
Like a Dragon: Infinite Wealth für Xbox Series X|S im Test – Ryo Ga Gotokus hawaiianisches Magnum Opus
Geschrieben von Kim Davids am 19.02.2024
Nicht mal drei Monate nach Erscheinen des Spin-off-Titels Like a Dragon Gaiden: The Man Who Erased His Name liefert das Entwicklerstudio Ryo Ga Gotoku Studio mit Like A Dragon: Infinite Wealth den nächsten Teil der Hauptserie. Und damit den direkten Nachfolger zu Yakuza: Like A Dragon, der einen neuen Hauptcharakter und ein rundenbasiertes Kampfsystem eingeführt und somit die Abkehr vom bisherigen Brawler-Gameplay eingeläutet hat. Gerade jener Wechsel wurde in der Fangemeinde nicht ausschließlich positiv aufgenommen – verständlich nach sieben eigenständigen Titeln, die die Yakuza-Reihe geprägt haben. Doch bereits die Trailer des neuesten Ablegers zeigten einige Neuerungen im Kampfsystem, die größte Überraschung bleibt aber ganz sicher der Wechsel des Settings. Ob der Trip auf die sonnige Inselgruppe Hawaii einem entspannten Urlaub gleicht oder doch mal wieder alles anders kommt als erwartet, erfahrt ihr in unserem Test.
Anfangs startet ihr mit Hauptcharakter Ichiban Kasuga in Yokohama, doch schon nach kurzer Spielzeit reist ihr per Flugzeug nach Hawaii – warum? Das werde ich aus Spoilergründen nicht verraten. Für viele Fans dürfte die voraussichtliche Beendigung der Kiryu-Saga der interessanteste Storypunkt sein, denn es war schon von vornherein klar, dass der ursprüngliche Protagonist auch eine Mission auf der Insel hat und deshalb vor Ort sein wird. Seine Beweggründe wurden unter anderem im Spin-off Like a Dragon Gaiden: The Man Who Erased His Name klar. Das alles ist für neue Spieler schwer zu greifen, da das Vorwissen meiner Meinung nach vorausgesetzt wird. Es ist sicherlich möglich direkt ins Spiel einzusteigen, sich vor allem dem Gameplay zu widmen und die Crime-Story schlicht mitschwingen zu lassen, doch nimmt dies dem Spiel eine seiner größten Stärken. Es fühlt sich an wie bei Breaking Bad in Staffel 4 einzusteigen – kann man machen, würde aber kaum einer empfehlen. Allgemein ist die Story serientypisch spannend inszeniert, von unglaublicher Brutalität geprägt und passt noch immer nicht zu den wahnwitzigen Nebenbeschäftigungen, die eure Zeit mal mehr oder weniger in Anspruch nehmen können. Das ist für Serienkenner alles nichts Neues und so bleibt auch der aktuelle Ableger seinem Prinzip treu. Neben den üblichen SEGA-Minispielen, Gacha-Automaten und dergleichen gibt es vor allem zwei große Systeme abseits der Hauptstory, dazu aber später mehr.
