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Legende der Spielkultur: Dwarf Fortress Spezial

Seit 20 Jahren befindet sich Dwarf Fortress in der Entwicklung und hat trotz fehlender finaler Version bereits die Welt der Videospiele beeinflusst. Kaum ein anderes Spiel hat vermutlich ein ganzes Genre so geprägt wie diese Zwergenkolonie-Simulation. Viele namhafte Spiele, hier mal nur Minecraft als Beispiel genannt, führen diese doch sehr unbekannte Perle als Inspirationsquelle auf. Doch was genau unterscheidet Dwarf Fortress denn von anderen Simulationsspielen? Hier findet jeder Fan andere Besonderheiten; nachfolgend werde ich euch meine vorstellen.


Obwohl es in der Öffentlichkeit nur in Nerd-Kreisen genannt wird, hat es bereits viele Auszeichnungen erhalten, unter anderem wird es als die komplexeste Simulation und die längste Alpha bezeichnet. Und in der Tat, seit Entwicklungsstart im Jahre 2002 kann Dwarf Fortress nach 20 Jahren Entwicklung derzeit „nur“ Version 0.47 aufweisen. Dennoch besitzt das Spiel bereits jetzt mehr Inhalte als andere und ist trotz allem kostenlos im Internet erhältlich. Hinter der gesamten Entwicklung stehen zwei Brüder aus den USA. Tarn Adams, in Dwarf Fortress-Kreisen liebevoll Toady One genannt, programmiert das Spiel, während sein Bruder Zach Adams, auch ThreeToe genannt, maßgeblich ins Design eingebunden ist. Beide sind Fans von Computerspielen und zeigten schon früh Interesse daran, eigene zu entwickeln. Dwarf Fortress könnte man als ihr Lebenswerk bezeichnen, dem sie sich vollkommen verschrieben haben. Es wird von Tarn in Vollzeit entwickelt und finanziert sich derzeit ausschließlich über Spenden. Das Spiel selbst ist und wird immer kostenfrei verfügbar bleiben. Leider sind die Brüder gesundheitlich nicht in der besten Situation. Zach leidet an einer bipolaren Störung und hatte bereits den ein oder anderen Tumor und auch in der direkten Verwandtschaft scheint Krebs keine Seltenheit zu sein. Um sich hier besser abzusichern, wird am 6. Dezember auf Steam eine kostenpflichtige Spezialversion von Dwarf Fortress veröffentlicht werden. Diese ist inhaltlich identisch mit der kostenlosen Variante, wurde jedoch um einen Soundtrack sowie einem schönen TileSet erweitert.


Die ASCII-Grafik ist schwierig zu deuten.

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Denn während andere Spiele euch die Grafik mehr oder weniger vorgeben, geht Dwarf Fortress einen etwas anderen Weg. Die Standard-Grafik von Dwarf Fortress besteht nämlich nur aus ASCII-Zeichen. Da diese Art der Darstellung vermutlich die meisten eher abschreckt, stellt die Community sogenannte TileSets zur Verfügung. Hier werden die Buchstaben durch kleine hübsche Bildchen ausgetauscht, wodurch beispielsweise aus dem B für Bär ein echter kleiner Bär wird. Das System ähnelt also ein wenig den TexturePacks von beispielsweise Minecraft. Und auch hier findet sich für jeden Geschmack etwas. Schlichtere TileSets ähneln noch stark der ASCII-Darstellung, während komplexere TileSets selbst für die verschiedenen Zwerge unterschiedliche Grafiken anbieten. Auch in der Farbgebung unterscheiden sich die kleinen Grafikpakete gewaltig. Manche sind eher an das düstere Mittelalter angelehnt, während andere durch farbenfrohe Akzente für kitschig bunte Spielszenen sorgen.


