Super Mario Odyssey und das Spiel, das es hätte sein können Kommentar
Geschrieben von David Pettau am 05.11.2017
Freitag, 27. Oktober, 15 Uhr – wie Mario in seinem Schiff, der Odyssee, während er von einem spektakulären Land ins nächste fliegt, klebte ich zu dieser Zeit am Fenster. Der Postbote, der Marios lang ersehnte Rückkehr zu seinen Sandbox-Wurzeln in der dritten Dimension im Gepäck hatte, wollte und wollte nicht aufkreuzen. 46 Stunden später, in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag um 1 Uhr in der früh, rollte der Abspann über meinen Bildschirm. Ich habe Super Mario Odyssey förmlich verschlungen und hatte dabei eine wunderschöne Zeit, die noch lange nicht zu Ende ist. Nun, nachdem ich Peach endlich einmal wieder aus den Klauen von Bowser gerettet habe, mache ich mir natürlich so langsam Gedanken darüber, wie ich, aus meiner ganz persönlichen Warte heraus, über Super Mario Odyssey denke. Dass Marios Hüpf-Debüt auf der Nintendo Switch gelungen ist und einen Pflichtkauf für jeden Besitzer der Konsole darstellen sollte, das dürfte klar sein. Auch hatte ich viel zu viel Spaß, um nun behaupten zu können, ich sei von Marios Odyssee enttäuscht worden. Vielmehr stimmt es mich angesichts dessen, was Super Mario Odyssey wohl noch hätte sein können, ein wenig wehmütig.
Nun werden sich vielleicht einige unter euch wundern – so zählt Super Mario Odyssey doch schon jetzt zu den besten Mario-Titeln überhaupt und wirbelt das altbekannte Szenario bereits mit unzähligen neuen Ideen kräftig auf. Das große Problem, das ich mit diesem Spiel habe, ist, dass es mir nur als weiterer Mario-Titel in Erinnerung bleiben wird. Die Trailer ließen hoffen, dass die Super Mario-Reihe mit Odyssey über sich hinauswachsen könnte und das finale Spiel demonstrierte mir, dass das zu einem gewissen Grad auch der Plan war – nur leider ist er missglückt.
Abgesehen von kleineren Enttäuschungen, die ich in diesem Text nicht thematisieren will, ließen mich die ersten Länder bis einschließlich dem Schlemmerland schon wieder vergessen, dass ich eigentlich auf mehr als ein grandioses Mario-Jump 'n' Run gehofft hatte. Das simple Gameplay funktioniert und zieht einen wie gewohnt von der ersten Sekunde an in seinen Bann. An zu Zeiten der Ankündigung des Spiels kontroverse Orte wie New Donk City hatten sich meine Augen bereits durch das viele vorab veröffentlichte Material zum Spiel gewöhnt – eine Mario-Welt durch und durch, wenn auch etwas kurioser als sonst.
Doch dann wurde mein tief verborgenes Interesse an etwas Größerem urplötzlich wieder geweckt – euch wird in diesem Moment auch so einiges durch den Kopf gegangen sein: Während man sich auf dem gewohnten Flug ins nächste Land befindet, taucht plötzlich ein Drache gigantischen Ausmaßes auf, dem sich Bowser bemächtigt hat. Drachen sind im Mario-Universum natürlich nichts Neues, doch hier haben wir es mit einem besonderen Kaliber zu tun. Angesichts seines düsteren und mächtigen Designs würden selbst viele blutrünstige Monster der eigentlich viel erwachseneren Metroid-Reihe zittern! Dieser Moment kam derart aus dem nichts, dass ich es noch nicht einmal realisiert hatte, als die Odyssee bereits von einem gewaltigen Angriff des Drachen versenkt war.
Eine Pause wollte man mir nicht gönnen – ich war im Ruinenland angekommen. Das erste, woran ich dachte: Dark Souls. Dieser Ort explodiert förmlich vor Dark Souls-Flair – eine Reihe, die nicht unbedingt für ihre Kinder- und erst recht nicht für ihre Einsteigerfreundlichkeit bekannt ist. Der kurze Blick auf die Karte des Landes, der mir meine Hoffnungen auf ein großes Geistergebiet sofort zunichte zu machen wusste, konnte meine Faszination für dieses Design nicht stoppen. Man, was war ich begeistert! Doch es wollte nicht aufhören. Wie, als hätte jemand den Schalter umgelegt, haute man mir plötzlich derart coole Ideen um die Ohren, wie ich sie mir in einem Mario-Spiel niemals hätte ausmalen können. Das auf den Drachenkampf folgende Bowserland ist mein absoluter Favorit im Spiel und zählt für mich jetzt schon zu den besten Mario-Leveln überhaupt. Ein faszinierendes Szenario, in das das Mario-Universum bzw. speziell Bowser detailverliebt eingearbeitet wurde, ein unglaublich epischer und für Mario-Fanohren fremdartiger Soundtrack, eine ähnlich dichte Atmosphäre, wie sie beispielsweise ebenfalls beim Erforschen des Schloss Hyrules in Zelda: Breath of the Wild vorhanden war – und ein höheres Lob in Bezug auf Atmosphäre kann ich nicht aussprechen.
