Final Fantasy VII schon damals ein Jahrzehnt auf ein Remake für moderne Systeme wartete, ist der Titel Final Fantasy VII Remake nicht ganz korrekt. Hier handelt es sich zwar auch um eine Neuauflage, aber unter Remake wird, wie oben angeführt, etwas anderes verstanden. Bei der im April 2020 erschienenen Neuauflage sehen wir eher ein Reimagine, denn Square Enix nahm die Charaktere und Welt des JRPGs, passte dessen Kampfsystem an und veränderte auch die Geschichte so deutlich, dass ihm die Bezeichnung eines Remakes nicht mehr gerecht werden würde. Dafür gibt es Gründe, wie Naoki Hamaguchi von Square Enix in einem Interview erklärt: „Jeder weiß, wer Sephiroth [Antagonist des Spiels] ist! Wir dachten nicht, dass es so effektiv wäre, ihn bis zu einem späteren Zeitpunkt in der Geschichte zurückzuhalten.“ Hier sehen wir also, dass Neuauflagen, die nicht nur stumpf die Vergangenheit neu aufleben lassen, auch Raum für Anpassungen der Geschichte geben. Eiserne Fans des Titels mögen vielleicht nicht zufrieden mit der Entscheidung gewesen sein, aber sie macht das Franchise zugänglicher für eine neue Fanbase, die vor 25 Jahren entweder weniger mit Final Fantasy VII anfangen konnte oder den Titel damals verpasste.
Nun stellt sich aber die Frage: Wozu das Ganze? Warum sollten Publisher und Entwicklerstudios alte, etablierte Spiele noch einmal verkaufen wollen, bieten sie doch selten wirklich etwas Neues? Und warum sollten Spielerinnen und Spieler noch einmal in den Geldbeutel greifen, wenn sie das Spiel bereits besitzen?
Wie vorhin angeschnitten, erschien das „Remake“ zu Final Fantasy VII 23 Jahre später, also ungefähr eine Generation nach der Ersterscheinung im Jahr 1997. Der Autor Douglas Adams beschrieb schon im Jahr 2002, dass dies ein passender Zeitraum zu sein scheint, in Vergessenheit geratene Medien neu zu erleben. „Alles, was nach dem 35. Lebensjahr erfunden wird, ist gegen die natürliche Ordnung der Dinge. Vorher war alles besser,“ heißt es in seinem Buch „The Salmon of Doubt.“ Nostalgie ist menschlich und verständlich, doch nimmt sie manchmal negative Ausmaße bis hin zum unverständlichen Hass gegenüber neuer Technologie oder neuen Medieninhalten an. Nostalgie wird in uns ausgelöst, wenn wir Medien erleben, die uns beim Großwerden begleiteten und uns dementsprechend ein Gefühl der Sicherheit gaben. Auch der oben angesprochene Professor Suominen beschäftigt sich schon länger mit dem Phänomen der Nostalgie und seiner heute tatsächlich fälschlichen Definition. Ursprünglich stamme das Wort „Nostalgie“ aus dem Griechischen und beschrieb „die Qual der Heimkehr,“ heute wird die gegenteilige Definition angenommen und Nostalgie im Kern eher als „Sehnsucht nach der Vergangenheit“ verstanden.

Super Mario 64 konnte mit der Super Mario 3D All-Stars-Collection erstmalig auf der Nintendo Switch erlebt werden.
© Nintendo
Das Gefühl der Nostalgie wird laut der Medienwissenschaftlerin José van Dijck zumeist von Erinnerungen hervorgerufen – weil wir uns nach der Vergangenheit sehnen, nach dem sicheren Umfeld, das wir als Kinder unter anderem in fiktionalen Welten erfahren haben. Im Laufe der Zeit, wenn wir mit Objekten der Vergangenheit in Berührung kommen, erinnern wir uns an Erlebnisse, die wir beispielsweise mit Final Fantasy VII damals hatten. Die ursprüngliche Erinnerung jedoch verschwimmt mit jedem Mal neu. Somit erinnern wir uns nie exakt gleich – im Gegenteil, wir entfernen uns jedes Mal erneut davon. Trotz dieser inhaltlichen Entfernung ist das Gefühl, welches wir im Kindesalter beim Spielen verspürten, omnipräsent. Daher schleicht sich dennoch das positive Gefühl der Nostalgie ein, wenn wir Super Mario 64 heute in der zeitlich begrenzt verfügbaren Super Mario 3D All-Stars-Sammlung ansehen. Die Sicherheit, die wir als Kinder im Jahr 1996 verspürten, als wir Mario durch die dreidimensionale Welt steuerten, ist fest mit dem Nintendo 64-Titel verankert. Perfekt also für Nintendo, um das Spiel an heute ungefähr 30–35-jährige Erwachsene zu verkaufen: Die Spielerin oder der Spieler darf den Titel auf modernen Konsolen erleben und erfährt das ultimative Coming-Home-Feeling, während Nintendo ökonomisches Minimalprinzip fährt, auf welches ich später noch zu sprechen komme.
