
Clair Obscur: Expedition 33 für den PC im Test – Rundenbasierter Kampf mit mageren Souls-Anleihen erobert das Spielejahr 2025
Geschrieben von Michael Barg am 06.05.2025
Dieses Spiel wurde mit folgenden PC-Spezifikationen gespielt: Microsoft Windows 11, 32 GB Ram (1600 MHz), NVIDIA GeForce RTX 3060 (mobile), Prozessor: AMD Ryzen 5 5600H. Einige Screenshots wurden mit folgenden PC-Spezifikationen erstellt: Microsoft Windows 11, 32 GB RAM (6000 MHz), NVIDIA GeForce RTX 4080 Super, Prozessor: Intel Core i7 14700K.
Selten hat ein Spiel eines unbekannten Entwicklerstudios so eingeschlagen wie Clair Obscur: Expedition 33, ein westliches Rollenspiel mit JRPG-Tiefe aus der französischen Spieleschmiede Sandfall Interactive. Auch wenn der Rollenspiel-Titan The Elder Scrolls IV: Oblivion Remastered wenige Tage vor dem Release von Clair Obscur veröffentlicht wurde, hinderte dies das Rollenspiel nicht daran, die Verkaufscharts aller Plattformen zu erklimmen. Hier fallen schon einige Aspekte auf: Dieses Mal war der Meister aller Rollenspiele, nämlich das Land der aufgehenden Sonne, nicht an der Entwicklung beteiligt und auch die US-amerikanischen Spielestudios hielten ihre Finger still. Clair Obscur kommt aus Europa – und scheint damit der Welt zu zeigen, was die Industrie hierzulande mittlerweile draufhat. Dazu gefüttert mit einem AA-Budget, bestehend aus einem Team mit 30 Kernmitgliedern und einer Menge Unterstützung vieler freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In diesem Test zeigen wir euch, was es mit Clair Obscur auf sich hat und ob sich Europas Spieleindustrie wirklich wie ein Phönix aus der Asche erhebt – und dabei eventuell neue Maßstäbe setzt, wie es der aktuelle Hype eben verspricht.
Da wir ursprünglich nicht geplant hatten, einige Zeilen zu Clair Obscur: Expedition 33 zu verlieren, haben wir privat via dem Game Pass auf dem PC ins Rollenspiel reingeschaut und den Titel auf Englisch genossen. Dementsprechend werde ich englisches Vokabular beim Beschreiben der Welt verwenden; etwaige Übersetzungen entsprechen unter Umständen nicht der Übersetzung, die ihr in der deutschen Fassung von Clair Obscur: Expedition 33 finden werdet. Darüber hinaus betten wir folgend die Screenshots meiner Kollegin Kerstin ein, welche mit deutschen Texten daherkommen.

Die Expedition 33 segelt los, um den Kreislauf des Todes zu durchbrechen
© Sandfall Interactive / Kepler Interactive
Wie im Genre üblich, wird der Rahmen eines Rollenspiels von der Geschichte geschaffen, bei welcher wir auch sofort einsteigen. In Clair Obscur: Expedition 33 landet ihr in einer fiktiven Version der Stadt Paris, welche den Namen Lumière trägt. Die Welt ist zersetzt, verzerrt und teilweise stark zerstört. In ihr leben französische Bewohnerinnen und Bewohner, welche gebannt auf eine neugemalte Zahl in der Ferne starren. Die Nummer 33 erleuchtet den Horizont und wurde von der mysteriösen Paintress (Malerin) gemalt. 67 Jahre ist es nun her, als Expedition 100 in See stach, um der mysteriösen Nummer auf den Grund zu gehen. Jahr für Jahr verringert sich die Zahl – und sorgt für das Massensterben aller, die das Lebensjahr dieser Zahl erreichen. Nach und nach verschwinden die Menschen, werden ausgemerzt, und die Bevölkerung verjüngert sich maßgeblich. Selbst nach all den Jahren konnte die wiederkehrende Gommage (das Verschwinden der Menschen) nicht gestoppt werden – und trotzdem setzen die Menschen jährlich ihre ganze Hoffnung auf die neue Expedition, welche gen Horizont mit der leuchtenden Zahl segelt.
