Metaphor: ReFantazio für Series X|S im Test – Atlus' neuer JRPG-Hit hat eine Identitätskrise
Geschrieben von Kim Davids am 07.10.2024
Am 23.04.2024 veranstaltete Studio Zero einen Entwickler-Livestream und wollte der Spielerschaft in den 30 knackigen Minuten den neusten in der Entwicklung befindlichen Titel schmackhaft machen ‒ was in meinen Augen auch sehr gut funktionierte. Als großer Fan von Atlus und allen Spielen, an denen Katsura Hashino als Director mitwirkte, konnte ich den Release kaum erwarten, weil in dem neuen Spiel sehr viel an Persona erinnert. Ein knappes halbes Jahr später ist es endlich soweit und Metaphor: ReFantazio soll in einem für RPG-Fans ohnehin sehr starkem Jahr um die Krone des besten Titels des Jahres ringen. Ob das aktuelle JRPG-Monster von Atlus die Spitzen der Bestenlisten erklimmen kann oder doch nur ein verkapptes Persona 6 ohne eigene Ideen ist, erfahrt ihr in unserem Test.
Wir beginnen das Spiel als namenloser Reisender vom Stamm der Elda ‒ einem Stamm, der in der Welt von Metaphor: ReFantazio von der Kirche geächtet ist, weil die Mitglieder ketzerische Magie vererbt bekamen und er nun als verdorben gilt. Zusammen mit einer Begleiterin ‒ der Fee Gallica ‒ befinden wir uns auf einer Reise und wollen einen Jugendfreund retten. Es ist niemand geringerer als der Prinz des Königreichs Euchronia, auf den ein tödlicher Fluch lastet. Gallica dient uns als Navigatorin und ermöglicht es Gebiete zu scannen, auf Gefahren hinzuweisen und die Stärken von Feinden einzuschätzen ‒ so weit, so unspektakulär. Gerade die ersten Stunden, welche übrigens im Rahmen einer Demo vorab spielbar sind, wirken zunächst wie Fantasy-Standardkost und konnten mich nicht auf Anhieb begeistern. Noch dazu ist der Beginn etwas zäh in die Länge gestreckt, weil man eigentlich nur von Dialog zu Dialog läuft und nicht wirklich Hand anlegen kann. Doch schon bald kommen Story und Gameplay ins Rollen und stellen sich immer vielfältiger dar. Vieles erinnert stark an den Persona-Stil ‒ vor allem das gesamte Design der Menüs und Bedienoberflächen
Einer der größten Unterschiede um Vergleich zur Persona-Reihe ist die Story, denn sie nimmt wahrlich kein Blatt vor den Mund und natürlich ist dieser Testbericht weitestgehend spoilerfrei. In der Welt von Metaphor: ReFantazio gibt es ein alles beherrschendes Kastensystem, welches besonders im Königreich Euchronia dominiert. Dort leben die verschiedenen Stämme zusammen auf engstem Raum und Alltagsrassismus ist ein großes Thema. Euch wird direkt zu Beginn aufgezeigt, dass ihr als Elda nichts wert seid und auch weitere Stämme, wie beispielsweise die Mustari, von der Kirche als Heiden betrachtet und politisch verfolgt werden. Auch das Thema Tod ist in den ersten Stunden omnipräsent und wird zudem durchaus explizit in den animierten Zwischensequenzen dargestellt. Insgesamt ist die Gangart ein ganzes Stück härter als in Persona auch härter als in Shin Megami Tensei. Zum Verlauf der Story werde ich mich wegen der Vermeidung von Spoilern nicht konkret äußern ‒ teilweise ist sie bereits im Rahmen der Demo spielbar. Im Prolog passiert einiges, was vor allem auch die Beweggründe der einzelnen Charaktere erklärt und es sollte von jedem selbst erlebt werden.