Ein anderer zentraler Punkt ist das generationenübergreifende Gefühl, das Videospiele bei heutigen Eltern auslösen. Spielerinnen und Spieler, die beispielsweise die erste Pokémon-Edition in jungem Alter erlebten, haben nun teilweise selbst Familie mit Kindern in ähnlichem Alter. Zwar war die Pokémon-Community sichtlich verwirrt von der Veröffentlichung der Pokémon Let’s Go-Titel, aber nur aufgrund der Überraschung, wurden doch gewiss andere Titel des Franchises erwartet. Ein Remake der Hauptreihe erschien, das ausnahmsweise nicht direkt auf eiserne Fans abzielte, sondern auf andere Konstellationen. Wie oben beschrieben, neigen heutige Eltern dazu, gewisse nostalgische Gefühle mit Retro-Titeln zu verbinden – ein für sie schwierig zu beschreibendes positives Gefühl des Nachhausekommens, das sie an die kommende Generation übertragen möchten. Und wie soll das am besten funktionieren, ohne die ollen, hässlichen Kamellen der 1990er-Jahre auszupacken? Richtig, mit entspannten Neuauflagen, die zudem einsteigerfreundlicher und hübscher daherkommen. Die Eltern erleben ihre Kindheit in einem neu gestalteten Gameplay wieder, das sich auch nicht mit verfälschten Erinnerungen beißt und eventuelle Kindheitserinnerungen zerstören könnte. Sie können all ihre Lieblings-Pokémon in modernem Design aus der Vergangenheit treffen – gleichzeitig lernen ihre Kinder den sicheren Ort ihrer Eltern als ihren eigenen kennen.
Neuauflagen haben allein durch emotionale Aspekte bei der Kundschaft ihre Daseinsberechtigung. Große Unternehmen wie Nintendo sagen da natürlich nicht Nein, sich an dieser Bequemlichkeit zu bedienen. Wirtschaftlich gesehen sind Neuauflagen zwangsläufig günstiger in der Produktion, aber auch risikoarmer als komplett neue Spielereihen; zwei ökonomische Faktoren also, die für Neuauflagen sprechen. Die Geschichten sind größtenteils geschrieben und die Charaktere und deren Designs stehen schon. Höchstens die Marketing-Kurbel muss angeschmissen werden, damit sich Schlangen von Nostalgikern vor dem nächsten Videospielhändler des Vertrauens bilden.
Auch wenn uns die vielen Remaster bzw. das Recycling teilweise auf die Nerven geht und aktuell Überhand nimmt, besitzt es irgendwo seine Berechtigung. Sowohl seitens der nun etwas älteren Gaming-Community, aber auch seitens der Unternehmen erscheint der Wiederverkauf vergangener Werke nur logisch. Auf der einen Seite sehen wir die emotionale Bindung und die damit verbundene Sicherheit, auf der anderen steht die ökonomische Bequemlichkeit der Unternehmen. Gerne möchte ich zusammenfassen, dass der Recycling-Trend nicht per se schlecht für uns ist: im Gegenteil. Auch wenn die neuen IPs mit vergangenen Werken konkurrieren, sind wir laut den Verkaufszahlen erfreut über Neuauflagen von Titeln, die es verdient haben. Oft besitzen sie Veränderungen, die das erneute Spielen lohnend machen, seien es Quality-of-Life-Anpassungen, externe Erweiterungen oder mittlerweile standardmäßige HD-Auflösung. Im Fall von Final Fantasy VII Remake sehen wir auch einen anderen Vorteil: Reimagines und Reboots ermöglichen Entwicklerstudios, vergangene Titel, die ihrer Zeit auf technischer Ebene nur geringfügig gerecht wurden, nach ihren neuen modernen Vorstellungen wieder aufleben zu lassen. Technische Limitierungen vergangener Tage bestehen nicht mehr und dank neuer Konsolen-Generationen können die Visionen der Entwicklerinnen und Entwickler vollends Realität werden. Zeitgleich dürfen wir als Spielerinnen und Spieler in bereits erzählte Geschichten eintauchen und das Gefühl der Sicherheit erneut erfahren – etwas, das wir in manchen Fällen zu gerne an unsere Nachfahren weitergeben. Auch wenn das aktuelle Recycling einen faden Beigeschmack hat, freue ich mich noch immer über alle Re-irgendwas-Varianten, die modern und in aller Frische erscheinen. Für mich persönlich auch eine Chance, verpasste Titel nachzuholen, die schon seit Jahren unter dem Pile of Shame vergraben sind.
Jetzt seid ihr dran: Wie empfindet ihr die aktuelle Welle der Neuauflagen? Seid ihr mittlerweile genervt oder freut ihr euch über kommende Remaster?