Im Gameplay unterscheidet sich Dwarf Fortress von der Konkurrenz, indem ihr dieses Mal nicht in die Rolle einer allmächtigen Kontrollentität schlüpft. Tatsächlich finden eure Handlungen eher auf der planerischen Ebene statt. So definiert ihr beispielsweise, welche Bäume gefällt oder welche Stollen gegraben werden sollen. Welcher Zwerg diese Arbeit durchführen wird, könnt ihr nur bedingt beeinflussen. Ihr vergebt euren Zwergen eine Auswahl an Berufen bzw. Tätigkeiten und je nach Priorität wird einer dieser Zwerge die Tätigkeit durchführen. Dieses spielerische System hat beispielsweise RimWorld übernommen. Auch die Vorratshaltung unterscheidet sich gewaltig. So seid ihr es normalerweise gewohnt, dass ihr irgendwo eine Liste mit all euren Rohstoffen und ihrer Menge besitzt. Diese Liste gibt es in Dwarf Fortress ebenfalls, allerdings werdet ihr zu Beginn feststellen, dass an den Mengen häufig ein Fragezeichen angegeben wird. Dies liegt daran, dass ihr euren aktuellen Lagerstand nur erfahren könnt, indem ihr einen Zwerg besitzt, der sich um die Lagerverwaltung kümmert. Diesem müsst ihr eine Präzision als Einstellung geben und daraufhin wird dieser die Bücher über die Lagerbestände pflegen. Die Lagerverwaltung (im Spiel als BookKeeper bezeichnet) stellt jedoch keine normale Tätigkeit dar, sondern fällt in den Bereich der „Noble“-Zwerge. Diese könnte man wohl stark vereinfacht als Adlige bezeichnen. Jede Position kann hierbei nur an einen Zwerg vergeben werden. Neben den Adligen mit sinnvollen Tätigkeiten wird euch das Spiel ab einem bestimmten Zeitpunkt auch Positionen geben, die euch das Leben schwer machen. Der Bürgermeister, Baron und Graf beispielsweise werden keine normale Tätigkeit mehr erledigen und stattdessen Forderungen stellen oder ein Handelsembargo ausrufen. Ihr müsst also ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur die produktiven Zwerge gut versorgen, sondern auch noch den bürokratischen Wasserkopf am Laufen halten.


Die Gefahr kommt von außerhalb


In regelmäßigen Abständen kommen Migrationswellen mit Zwergen, um eure Kolonie immer größer werden zu lassen. Während ihr euch jederzeit über eure Zwerge informieren und so ihr Alter, ihre Fähigkeiten oder ihren Werdegang nachlesen könnt, müsst ihr auch hier bedenken, dass diese Informationen immer von den Zwergen selbst stammen. Man könnte sich das Ganze wie eine Art Gespräch vorstellen, bei dem sich der Zwerg selbst vorstellt und über sich berichtet. Die meiste Zeit über werden diese Angaben auch stimmen, allerdings kann es durchaus passieren, dass sich ein jahrhundertealter Vampir in eure Reihen einschleicht. Dieser wird sowohl bei seinen Namen, seinem Alter als auch bei seiner Herkunft lügen. Dass ihr ein echtes Problem habt, werdet ihr erst feststellen, wenn der erste blutleere Zwerg tot aufgefunden wird. Hier entsteht dann fast schon ein kleiner Krimi, denn nun solltet ihr euch genau über eure Zwerge informieren. Einerseits könnt ihr Zwerge befragen, ob etwas Verdächtiges aufgefallen ist, andererseits könnt ihr selbst versuchen, Unstimmigkeiten zu entdecken. Ein Zwerg, der angeblich erst 50 Jahre alt ist und bereits mehrere Skills auf einem legendären Niveau hat, könnte z. B. doch älter sein als vermutet. Durch all diese Situationen, in denen ihr mehr oder weniger für dumm gehalten werdet, fühlt ihr euch tatsächlich als Teil der Kolonie und weniger als gottgleiches Wesen.


