APE Historie
Geschrieben von FALcoN am 29.10.2016
Viele unserer geliebten Videospiele werden von Firmen hergestellt, die bereits eine lange und interessante Geschichte hinter sich haben. Eine dieser Firmen wollen wir euch heute wieder vorstellen. Diesmal handelt die Geschichte von einem Entwicklungsstudio, dessen Name immer wieder in Spielen aus dem Hause Nintendo auftaucht, dessen Bedeutung aber kaum Jemand kennt: APE. Die Belegschaft war eine Zusammenkunft von Zeichnern, Autoren, Designern und Musikern und schrieb vermutlich nie selbst eine Codezeile. Dennoch wurden hier die Videospielreihen Mother alias Earthbound und Picross geboren.
APE ist bzw. war ein japanisches Studio zur Entwicklung von Videospielen. Die Firma hatte ihren Sitz in der japanischen Hauptstadt Tokyo.
Status des Unternehmens: inaktiv
Beziehung zu Nintendo: Wurde 1988 als Tochterunternehmen von Nintendo gegründet.
Am 10. November 1948 wird in der japanischen Kleinstadt Meabashi, die sich etwa 100km nördlich von Tokyo in der Präfektur Gunma befindet, Shigesato Itoi geboren. Während seiner Kindheit entwickelt er eine Leidenschaft für Manga und wünscht sich einmal selbst ein Manga-Zeichner und Autor zu werden. In seiner Jugend weitet sich sein Interesse auf die Literatur im Allgemeinen und auch auf das Theaterwesen aus. Nach Beendigung der Oberstufe beginnt er an der renommierten Hosei University of Tokyo ein Studium der Literatur. 1968 nimmt er an den großen Studentenprotesten in Japan teil, die wegen schlechter Bedingungen an den Universitäten, dem Vietnamkrieg und der steigenden Umweltverschmutzung entstehen. Als diese schließlich im Januar 1969 beendet werden und die Studenten zu den Universitäten zurückkehren, bricht Itoi hingegen sein Studium ab und beschließt, sich nach einem Job umzusehen.
Dieses eher glücklose Unterfangen lässt ihn 1971 an die Hochschule zurückkehren, wo er sich nun mit der Tätigkeit des Werbetexters vertraut macht. Nach Abschluss der Hochschule beginnt er, für verschiedene kleinere Unternehmen Werbetexte zu verfassen. Der Durchbruch gelingt ihm 1983 mit einer Anzeige für die japanische Kaufhaus-Kette The Seibu Department Stores. Durch seine kurzen aber prägnanten und zum Teil provozierenden Werbesprüche wird die japanische Film- und Musikbranche auf ihn aufmerksam. Auch das damals junge Studio Ghibli, das heute für zahlreiche Animationsfilme wie z.B. Chihiros Reise ins Zauberland bekannt ist, nimmt seine Dienste ab Mitte der 80er häufiger in Anspruch. Doch der Beruf als Werbetexter bleibt für ihn überwiegend ein Geldverdienst. Seine Passion ist das Erzählen von Geschichten. Und so beginnt er, ab 1979 immer wieder Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Auch der Poesie widmet er sich immer häufiger in Form von Essays.
Als Mitte der 80er Jahre durch die neuen Heimkonsolen wie dem Famicom (NES) und dem Sega Master System Videospiele auch außerhalb der Automatenhallen in Japan steigende Popularität erfahren, beginnt auch Itoi, sich Gedanken über ein Videospiel zu machen. Er selbst ist zu diesem Zeitpunkt ein großer Fan der Dragon Quest-Reihe. Doch er weiß zunächst nicht, wem er seine Idee vorschlagen könnte. Schließlich hatte er bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Kontakt zur Videospielbranche gehabt. Doch wie es der Zufall will, erhält er zu dieser Zeit im Jahr 1987 einen Anruf von Nintendo. Der Konzern möchte seine Dienste für eine Anzeigenkampagne zu einem neuartigem Spiel für das Famicom Disk System in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um eine der ersten Dating-Simulationen mit dem Namen Miho Nakayama no Tokimeki High School. Itoi ergreift die Chance und erwähnt nebenbei seine Ideen zu einem Videospiel. Er erhält die Möglichkeit, in einem Gespräch mit Shigeru Miyamoto den Konzern für seine Idee zu begeistern. Miyamoto selbst ist von dem Konzept, das Itoi vorschwebt, wenig angetan und gibt ihm wenig Hoffnungen auf eine Umsetzung. Doch Miyamoto muss Hiroshi Yamauchi, dem damaligen Präsidenten von Nintendo, Bericht erstatten. Und dieser vertritt eine ganz andere Ansicht. Er glaubt, dass ein Aussenstehender wie Itoi neue kreative und innovative Impulse bei der Entwicklung von Spielen geben kann. So erhält Itoi kurz darauf einen weiteren Anruf von Miyamoto persönlich, der ihm erklärt, dass sein Videospiel-Projekt grünes Licht erhalten hat.
