Europäische Architektur in japanischen Videospielen Spezial
Geschrieben von Max Kluge am 14.09.2017
Im Laufe der letzten Jahre ist mir in der Videospielszene, und vor allem in den Werken japanischer Entwickler, etwas Interessantes aufgefallen. Viele Spiele sind voll von kulturellen Referenzen, Anspielungen und Andeutungen, die meistens nicht aus dem gleichen Kulturraum, wie die Entwickler selbst, stammen. Im Rahmen meines Studiums wurde ich schließlich mit der Theorie der Transkulturalität konfrontiert, welche besagt, dass sich Kulturen durch Austausch stetig miteinander vermischen und in ihrer puren Form somit überhaupt nicht existieren können. Schließlich haben wir alle Verwandte oder Freunde, die nicht aus unserem Heimatland stammen. Unterbewusst gliedern wir uns an diese an und erschaffen unsere Kultur fortwährend neu.
Was soll nun das ganze philosophische Geblubber? Nun, mir ist aufgefallen, dass es in japanischen Videospielen oftmals vorkommt, dass westliche, und vor allem europäische, Architektur für die Erschaffung bestimmter Welten und Schauplätze verwendet wird. Hier möchte ich euch ein paar Beispiele aufzeigen und versuchen, dem Grund ein wenig auf die Spur zu kommen. Und außerdem wollte ich immer schon mal eine meiner Lieblingsspielserien in einem Spezial verwenden, ihr habt mich erwischt! Also fangen wir doch gleich mal mit einem interessanten Beispiel an: Dark Souls!
Dass sich die Dark Souls-Reihe in ihrer Optik sehr an der Manga-Reihe „Berserk“ von Kentaro Miura anlehnt, dürfte einigen von euch bekannt sein. Der übergreifende Stil, die Gegner und die Waffen verschlagen euch in ein düsteres Fantasy-Setting, in dem eine bedrohliche und unheilvolle Stimmung vorherrscht. Auch die Architektur der Festungen und Städte erinnert, wie auch in Berserk, sehr an das europäische Mittelalter. Eines der besten Beispiele hierfür ist die Stadt Anor Londo, die ihr im Spiel mit Hilfe von viel Schweiß und Tränen durchqueren müsst.
Mal abgesehen davon, dass die Entwickler hier wirklich ein architektonisches Meisterwerk erschaffen haben, sind natürlich ihre Einflüsse ebenso interessant: Schaut euch doch einmal das Bild der großen Kathedrale in Anor Londo aus Dark Souls 3 an. In der Mitte erhebt sich ein großes Kathedralen-Schiff, welches von zwei Türmen, die durch Treppen damit verbunden sind, flankiert wird.
Vergleicht man dies mit Notre Dame, der Kathedrale des Erzbistums Paris, kann man diverse Ähnlichkeiten ausmachen. Zum einen wurde die grobe Struktur des Gebäudes in ähnlichen Zügen übernommen: Wir haben ein kleineres Schiff in der Mitte, welches von zwei Türmen an den Seiten flankiert wird. Zwar sind die Größenverhältnisse anders, eine grundlegende Übereinstimmung ist jedoch zu erkennen. Des Weiteren finden sich drei Eingänge in die Kathedrale, welche durch gotische Steinbögen, also Bögen, die oben spitz zulaufen, dekoriert sind.
Ein ebenfalls sehr auffälliges Merkmal, welches beide Kathedralen aufweisen, ist das kreisrunde, florale, Fenster in der Mitte des Schiffs. Dieses wird auch „Fensterrose“ genannt und ist vor allem ein Merkmal von gotischen Kirchen. Ihre runde Form soll den Kreislauf des Lebens und die Vollkommenheit der Welt, im christlichen Glauben häufig mit der Allgegenwart Gottes assoziiert, darstellen. Zweifelsohne ist eine Fensterrose aber auch stets ein Prestigeobjekt und Augenfänger gewesen, welches Pilger oder Touristen angezogen hat.
Man kann also zusammenfassen, dass sich die Entwickler von Dark Souls bei der Kathedrale von Anor Londo bei diversen Elementen der mittelalterlichen Baukunst, vor allem aus der Gotik, bedient haben. Ein Element, das dies ebenfalls bestätigt, sind die Giebelbögen, welche als dekoratives Element über vielen der Fenster und auch der Fensterrose an sich angebracht sind.