Dwarf Fortress-Spieler leben nach dem Motto „Loosing is Fun“. Und tatsächlich wird früher oder später alles darauf hinauslaufen, dass ihr verlieren werdet. Die einzige große Frage ist: Welche legendären, unvergesslichen Geschichten werdet ihr bis dahin erleben? Nahezu alles kann zum Untergang der Festung führen und in den seltensten Fällen merkt ihr es direkt. Spiralförmig wird ein Ereignis ins nächste münden und euch am Ende vor einem Trümmerhaufen zurücklassen. Unvergesslich wird für mich beispielsweise der Angriff der Wer-Hirsche bleiben. Getarnt als normale Besucher kehrten zwei dieser grauenhaften Wesen in meiner Taverne ein. Als der Vollmond schließlich aufging, verwandelten sich diese beiden mitten in der voll besetzten Spelunke in tödliche Wer-Hirsche. Zwar konnten meine Soldatenzwerge die beiden sehr schnell erledigen, da es allerdings meine erste Begegnung mit Wer-Bestien war, wusste ich nicht, welch schreckliches Schicksal mir bevorstand. So vergaß ich, alle Tavernenbesucher auf Verletzungen zu untersuchen, und einen Monat später verwandelten sich viele meiner Zwerge ebenfalls in todbringende Wer-Hirsche. Da die Soldatenzwerge die alten verfluchten Wesen zur Strecke brachten, waren diese praktischerweise auch direkt vom Wer-Fluch betroffen. Ohne übrige Waffen und alle Soldaten als Wer-Bestien verwandelt, war meine Festung recht schnell Geschichte, dafür habe ich zumindest meine Lektion gelernt: Nach einem Wer-Angriff werden zukünftig alle verletzten Zwerge ein Monat lang eingemauert …


Die Steam-Version wird ein besonderes TileSet haben und den ASCII-Retrolook ablösen

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Doch nicht nur die eigenen Geschichten bringen einen zum Schmunzeln, sondern auch die Geschichten, die andere erzählen können. Zur größten Berühmtheit hat es wohl die Geschichte mit den toten Katzen gebracht. Da Tarn selbst großer Katzenliebhaber ist, gelten für die Fellknäule in Dwarf Fortress einige Sonderregeln. So sind Katzen die einzigen Tiere, die sich ihren Besitzer selbst aussuchen und einen Zwerg adoptieren, statt umgekehrt. In einem Interview wurde Tarn vor einigen Jahren gefragt, warum die Katzen in den Festungen ab einem bestimmten Zeitpunkt immer alle aus unbekannten Gründen sterben. Von dem Verhalten selbst verwundert, stellte der Entwickler schließlich Nachforschungen an und stellte fest, dass diverse unabhängige Simulationssysteme sich ungünstig beeinflussen. So trinken die Zwerge in den Tavernen gerne alkoholische Getränke und prosten sich dabei gegenseitig zu. Dabei kann es passieren, dass aus den Krügen etwas überschwappt und auf dem Boden landet. Die Katzen suchen gerne die Gesellschaft der Zwerge und halten sich dementsprechend gerne in den Tavernen auf. Dabei laufen sie durch diese kleinen Alkoholpfützen. Putzt das kleine Fellbündel sich später, nimmt es den Alkohol schließlich zu sich und stirbt an einer Alkoholvergiftung. Um dieses Problem endgültig zu lösen, entschied sich Tarn dafür, dass Katzen nun trinkfester sind. Anhand dieser Geschichte lässt sich die Simulationstiefe von Dwarf Fortress sehr gut abschätzen und sie zeigt, dass es durchaus den Titel „Komplexeste Simulation“ verdient.


In diesem Bericht bin ich nun lediglich auf einen Bruchteil von Dwarf Fortress eingegangen. Ein echter, fairer Test, wie ihr ihn von anderen Spielen kennt, würde diesem Spiel nicht gerecht werden. Der Zwergensimulator bietet euch derart viele Möglichkeiten, dass ihr selbst nach intensivem Spielen immer auf neue Situationen stoßen werdet. Leider entstehen dadurch auch Probleme. So ist Dwarf Fortress alles andere als einsteigerfreundlich. Fehlende Tutorials und eine gewöhnungsbedürftige Steuerung machen es Neulingen sehr schwer, sich zurechtzufinden. Allerdings habt ihr Glück, es gibt wohl keinen besseren Zeitpunkt, sich endlich dieser Perle der Spielkunst zu widmen als jetzt. Mit der bereits kurz angesprochenen Steam-Version wurde auch versucht, das Spiel zugänglicher zu machen. So erwartet euch ab dem 6. Dezember endlich ein Tutorial, diverse Ingame-Hilfen, eine Maussteuerung und eine komplette Interfaceumstellung. Für mich als langjähriger Fan wird damit ein Traum wahr. Doch wie sieht es bei euch aus? Gebt ihr den Zwergen eine Chance?

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