Das Kampfsystem orientiert sich immer noch sehr stark an dem neu eingeführten rundenbasierten System aus dem direkten Vorgänger, es wurden allerdings einige kleine Verbesserungen vorgenommen, die Spieler zuvor gerne mal zur Weißglut gebracht haben. Im Kern ist es ein klassisches JRPG-System mit verschiedenen Attributen im Hintergrund, die von Angriff, Magie bis Gewandtheit reichen. Ihr wählt „Zauber” bzw. Fähigkeiten aus einem Menü aus und bufft damit eure Gruppe oder vernichtet den vor euch stehenden Gegner, der dank seiner Schwäche nach dem Feueratem sofort zu Boden geht. Die Kämpfe finden oftmals auf offener Straße bzw. in dem Gebiet statt, in welchem ihr euch gerade tatsächlich bewegt. Das kann viele Vorteile bringen, da es beispielsweise möglich ist, herumstehende Pylonen oder Fahrräder aufzusammeln und euren Gegner um die Ohren zu pfeffern. Im direkten Vorgänger gab es, wie auch in Infinite Wealth, viele Zauber, die in einer geraden Linie oder im Kegel abgefeuert worden sind, was euch die Möglichkeit gab, je nach Positionierung direkt mehrere Feinde zu treffen. Das Problem war nur, dass es keine Möglichkeit gab, sich während eines Kampfes zu bewegen, was das ideale Anvisieren und Positionieren zu einer völligen Zufallskomponente degradiert hat. Nun ist es möglich, sich in einem nicht allzu großen Radius zu bewegen, was aber zumindest dafür sorgt, dass eine Umpositionierung möglich ist und Attacken so viel besser planbar sind. Etwas nervig bleibt, dass Gegner sich gelegentlich viel zu viel bewegen, weswegen ich oftmals zu Beginn einer Auseinandersetzung direkt durch das Menü gehuscht bin, um eine Attacke auszuwählen, die mehrere Gegner trifft, da diese anfangs häufig noch nah zusammenstehen. Die KI tendiert dazu, die einzelnen Feinde möglichst voneinander zu trennen, was Flächenattacken natürlich weit weniger wirkungsvoll macht. Die Änderungen haben das Kampfsystem aber wesentlich dynamischer gemacht, was meiner Meinung nach definitiv die richtige Entscheidung war.
Während ihr euch also durch die emotionale Hauptstory wühlt und häufig kleine Gegnergruppen auf den Straßen zu Matsch prügelt, öffnen sich mit der Zeit immer mehr Systeme und Nebenbeschäftigungen, die eure Zeit liebend gern verschwenden wollen. Eines dieser Systeme ist das ganze Universum rund um die Sujimon. Nach einigen Kapiteln trefft ihr den Sujimon Sensei, der definitiv eine Parodie des Pokémon-Professors darstellen soll und euch den Sujidex zur Verfügung stellt, der vervollständigt werden will. Sujimon sind all die verschiedenen Gegner, denen ihr auf eurer Reise begegnet und die nach dem Bekämpfen im Sujidex festgehalten werden. Diese unterteilen sich in verschiedene Elemente von Feuer bis Wasser und haben dementsprechend Stärken und Schwächen. Ein Team besteht aus maximal sechs Sujimon, wovon drei gleichzeitig kämpfen. Wer hier weitere Parallelen zu der beliebten Taschenmonsterreihe sieht, befindet sich garantiert nicht auf dem Holzweg. Das Sammeln der einzelnen Sujimon liefert definitiv eine große Motivation, gerade mit Hinblick auf die einzelnen Arenaleiter, die euch ihren spezifischen Orden abdrücken, nachdem ihr siegreich aus dem Kampf hervorgegangen seid. Hierbei handelt es sich um eine spaßige Nebenbeschäftigung, die euch einige Stunden Lebenszeit kosten kann, sofern ihr etwas damit anfangen könnt. Das Schöne dabei: Wer daran kein Interesse hat, kann die gesamte Nebenbeschäftigung einfach links liegen lassen und sich anderen Dingen widmen. Das macht seit jeher auch den Reiz aus, denn alles kann, aber nichts muss.
Eine weitere Nebenbeschäftigung, die definitiv Erwähnung bedarf, ist die Wiedereröffnung von Dondoko Island. Das kleine Urlaubsinselchen abseits Honolulus wird seit einiger Zeit von einer Bande als Mülldeponie genutzt, weshalb die Urlaubsgäste ausbleiben. Unser Job ist es, aus Dondoko Island wieder ein Urlaubsparadies zu machen, die Müllbande zu vertreiben und natürlich Geld zu machen. Auch hier lässt sich das große Vorbild nicht verstecken, denn viele Elemente (Besucher campen auf der Insel, Ressourcen werden gesammelt, Anleitungen werden gefunden, um daraus Gegenstände und Einrichtung zu bauen etc.) erinnern doch sehr stark an Animal Crossing. Wie schon bei den Sujimon gilt aber auch hier, dass es eine deutliche Hommage statt einer billigen Kopie ist, denn es wird sinnvoll ins Hauptspiel integriert und versucht durch das Setting eine Ähnlichkeit zu schaffen, die den Spieler schmunzeln lässt. Auch hiermit hatte ich wieder etliche Stunden Spaß und vor allem kommt man nach einiger Zeit zu einem soliden Geldbetrag, wo die Stunden zuvor immer gähnende Leere im Portemonnaie war – und Hawaii kann verdammt teuer sein! Das allein war für mich Grund genug, hier viel Zeit zu investieren, damit meine Gruppe adäquat ausgerüstet in den nächsten Kampf starten kann.