Um das Videospiel umzusetzen, wird von Yamauchi und Itoi eigens ein Studio gegründet: APE, Inc.. Itoi stellt dort ein Team aus Designern, Autoren und Komponisten zusammen. Mit diesen will er das Spielkonzept, die Grafiken und die Musik ausarbeiten. Da Itoi keinerlei Erfahrung mit der Programmierung von Spielen hat und sein Team überwiegend aus Künstlern besteht, muss Nintendo ein externes Studio für diese Aufgabe suchen. Nintendo wird dabei bei Pax Softnica fündig. Ein unabhängiges japanisches Entwicklungsstudio, das bereits mehrmals mit Nintendo zusammengearbeitet hatte. Nachdem die Formalitäten abgeschlossen sind, beginnt die Entwicklung des Spiels 1988. Als Spieletitel wählt Itoi Mother. Warum? Erstens als Bezug zu dem gleichnamigen Song von John Lennon, der Itoi sehr bewegt hat, und zweitens, weil es sich von den bisherigen Rollenspielnamen, die häufig Worte wie Legend, Fantasy und Quest beinhalten, deutlich abheben soll.
Die Entwicklung von Mother verläuft relativ problemlos und so wird das Spiel nach rund einem Jahr fertiggestellt und landet am 27. Juli 1989 in den japanischen Händlerregalen. Warum das Spiel aber als so kreativ angesehen wird, kann man erst auf den zweiten Blick erkennen. Denn der erste Blick lässt es zumindest spielerisch wie ein simpler Klon von Final Fantasy und Dragon Quest erscheinen. Und auch das moderne Setting wurde zuvor schon in anderen Rollenspielen aufgegriffen. Der wirkliche Unterschied macht sich erst im Spielverlauf bemerkbar. So bietet es eine völlig offene und nicht lineare Spielwelt. Nach dem Prolog kann fast jeder Punkt der Spielwelt besucht werden, vorausgesetzt, man überlebt die Begegnungen mit den Gegnern lange genug. Denn der Schwierigkeitsgrad ist absurd hoch. Auch die Erzählung der Handlung fällt sehr bescheiden aus. Ein Zustand, den man von einem Spiel, das maßgeblich von einem Literat gestaltet wurde, nicht erwarten würde. Bis auf den Prolog bietet das Spiel nur noch zum Ende hin eine ordentliche Erzählung. Wenn man das so liest, fällt einigen Lesern jetzt vielleicht eine aktuell sehr beliebte Spielereihe ein: Dark Souls. Und in gewisser Weise könnte man das Mother als Ur-Dark Souls bezeichnen.
Ein weiterer Punkt, der das Spiel damals von der Konkurrenz abhebt, ist der skurile Humor von Mother. Itoi lies seiner Fantasie eines überzeichneten Amerikas freien Lauf: Hippies und Zigarren rauchende Krähen mit einem Baseballschläger verprügeln – kein Problem. Heilen kann man sich nach den Kämpfen übrigens mit Hamburgern und Fritten, während man sich mit sprechenden Abfalleimern unterhält. Das Spiel wird von der Presse überwiegend positiv aufgenommen und mit insgesamt rund 400.000 verkauften Exemplaren ein großer Erfolg. Dies führt dazu, dass Nintendo den Entschluss für eine Lokalisation von Mother für den Westen trifft. Diese ist 1990 abgeschlossen, wird aber im letzten Moment wegen der anstehenden Veröffentlichung des SNES nicht mehr in Produktion gegeben. Ein Prototypen-Modul taucht zu einem späteren Zeitpunkt auf und dessen ROM wird unter dem Titel EarthBound Zero über das Internet verbreitet. Erst am 14. Juni 2015 wird die westliche Version offiziell von Nintendo unter dem Namen EarthBound Beginnings im eShop der Wii U veröffentlicht. Die Lokalisation wurde allerdings mit zahlreichen Schnitten versehen, die damals bei Nintendos westlichen Versionen üblich waren. So fehlen religiöse Symbolen und die Darstellung von Blut. Den bereits erwähnten Krähen wurden die Zigarren weggenommen. Im Gegenzug wurde das Finale des Spiels wesentlich umfangreicher gestaltet als in der japanischen Fassung.
