Ginsengwurzeln in unserer Graphic-Novel-Rezension
Geschrieben von Dennis Gröschke am 26.11.2024
„Triumphe feiert nur der Tüchtige, nur wer starke Nerven hat und kraftvolle Energie. Wollen auch Sie zu den Erfolgreichen gehören, dann stärken Sie Körper und Geist mit Tai Ginseng. Tai Ginseng, das naturgemäße Tonikum für Nerven, Herz und Kreislauf.“
Diesen Werbeslogan konnte man so oder in ähnlicher Form in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Fernseh- und Radiowerbung hören. Mit Jahrgang 1977 fiel ich da also direkt in die Beschallung durch diese Medien mit rein, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht zur Zielgruppe gehörte. In den letzten 30 Jahren dann verschwand der Bezug zur Ginseng-Wurzel in meinem alltäglichen Leben bis auf wenige Ausnahmen, wenn mal wieder jemand einen dämlichen Witz machte. Nun wurde ich durch die Lektüre eines Buches regelrecht zu einem Ginseng-Experten und das habe ich allein der Recherche von Autor und Zeichner Craig Thompson („Blankets“) zu verdanken.
Der Anbau von Ginseng ist harte Arbeit. Dieses Buch hier auch, aber auf angenehme Weise!
© 2024 by Craig Thompson / Reprodukt
Bei der ersten Sichtung fällt der massive Umfang des Buches auf. Knapp 450 auf hochwertigem Papier gedruckte Seiten veredeln die deutsche Ausgabe aus dem Hause Reprodukt. Diese kommt, dem Werk entsprechend, in einer Hardcover-Ausgabe daher. Im Jahr 2003 machte Craig Thompson als damaliger Newcomer im Bereich der Comics mit einer im wahrsten Sinne des Wortes wuchtigen Arbeit weltweit von sich reden. Mit gerade einmal knapp unter 30 Jahren alt schlug seine Autobiografie „Blankets“ mit 600 Seiten Umfang in der Comicwelt ein. Dort erzählte Thompson von seinem Aufwachsen im mittleren Westen der USA, im christlich konservativen Umfeld, mit all seinen Facetten. Jetzt, nachdem ich „Ginsengwurzeln“ gelesen habe, muss ich „Blankets“ bei nächster Gelegenheit augenscheinlich einmal nachholen. Nicht umsonst ist derzeit eine Jubiläumsausgabe ebenfalls bei Reprodukt erschienen, stellt dieses Jahr doch das 20-jährige Jubiläum der deutschen Veröffentlichung dar.
Mit dem aktuellen Buch kehrt Thompson künstlerisch sprichwörtlich wieder zu seinen Wurzeln zurück. Ginsengwurzeln spielt ebenfalls zu einem großen Teil in seiner US-Heimat Wisconsin. Der konservative Bundesstaat, übrigens einer der berühmten Swing States bei den amerikanischen Wahlen, ist neben China der weltweit größte Produzent der Ginsengwurzel. Über diesen Fakt staunte ich als Leser doch nicht schlecht und von da an nahm mich Thompson mit auf eine Entdeckungsreise quer über den Erdball und durch unterschiedliche Zeitzonen. Nicht nur bringt er uns Lesenden die geschichtliche Entwicklung des Ginseng-Anbaus in Wisconsin, Kanada und China nahe, er zeigt uns auf zahlreichen Seiten, worauf es beim Anbau der Pflanze ankommt.
Das alles verwebt er in unterschiedlichen Zeitebenen, die einmal aus der Sicht als erwachsener Zeichner daherkommt und einmal aus der damaligen Kindersicht präsentiert wird. Teilweise geschieht dies wirklich beeindruckend dargestellt auf einer einzigen Comicseite. Es ist eine hohe Kunst, die Buchseiten so zu gestalten, dass die lesende Person immer der Absicht des Autors folgen kann. Dadurch, dass Thompson nicht die klassische Panelaufteilung nutzt, sondern das Artwork ein gewichtiger Teil der Erzählung ist, bleibt das Buch auch über die 400 Seiten spannend. Die Farbpalette nutzt hauptsächlich einen rötlichen Ton, aber auch weiße und schwarze Auslassungen sowie Schraffierungen finden sich im Artwork wieder – wirklich faszinierend und für mich in dieser Fülle und scheinbaren Leichtigkeit einzigartig.
Als Kind hat Craig Thompson zusammen mit seinem Bruder auf den Ginsengfeldern seiner Eltern geschuftet, während andere Kinder die Sommerferien genießen konnten. Ihren Lohn haben die beiden dann auch unmittelbar in die Comic-Hefte der damaligen großen amerikanischen Verlage gesteckt. Im englischen Original ist Ginsengwurzeln ebenfalls in Heft-Form erschienen und wurde in den USA, wie bereits einige andere Werke zuvor, sowohl von rechten als auch linken Gruppierungen angegriffen und denunziert. In meinen Augen immer ein „gutes“ Zeichen, denn es bedeutet, dass ein Künstler es sich nicht leicht macht und auch unbequeme Sachverhalte anspricht sowie kritisiert. Ginsengwurzeln spricht dabei inhaltlich globale Themen wie Ackerbau, Massentierhaltung, ganzheitliche Heilung und nicht zuletzt Ginseng an, macht hier und da einen kleinen politischen Diskurs, nur um dann im Kern auch ein sehr persönliches und reflektierendes Werk zu sein.
Eine besondere Erwähnung muss hier das Handlettering und die Übertragung in die deutsche Sprache erhalten, das ist wirklich ein ganz starkes Stück Arbeit, welche meinen vollen Respekt genießt. Dadurch, dass Thompson wie oben bereits erwähnt, wenig klassische Panels nutzt, mussten nicht nur die Sprechblasen eingedeutscht werden, sondern auch viele Begriffe, die Teil des Artworks sind, wurden übertragen und passend integriert.
Wenn ihr euch selbst ein Bild vom Artwork von „Ginsengwurzeln“ machen wollt, findet ihr hier ein paar Eindrücke auf der Verlagsseite.
Ginsengwurzeln ist erschienen bei Reprodukt:
- ISBN: 978-3-95640-434-4
- 456 Seiten
- zweifarbig
- 16,5 x 22,9 cm
- Hardcover
- 39,00 Euro
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