Um allmählich zum Punkt zu kommen: Was haben der Drache, das Ruinenland und Bowsers Land gemeinsam, was sie vom restlichen Spiel vollkommen abhebt? Richtig: Sie stellen einen Kontrast zu dem dar, was wir von Mario gewohnt sind. Dass sich mit einem solchen Stilbruch, um es einmal negativ zu formulieren, viele Spieler schwertun werden, ist keine Frage. Bereits New Donk City wurde wie angesprochen nach der Ankündigung heiß diskutiert: Mario auf einem Bildschirm mit realistisch proportionierten Menschen? Mittlerweile dürften sich die meisten Spieler an diesen um einiges kleineren Kontrast gewöhnt haben – spätestens dann, wenn man diesen Drachen und das verfallene Ruinenland gesehen hat, fallen diese Menschen sowieso nicht mehr ins Gewicht. Für diejenigen, die sich mit einem solchen Kontrast absolut nicht anfreunden können, tut es mir ziemlich leid – alle, die dem allerdings etwas abgewinnen können, für die ist dieser Kontrast die absolute Granate. So hat der Kontrast für mich nahezu perfekt funktioniert.
Ich ziehe hier einmal einen Vergleich mit Zelda: Breath of the Wild: Der Hauptgrund, weshalb dieses Spiel nicht nur in der Medienlandschaft derart gefeiert, allerdings auch vereinzelt gehasst wird, ist der, weil sich das Spiel aus seiner gewohnten “Comfort Zone“ heraus traut. Man bricht mit den üblichen Serienkonventionen und erschließt völlig neue Aspekte, kombiniert mit dem immer noch vorhandenen Feeling der Serienteile, die die Reihe großgemacht haben. Die Neuerfindung eines Franchises, wie sie nach 30 Jahren der Staubansammlung angebracht sein kann. Diese Art von Neuerfindung würde ich mir für nahezu alle Nintendo-Marken wünschen – nach Zelda allen voran von Mario, Metroid und Pokémon.
Das große Problem in Super Mario Odyssey ist es, dass Nintendo nicht wagt, den einen “großen“ Schritt zu gehen. Zwar gibt es mit dem Ruinenland eine wunderschön düstere und erwachsen gestaltete Welt, doch treibt man sich dort lediglich wenige Minuten lang herum. All die großen Länder des Spiels basieren auf vertrauten Szenarien, die man als “typisch Mario“ einstufen könnte. Zwar gibt es einen gigantischen, furchterregenden Drachen, doch ist dieser für die Handlung des Spiels von nahezu keiner Relevanz – die völlig ausbleibende Erklärung ist fast schon fragwürdig. Zwar bietet Bowsers Land eine brillante Atmosphäre und kreatives Gameplay, doch findet dort kein Showdown mit Bowser auf einem altertümlichen japanischen Dach im Mondschein mit Samurai-Flair statt, obwohl ein solcher offensichtlich während des Durchstreifens der Welt aufgebaut wird. Im anschließenden finalen Bosskampf spielt nicht einmal die zentrale Hochzeits-Thematik eine Rolle, stattdessen bekommt man einen 08/15 Standardkampf serviert. Zugegeben, die allerletzten Spielminuten vor dem Abspann machen das wieder wett, diese hätten aber genauso gut nach einem viel epischeren Samurai-Duell stattfinden können. Man wagt zwar kleine Schritte in eine völlig neue Richtung, die für ein Mario-Spiel wichtigsten Momente finden aber in der vertrauten Comfort Zone statt.
Damit bleibt Super Mario Odyssey ein grandioses Mario-Spiel, das sich in die Riege der 3D-Marios einreiht, ohne wirklich hervorzustechen. Was mir nachhaltig in Erinnerung bleiben wird, sind die Momente, die ich in einem Mario-Titel nicht habe kommen sehen – und mein Wunsch für die Zukunft sollte damit auch klar sein. Ich hoffe wirklich, dass der 3D-Nachfolger des Klempners die genialen Kontraste in Super Mario Odyssey aufgreift und sich traut, diese auszubauen. Super Mario Odyssey hat bewiesen, wie gut Mario in einer Mario-untypischen Umgebung funktioniert.