Zu dieser Expedition 33 gehören Gustave, Lune und Maelle – die drei letzten Überlebenden, als die Truppe auf der anderen Seite ankommt. Ihr Leben lang haben sie für diesen Moment trainiert, Lune richtete sogar ihre ganze Wissenschaft auf die Welt der Paintress aus und Maelle möchte in keiner Welt leben, in welcher sie nur ihrem Tod entgegenfiebert. Sie entschließt sich mit gerade einmal 16 Jahren, ihrem brüderlichen Freund Gustave in die Welt der Paintress zu folgen.
Auch wenn die Story erstmal nach einer Informationsflut klingt, was sie auch ist, haben die Autorinnen und Autoren einen fantastischen Prolog hingelegt, der nicht nur amüsant, sondern auch informativ die Ausgangslage eurer Expedition erklärt. Die Welt wirkt fantasiereich, setzt trotzdem klare Grenzen in dem, was möglich sein könnte. Schnell habe ich die Charaktere und ihren Charme ins Herz geschlossen und wurde immersiv in die Welt von Lumière und der Paintress hineingezogen. Das lag unter anderem an dem wirklich gelungenen Writing, welcher allen Charakteren authentisches Leben einhaucht – sei es die mutige Maelle oder die kritische und fürsorgliche Lune; alle Teammitglieder bringen ihre eigenen Nuancen mit und machen die Reise zu einem kurzatmigen und unfassbar spannenden Ereignis. Die Kirsche auf der Torte: Das Spiel hat Humor! Es gibt einige Passagen, die wuchtig sitzen und den ein oder anderen Lacher hervorrufen. Würde Clair Obscure: Expedition 33 nicht noch ein fantastisches Kampfsystem, unsagbar schönes Aussehen gepaart mit ausgezeichnetem Soundtrack liefern, wäre die Story mein Highlight – aber das ist erst der Anfang dieser Expedition.

Auch eine weitläufige Oberwelt mit vielen optionalen Abenteuern wartet auf euch
© Sandfall Interactive / Kepler Interactive
Ihrem Tod also entgegenblickend reisen Gustave, Maelle und Lune in die Welt der Paintress, um dem Todeskreislauf ein für alle Mal das Handwerk zu legen – mit dem „einfachen“ Ziel, die Malerin hinzurichten. Ihr merkt, das Storytelling ist sehr zugänglich und erzählt eine simple Heldengeschichte, die in ihrer Aufarbeitung jedoch mit reichlich Finesse und sehr klugem Design daherkommt. Auf dem Weg durch die Welt der Paintress entdecken Gustave & Co. nämlich nach und nach, was ihren Expeditionspartnern der vergangenen Reisen widerfahren ist – obwohl nicht eine einzige Person jemals zurückkehrte und nahezu alle ihr Leben auf dem Weg zur Paintress ließen. Sie finden eben einige Hinterbleibsel „for those who come after“.
Diese Informationshäppchen werden entweder durch ebenfalls klug geschriebene Charaktere erzählt, auf welche ihr auf der Reise trefft, oder durch verschiedene vertonte Journals. Diese erzählen von Schicksalen, welche die vorherigen 66 Expeditionen durchmachen mussten. So erschließt ihr euch still und langsam die Welt von Clair Obscur: Expedition 33. Auch einige Plottwists sind mit von der Partie, ich finde allerdings, das Spiel glänzt durch seine Charaktere und die Welt. Zudem ist angenehm, nicht alles vorgekaut zu bekommen, sondern nach und nach setzt sich das Puzzle der umfangreichen Story zusammen – und wirkt so umso stärker, solltet ihr alles durchblickt haben.
Anders als in gängigen Rollenspielen ist das Leveldesign von Clair Obscur: Expedition 33 sehr linear und gibt eine klare Richtung vor. Im späteren Spielverlauf öffnet sich die Welt etwas und ihr könnt wenigen Nebenmissionen nachgehen, die euch mehr über die Story erklären, aber auch einige Outfits, Waffen oder Pictos (dazu später mehr) bescheren. Wer jedoch auf „Expedition“ gehen will, ist hier an der falschen Adresse – Erkundung wird geringfügig belohnt, Clair Obscur bleibt aber bis zum Schluss recht linear mit ein paar wenigen Ausreißern. Und das ist auch gut so: Es ist erfrischend zu sehen, wie ein weitestgehend lineares Spiel trotzdem langatmige Inhalte (im Postgame) bis zu 80 Stunden bereitstellt. Es gibt ordentlich was zu tun, denn die Nevron, die feindlich gesinnten Lebewesen der malerischen Welt, erledigen sich ja nicht von selbst.