Direkt nach der Fertigstellung von Mother kehrt die Mehrheit der APE-Belegschaft in ihre vorherigen Berufe zurück. Doch aufgrund des kommerziellen Erfolges überredet Nintendo Itoi, an einem Skript für einen Nachfolger zu arbeiten. Und so wird nach einem Jahr Leerlauf das Studio APE wieder aktiv. Der Großteil des Teams kommt wieder zusammen und beginnt 1990 mit den Arbeiten an Mother 2. Für die Programmierung der Fortsetzung wird dieses mal aber nicht Pax Softnica beauftragt. Diese Ehre wird nun Nintendos engerem Verbündeten HAL Laboratory zuteil. Da das Spiel für Nintendos leistungsfähigere 16-bit Konsole, dem Super Nintendo Entertainment System, entwickelt werden soll, ist die Begeisterung und der Optimismus zunächst bei allen Beteiligten groß. Doch schon bald machen sich erste Probleme bei der technischen Umsetzung bemerkbar. HAL Laboratory hat zunächst große Probleme, sich an die neue Konsole und die dortigen Eigenheiten zu gewöhnen. Vor allem die isometrische Darstellung des Spiels bereitet anfangs große Probleme und das geplante Modul mit einer Größe von 8MBit bietet kaum genügend Platz für die geplante Musik und Toneffekte.
Satoru Iwata (rechts) gilt als Retter von Mother 2, da Shigesato Itoi (links) und sein Entwicklerteam feststecken.
Wegen dieser Hindernisse geht es einige Zeit nicht wirklich vorwärts mit dem Projekt. Nintendo und HAL Laboratory führen daraufhin einige personelle Veränderungen durch. So wird zum Beispiel der Posten des Leitenden Programmierers an einen Mann mit dem Namen Satoru Iwata, der später einmal Präsident von Nintendo werden sollte, vergeben. Ihm gelingt es, die nötigen Impulse für ein Vorankommen zu geben. Auch APE selbst wird personell erweitert: Tsunekazu Ishihara, der heutige Präsident von The Pokémon Company, wird als Designer angestellt und erstellt Grafiken für die Spezialeffekte in EarthBound. Dazu kommen noch viele andere Personen wie Hiroyuki Jinnai, Akihiko Miura, Akihito Toda, Masayuki Miura, die bis heute vor allem für die Pokémon-Marke tätig sind.
Der erste von Nintendo offiziell kommunizierte Release von Mother 2 soll im Januar 1993 erfolgen. Doch weiterhin machen vor allem der kleine Speicher der SNES-Module Probleme, obwohl mittlerweile schon 12MBit zur Verfügung stehen. Und so muss das Spiel verschoben werden. Letztendlich gelingt das Spiel nach über vier Jahren Entwicklung, damals selbst für ein Rollenspiel eine sehr lange Schaffensphase, am 27. August 1994 in die japanischen Geschäfte – auf einem 24MBit-Modul. Mother 2 wird von den japanischen Medien überwiegend positiv aufgenommen. Und auch die Spieler sind begeistert, was mehrere 100.000 verkaufte Exemplare in den ersten Wochen bescheinigen. Das Spiel ist in allen Bereichen einfach besser als das Serien-Debüt.