Die Vergleiche mit Persona bzw. Shin Megami Tensei kommen nicht von ungefähr ‒ mal abgesehen davon, dass alle Werke von dem selben Entwicklerstudio stammen. Nicht nur wurde die gesamte Oberfläche in einem ähnlichen Stil designt, sondern auch darunter verborgene Systeme könnten kaum ähnlicher sein. So habt ihr hier wieder die Möglichkeit eure Freizeit im Königreich Euchronia zu gestalten, indem ihr etwas mit Mitgliedern eurer Party unternehmt oder Missionen von Fremden annehmt. Diese haben oft Zeitlimits und ihr müsst euch stellenweise sehr genau überlegen, für welche der möglichen Aktivitäten ihr euch entscheidet. Nur so schafft ihr möglichst viele, bevor die Zeiten ablaufen. Dazu kommt der übergeordnete Zeitdruck für die Hauptquests, welche wie in Persona ein jeweiliges Enddatum haben. Wenn ihr das nicht schafft, dürft ihr nur noch den Game Over-Screen bestaunen. Das alles klingt aber stressiger, als es wirklich ist. Selbst in Persona hat man meines Erachtens genug Zeit für Aktivitäten und auch die Hauptaufgabe wird selten zu einem Problem, wenn man halbwegs gut organisiert die Tagesabläufe plant. Trotzdem sorgt diese Mechanik dafür, dass man zusehen muss die Tagesabläufe bewusst durchzuplanen, um möglichst effizient die jeweiligen Aufgaben abzuschließen. All das macht ihr nicht nur zum Spaß an der Freud, denn die Nebenmissionen sorgen oftmals für besseres Equipment, mehr Geld oder sie verbessern eure sozialen Bindungen mit anderen Charakteren ‒ welche übrigens von größter Wichtigkeit sind.
Das Beziehungs-System kennt man schon aus den Persona-Titeln und hier wird es wieder aufgegriffen. Durch Beziehungen mit anderen Charakteren wird es euch ermöglicht neue Archetypen ‒ quasi die Personas in der Welt von Metaphor: ReFantazio ‒ zu studieren, welche den jeweiligen Charakter völlig umkrempeln. Mittels verbundener Archetypen verändern sich dementsprechend die nutzbaren Fähigkeiten. So gibt es beispielsweise bereits recht früh im Spiel den Krieger, der starke Hiebattacken beherrscht. Und den Magier, der wahlweise mit Feuer-, Eis- oder Blitzmagie um sich schleudern darf. Im Gegensatz zu Persona ist es hier nicht nur dem Hauptcharakter möglich durch die vielen verschiedenen Archetypen zu wechseln. In Metaphor steht es jedem Charakter frei jeden Archetypen zu erlernen, was langfristig auf jeden Fall auch gemacht werden sollte. Beim Studieren starten die jeweiligen Archetypen wieder auf Level 1 und verlangen klassischerweise Erfahrungspunkte, um im Level aufzusteigen und sukzessive neue aktive sowie passive Fähigkeiten zu erlernen. Beim Wechsel von Archetypen verliert der verknüpfte Charakter bereits erlernte Fähigkeiten. Allerdings gibt es im Verlauf der Story immer mehr Möglichkeiten, die Fähigkeiten von anderen zu erben und weiterhin zu nutzen. Dadurch entstehen viele interessante Kombinationen, die im Vergleich zu Persona viel mehr Identität aufweisen. Wurde man dort mit etlichen Personas zugeworfen und hatten oftmals sehr bald keine Notwendigkeit mehr, so sind diese bei Metaphor nur bedingt austauschbar. Zwar gibt es im späteren Verlauf Evolutionsmöglichkeiten, welche manche Archetypen in stärkere Versionen weiterentwickeln, aber sie sind im Vergleich mit den anderen weiterhin recht einzigartig.