Also, wie hat es ein rundenbasiertes Rollenspiel wie Clair Obscur: Expedition 33 in den westlichen Mainstream geschafft? Nun, dafür gibt es definitiv einige Gründe, die in einem externen Spezial erläutert werden könnten, allerdings zählt definitiv die kleine Neuausrichtung des rundenbasierten Kampfsystems dazu. Während interaktive Rundenkämpfe beispielsweise nach Sea of Stars nichts Neues mehr sind, setzt Sandfall Interactive noch einen drauf und spielt vor allem mit Anleihen, die ich vorher nur aus Sekiro: Shadows Die Twice oder anderen FromSoftware-Vertretern kannte. Natürlich gebt ihr Gustave & Co. klassischerweise allerlei Befehle, die gegnerischen Reihen zu durchbrechen. Auch taktische Tiefe ist dabei, siegreich geht ihr allerdings nur hervor, wenn ihr die Ausweich- und Kontermöglichkeiten meistert. Etwaige Kritik musste Clair Obscur: Expedition 33 vor allem hier einstecken, weil das Kampfsystem besonders am Anfang und für das eher ungeübte Auge etwas undurchsichtig, ja stellenweise zu schwer ist. Ich, der allerdings in den Zwischenlanden von Elden Ring oder der Welt von Sekiro: Shadows Die Twice aufgewachsen bin, hatte keine großen Schwierigkeiten mit den Kämpfen. Die Ausweichfunktion beschenkt euch mit einigen fairen Frames an Unverwundbarkeit, kontern könnt ihr allerdings nur, wenn ihr im perfekten Moment blockt. Ein eher riskantes Spielverhalten wird auch ordentlich belohnt, indem ihr im Kampf gesammelte Skillpunkte erhaltet, oder je nach Ausrüstung auch Lebenspunkte zurückbekommt.

Das kluge Kampfsystem stellt mit seinen Paraden definitiv ein Highlight von Clair Obscur dar
© Sandfall Interactive / Kepler Interactive
Ähnlich wie bei Octopath Traveler sammelt ihr AP, womit ihr im Laufe des Kampfes stärkere Fähigkeiten einsetzen könnt, die mehr AP verlangen. Hier kommt strategische Tiefe ins Spiel, welche bis zum allerletzten Kampf durch verschiedene Skilltrees ausgebaut wird. Weder im eigentlichen Kampf noch in der Vorbereitung tritt in Clair Obscur: Expedition 33 daher auch nur eine Sekunde Langeweile auf. Wie bereits das Storytelling sowie die fiktive Welt überzeugt auch das Kampfsystem in voller Linie, begrüßt Rollenspielneuankömmlinge, hat aber auch einige warme Plätze für Veteranen übrig. Besonders das Konter-System hat es mir äußerst angetan und macht bis zum Schluss unfassbar Laune. Hier hätte ich mir allerdings gewünscht, dass Kämpfe im Kampfmenü sofort neugestartet werden könnten. Nicht selten steckt ihr zu Beginn des Kampfes unfreiwillig einige Angriffe ein – hier hätte es sich angeboten, den Kampf direkt neu zu beginnen und richtig durchzustarten – wie bei FromSoftware-Titeln eben.
Aber nicht nur die Ausweich- und Konter-Funktion erinnern an ein Soulslike, in Clair Obscur: Expedition 33 geratet ihr ebenfalls an Stützpunkte, die zum kurzen Verweilen einladen und eure Ressourcen auffüllen. Klar, das gibt es auch in anderen Spielen und zählt nicht mehr exklusiv zur Souls-Formel, aber auch das Weltendesign sowie Charakter- bzw. Monsterdesign scheinen sehr Souls-inspiriert zu sein. Und das soll keine Kritik darstellen, im Gegenteil: In einem rundenbasierten Rollenspiel durch eine solche Welt zu wandern mit sehr gelungenem Kampfsystem, welches Souls-Elemente beinhaltet, ist eine Meisterklasse der Game Design-Philosophie. Daher: Chapeau, Sandfall!