Auch eine Lokalisation für den Westen wird, wie schon beim Vorgänger, umgesetzt. Diesmal soll sie aber tatsächlich (zumindest in Amerika) auf den Markt gelangen. Im Sommer 1995 ist es soweit. Das Spiel wird in einer sogenannten BigBox ausgeliefert, die einen Spieleberater beinhaltet. Begleitet wird der Launch von EarthBound, so der amerikanische Name des Spiels, von einer großen Marketing-Kampagne, für die Nintendo of America schätzungsweise rund 2 Millionen Dollar in die Hand nimmt. Berüchtigt sind noch heute der Werbeslogan "This game stinks!" und die Scratch and Sniff Cards (mit einem Geruch versehene Karten zum Aufrubbeln und Riechen) zum Spiel. Vielleicht sorgt gerade diese fragwürdige Kampagne dazu, dass EarthBound in den USA nicht gerade gut ankommt. Die Amerikaner bevorzugen zusätzlich mehr das Fantasy-Setting eines Final Fantasy oder Dragon Warriors. Außerdem empfinden viele dort den Grafikstil als zu bunt und kindlich. Die Folge: Das Spiel verkauft sich nur knapp 150.000 mal in den USA. Ein Europa-Release, sollte er jemals geplant gewesen sein, erledigt sich damit.
Nach der Veröffentlichung von Mother 2 in Japan, macht sich diesmal Itoi daran, die Initiative für einen weiteren Teil der Rollenspielreihe zu ergreifen. Doch bei Nintendo herrscht zu dieser Zeit eher eine vornehme Zurückhaltung. Dennoch wird 1994 mit dem Konzept eines dritten Ablegers begonnen, der zunächst für das geplante CD-Laufwerk des SNES erscheinen soll. Damit wären Speicherprobleme, die maßgeblich die Entwicklung des zweiten Teils verzögert hatten, dieses Mal kein Stolperstein. Wie schon bei Mother 2 sollen APE und HAL Laboratory für die Entstehung der Fortsetzung zusammenarbeiten. Das Super Famicom CD wird allerdings aufgegeben und so wird das Projekt auf die Nachfolgerkonsole, das Nintendo 64, verschoben.
Das Konzept zur Picross-Franchise stammt ursprünglich von APE, während Jupiter damals die Programmierung übernahm.
Genau zu dieser Zeit steht das Arbeitsklima bei APE allerdings nicht zum Besten. Viele haben nach der problembehafteten Entwicklung von Mother 2 erstmal genug von der Serie und sehnen sich nach anderen Projekten. Auch der nun vollzogene Systemwechsel lässt neue Probleme erahnen. Und so wandert ein Großteil des Teams unter Führung von Tsunekazu Ishihara ab und gründet 1995 das Unternehmen Creatures, welches sich sogleich mit Game Freak zusammentut, um sie bei der Fertigstellung ihres ersten Pokémon-Spiels zu unterstützen. APE wird daraufhin von Itoi und Nintendo in eine Art Ruhemodus versetzt, der bis heute anhält. Heute verwaltet die Firma nur noch die Rechte an der Mother-Serie. Dies ist der Grund, warum dessen Name bis heute noch gelegentlich in Spielen und anderen Medien auftaucht, wenn Inhalte aus der Mother-Serie enthalten sind (wie z.B. in Super Smash Bros.). Unabhängig davon wird unter Itois und Iwatas Führung bei HAL Laboratory die Arbeit an Mother 3 zunächst fortgeführt. Doch dies ist eine andere Geschichte, die nach über 10 Jahren bei dem Nintendo-Studio Brownie Brown ihr Ende findet.
Während seiner Schaffensphase arbeitet APE übrigens nicht nur an der Mother-Reihe. Einige Mitarbeiter, allen voran Ishihara, unterstützen durch Grafiken zum Beispiel Game Freak bei der Entwicklung von Mario & Wario (1993) für das SNES. Und zusammen mit dem damals jungen Studio Jupiter wird 1995 die Picross-Reihe ins Leben gerufen, die sich bis heute bei Puzzlefans großer Beliebtheit erfreut und auf fast allen Nintendosystemem ihren Auftritt hat. Abseits der Spielegestaltung veröffentlicht APE zusammen mit dem Verlag Shogakukan mehrere Lösungsbücher und Bildbände zu Videospielen aus dem Hause Nintendo wie Donkey Kong, Mother oder Zelda