Insgesamt lässt sich sagen, dass es hier meiner Meinung nach die besten Nebenbeschäftigungen der Serie gibt. In der Vergangenheit waren viele Beschäftigungen mehr Mittel zum Zweck wie das ganze Thema um die Real-Estate-Branche oder den Hostess-Clubs, mit denen man noch mehr Vermögen anhäufen konnte. Oder es handelte sich um kleine Ablenkungen wie Virtua Fighter am Arcade-Automaten, die man gelegentlich mal austestet oder je nach Interesse auch intensiver nutzt. Doch die Spielereien haben genug Tiefe, um dem brutalen Story-Alltag zu entfliehen, ohne dass es sich nach verschwendeter Zeit anfühlt. Weitere interessante Möglichkeiten sind zum Beispiel das Spiel „Crazy Delivery”, in welchem man per Fahrrad Essen ausliefern muss, um am Ende eine Bewertung und eine Bezahlung zu erhalten. Oder ein Foto-Spiel, in dem es Ziel ist, äußerst aufreizend gekleidete Männer aus einer fahrenden Bimmelbahn zu fotografieren, um je nach Leistung Punkte zu bekommen. Wer hier direkt Assoziationen zu „Crazy Taxi” oder „Pokémon Snap” im Kopf hat, der liegt auch hier natürlich nicht falsch. Das Gesamtpaket ist eine inhaltliche Bombe und kann ohne Probleme eine dreistellige Stundenzahl beschäftigen, ohne auch nur den Anflug von Langeweile verspüren zu lassen.
Gibt es denn überhaupt etwas zu kritisieren? Letztendlich wurden alle Systeme verbessert oder ausgeweitet. Es gibt viele kleine Quality of Life-Verbesserungen wie ein Segway, der die Reise durch die Straßen weniger langwierig macht. Doch es schwebt ein gewisses Damoklesschwert über dem ganzen Titel, welches das Potenzial hat, für viele als Nicht-Kaufgrund herzuhalten: Das Thema DLC-Politik. Im Vorfeld wurde bereits bekanntgegeben, dass der New Game-Plus-Modus hinter einer Paywall steckt, was viele Interessenten extrem negativ aufgefasst haben. Der Modus gehört seit jeher zu den Yakuza-Spielen und kann jetzt für gut 20 Euro (oder alternativ in der Deluxe Edition für 15 Euro mehr) separat erworben werden. Dass die Spielerschaft das nicht mit Wohlwollen akzeptiert, war durchaus zu erwarten. Die knapp 110 Euro teure Ultimate Edition setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf und wirft euch mit einem Haufen an konsumierbaren Items zu, die das Spiel vermeintlich einfacher gestalten sollen. Da das Review-Muster in der größten Version vorlag, konnte ich auf alle Inhalte zugreifen und kann beruhigend sagen, dass gerade die Items nahezu völlig unnötig sind. Das ist gut, da es prinzipiell zeigt, dass die Spielbalance ohne diese Extras stattgefunden hat. Ich habe die Heilungs- und Upgrade-Items bewusst ignoriert und hatte zu keiner Zeit irgendein finanzielles Problem oder konnte von der Gruppenstärke nicht mithalten. Das einzig wirklich Ärgerliche sind die beiden Extraklassen, die hinter dieser Paywall stecken. Der Linebacker und die Tennisspielerin sind spaßige Klassen, die eigentlich für jeden Spieler verfügbar gemacht werden sollten, statt sie für knapp fünf Euro zu verkaufen. Da mich der New-Game-Plus-Modus nicht interessiert, wäre ich mit dem Hauptspiel (und maximal den beiden zusätzlichen Klassen) mehr als bedient gewesen und empfehle auch allen anderen, diese Vorgehensweise nicht zu unterstützen.