Zwar gibt es keine Handschuhe und Schulterplatten, die ihr anlegen könnt, Pictos und Waffen sorgen aber für ordentliche Rollenspieltiefe
© Sandfall Interactive / Kepler Interactive
Alteingesessene Rollenspielveteranen könnten das Spiel mit Buffs und Debuffs vermissen, auch gesonderte Ausrüstungsgegenstände gibt es nahezu keine, denn auch hier bleibt Clair Obscur weitestgehend linear – dafür könnt ihr euch im sehr tiefgehenden Picto-System austoben. Bei Pictos handelt es sich um Fragmente, die euren Charakter verstärken. Habt ihr eines angelegt, gibt es einige passive Boni, die euren Helden in eine kämpferische Richtung lenken. Beispielsweise erhaltet ihr besondere Belohnungen, wenn ihr perfekt ausweicht, darüber hinaus beschert euch das Picto noch weitere HP. So gibt es grenzenlose Möglichkeiten, wie ihr eure Party ausrüsten und kombinieren könnt. Habt ihr zudem vier Kämpfe mit einem angelegten Picto gewonnen, könnt ihr dieses allen Partymitgliedern anlegen, indem ihr einige Lumina-Punkte verteilt. Hier steht euch rollenspieltechnisch alles offen und ihr könnt wirklich brutale Kombinationen auf den Bildschirm rufen. Ausprobieren und Entfaltung werden hier definitiv belohnt.
Wenn ihr bis hierher durchgehalten habt, müssen wir nur noch das visuelle sowie auditive Auftreten des Spiels belohnen. Wir sprechen hier immer noch von einem AA-Titel, der aber auch hier in den höchsten Rängen der Unterhaltungsindustrie mitspielen kann. Wie ihr in den Screenshots sehen könnt, schaut Clair Obscur: Expedition 33 einsame Klasse aus. Die Welt ist düster, teilweise sehr grau und monochrom, aber dafür unheimlich hübsch. Jedes Charaktermodell ist unfassbar schön und besonders die Feinde haben es mir richtig angetan. Gerne wäre ich noch länger durch die Welt von Lumière gestreift und hätte mir die Assets angeschaut; hier wird wirklich einiges fürs Auge geboten.

Clair Obscur: Expedition 33 ist ein Rollenspielabenteuer, das wir so schnell nicht vergessen werden
© Sandfall Interactive / Kepler Interactive
Damit die Ohren nicht zu kurz kommen, ertönt ein ebenfalls fantastischer Soundtrack. Sei es in eher emotionalen Momenten oder als Unterstützung in hitzigen Gefechten, die euren Herzschlag in die Höhe stolpern lassen. Die orchestralen Töne setzen in den richtigen Momenten ein und verstärken gekonnt jegliche Emotion, sodass der laute Lacher nochmal stärker sitzt, oder die ein oder andere Träne schneller über die Wange fließt. Auch hier spielt Sandfall Interactive dementsprechend in den höchsten Tönen mit – was sich zudem wirklich sehen lassen kann. Jede Szenenaufnahme ist qualitativ wirklich unerwartet hochwertig.
Die Wertigkeit wird darüber hinaus von einem wundervollen Cast an Schauspielerinnen und Schauspielern erreicht. Aus Spoilergründen werden wir nicht auf alle Stimmen im Spiel eingehen können, allerdings taucht die Herr der Ringe-Legende Andy Serkis schon früh im Spiel auf und lässt uns erneut über Clair Obscurs Szenenbild staunen. Zusammen mit Animationen und der Grafik in einer hohen Liga wirkt die Geschichte rund um Gustave, Lune und Maelle unsagbar authentisch und immersiv. Wirklich fantastisch!
Zu guter Letzt verliere ich noch kurze Sätze zur Performance: Mein PC ist mittlerweile nicht mehr der neuste und konnte Clair Obscur: Expedition 33 trotzdem problemlos stemmen. Bei dem Kampfsystem ist ein flüssiges Bild auch wirklich wichtig, denn jeder Ruckler kann dafür sorgen, dass ihr den richtigen Konter verpasst. Sandfall Interactive hat jedoch bereits an Tag 1 einen wunderbar funktionierenden Build veröffentlicht, sodass ihr ohne Sorgen reinschauen könnt. Da der Titel im Game Pass zur Verfügung steht, gibt es eigentlich auch keine Ausreden mehr – möchtet ihr lieber zur Retail greifen, müsst ihr 49,99 Euro auf den Tisch legen. Ein mehr als nur gerechtfertigter Preis für so eine Abenteuer-Wucht, die ihr so schnell nicht mehr vergessen werdet. Wir sagen Merci, Sandfall Interactive, für diese tolle Spielerfahrung und hoffen, dass andere europäische Studios unseren Kontinent ebenfalls zum Aushängeschild der Spieleindustrie machen!