Ähnliche Einflüsse finden sich auch in den Spielen der Castlevania-Reihe. Hier ist neben der Anlehnung an europäische architektonische Merkmale allerdings auch der Schauplatz an sich eine direkte Anspielung auf die Sagen und Geschichten um Vlad III. Draculea, der Mitte des 15. Jahrhunderts in Rumänien gelebt hat. Castlevania, das NES-Spiel aus dem Jahre 1987, nahm es dabei mit der Datierung nicht ganz so genau und verfrachtete das Ganze einfach in das auslaufende 17. Jahrhundert.
Der Spieler schlüpft hierbei in die Rolle von Simon Belmont, der Graf Dracula ein für alle Mal besiegen möchte. Dabei muss er in das Schloss des Vampirs eindringen und sich gegen eine Menge Feinde zur Wehr setzen. In Japan kamen die Spiele daher auch unter dem Namen akumajô dorakyura („Teufelsschloss Dracula“) auf den Markt. Besagtes Schloss gibt uns erneut die Chance, den Einflüssen der Entwickler auf die Spuren zu kommen.
Bereits anhand des kleinen Screenshots aus Castlevania II: Simon's Quest sieht man, dass sich die Erschaffer des Spiels eindeutig an romanischer Architektur orientiert haben. Dies kann man an den Säulen und den romanischen Bögen ausmachen, welche rund zulaufen, anstatt wie bei der Gotik, spitz. Generell erinnert die Szene jedoch eher an einen römischen Tempel als an ein Schloss zu Beginn der frühen Neuzeit. Dieser Eindruck wird vor allem von den Säulen verstärkt, welche eine glatte Oberfläche aufweisen.
Aber was genau fasziniert die japanischen Spieleschmieden so an europäischer Architektur? Im Endeffekt lässt sich dieses Phänomen auch bei uns betrachten. Alles, was uns nicht bekannt ist, was anders oder exotisch ist und uns den Eindruck von Abenteuer und ungeahnten Wundern vermittelt, wirkt anziehend. Schließlich haben auch in unserer Popkultur Mythen rund um Samurai, chinesische Kampfkünste oder asiatische Lebensweisheiten Hochkonjunktur. Das Ungewisse, Mysteriöse regt die Fantasie an und lässt einen in Tagträumen von Welten schwelgen, die so überhaupt nicht existieren.
Bereits Draculas Schloss in Castlevania II: Simon's Quest lässt Ähnlichkeiten zur europäischen Architektur des Mittelalters erkennen.
Im Beispiel Japans sind es schließlich die Burgen und Schlösser des europäischen Mittelalters, die besonders exotisch und interessant wirken. Diese möglichst authentisch nachzubilden ist dabei nicht immer das Ziel der Entwickler. Während dies bei Dark Souls noch relativ gut funktioniert, sind vor allem ältere Spiele eher unkorrekt und bedienen vielmehr Klischees und Sehgewohnheiten. Natürlich mag dies nur ein Faktor sein, welcher dazu führt, dass einige japanische Videospiele sich an derartige Elemente anlehnen, es ist aber immer wieder interessant zu sehen, wie verschiedene Kulturen sich gegenseitig begreifen, vermischen und auf eine Aktion immer eine Reaktion folgt.
So hat sich der spanische Entwickler des Spiels „Cursed Castilla“ auf die Flagge geschrieben, ein Spiel wie Ghouls 'n Ghosts zu kreieren, welches den europäischen Stil nicht nur mittels Klischees darstellt, sondern besonders auf authentische Spielumgebungen und Ausrüstungen setzt. Der Einfluss sind hierbei europäische Mythengestalten und mittelalterliche spanische Architektur. Trotzdem muss als Impuls auch definitiv den japanischen Spielen Tribut gezollt werden, denn ohne diese hätte es ein Projekt wie Cursed Castilla vermutlich niemals gegeben.
Ich für meinen Teil werde in der nächsten Zeit genau die Augen aufhalten, um weitere Beispiele zu finden, welche ich euch schließlich in einem potenziellen zweiten Teil dieses Spezials zeigen kann. Falls ihr noch weitere Spiele kennt, welche sich verwunderlich nah an den europäischen Kulturraum angliedern, könnt ihr mir sie natürlich gerne nennen.