Das Kampfsystem wird Veteranen zwar sofort bekannt vorkommen, jedoch gibt es gewisse Stellschrauben, an denen auf sinnvolle Weise gedreht wurde. Neu ist beispielsweise die Formation, in der die Kampftruppe angeordnet ist. In der vorderen Reihe erzielen Nahkampfattacken mehr Schaden, jedoch erleiden auch die eigenen Figuren mehr. In der hinteren Reihe ist es genau andersrum: Nahkampfattacken erzielen deutlich weniger Schaden und auch der eigene Lebensbalken muss weniger Verlust bei gegnerischen Attacken hinnehmen. Außerdem gibt es gegnerische aufladbare Attacken, welche sogar die gesamte Frontreihe mit einem mächtigen Angriff beharken. Ihr könnt sie mit einer rechtzeitigen Positionierung in die hintere Reihe vollständig negieren. Diese Neuerung gefällt mit durchaus, aber meines Erachtens wurde zu wenig daraus gemacht. Die Aufstellungsprofile sind meiner Meinung nach nicht ausreichend, um wirklich von einer Innovation zu sprechen. Es wäre sinnvoll gewesen, weitere speziell auf die jeweiligen Reihen ausgerichtete Fähigkeiten zu designen, um so noch mehr aus dem System herauszuholen. Ansonsten gibt es hier viel bekannte Kost: Der jeweilige Charakter benötigt in bester Shin Megami Tensei-Manier lediglich eine halbe Aktion für eine sehr effektive oder kritische Attacke und gibt danach an den nächsten in der Reihe weiter. Das alles kommt einem sehr bekannt vor und theoretisch haben wir es hier wohl mit Atlus' spielübergreifend bestem Kampfsystem zu tun.
Dass ich in diesem Test vermutlich viel zu oft Shin Megami Tensei und Persona erwähne kommt wahrlich nicht von ungefähr. Jeder, der sich die bereits veröffentlichten Videos angeschaut hat, weiß sehr genau, was jetzt auf uns zukommt. Für meinen Geschmack fährt Studio Zero ein bisschen zu sehr auf der sicheren Schiene mit dem Ziel Everybody's Darling zu sein. Ja, man nahm quasi die besten Zutaten aus Shin Megami Tensei und Persona und warf sie in einen Topf. Zwar kam sicherlich etwas wahrlich schmackhaftes heraus, aber meines Erachtens schmeckt es einfach zu ähnlich ‒ auch wenn ich das daraus entstandene Gericht wirklich mag. Die "Erweckung" der Archetypen könnte Persona kaum ähnlicher sein. Kampfsystem, Beziehungen, Zeiteinteilung in einer begehbaren Stadt inklusive Kalender: Böse Zungen würden behaupten bei Metaphor: ReFantazio handlet es sich bloß um einen Asset Flip. Aus meinem Blickwinkel hätten sich die Entwickler für eine eigene Identität entscheiden sollen. Gerne können gut funktionierende Elemente anderer Spiele übernommen werden, allerdings ohne auszublenden, dass wir es hier mit einer neuen IP zu tun haben. Das klingt vermutlich negativer, als es gemeint ist, denn die zugrundeliegenden Systeme funktionieren hervorragend und wurden nicht ohne Grund gewählt. Doch um wirklich aus dem Schatten der großen JRPG-Vorbilder zu treten, bedarf es eben jene eigene Identität, weswegen Metaphor ReFantazio vermutlich ewig als Spin-off gesehen oder gar ein Nischendasein führen wird.
Ein weiterer, wenn auch etwas weniger gravierender Faktor ist die technische Umsetzung: Das Spiel läuft auf meiner Xbox Series X grundsätzlich gut und es gibt seitens der Performance nicht wirklich viel zu bemängeln. Zum Glück, denn alles andere wäre auch eine absolute Farce gewesen. Die grafische Umsetzung lässt sich bestenfalls mit einem "Okay" bewerten. In vielen Regionen sind die Texturen unfassbar matschig und sehen teilweise nach siebter Konsolengeneration (PlayStation 3, XBox 360) aus. Diese Bewertung ist wahrlich nicht übertrieben. Der comicartige Look der Charaktere hat durchaus Charme und kann sich grundsätzlich sehen lassen, jedoch sind die Umrisse teilweise sehr kantig und lassen jede Methode von Anti-Aliasing vermissen. Durch das Play Anywhere-Feature konnte ich zeitgleich in die PC-Version reinschauen, welche sogar mit noch größeren Problemen zu kämpfen hatte. So gab es vor allem im Königreich Euchronia stellenweise fiese Slowdowns, welche sich aus technischer Perspektive nicht erklären lassen. Sie waren bereits in der Demo-Version zu sehen, welche aber zwischenzeitlich ein Update bekam und die Problem wurden wohl größtenteils ausgemerzt. Das lässt zumindest ein wenig auf ein mittlerweile sauber laufendes Spiel ohne viele Slowdowns hoffen.