Kirby – Nintendos Allzweckwaffe Spezial
Geschrieben von Roman Dichter am 12.03.2018
Kirby – was ist eigentlich Kirby? Dieses seltsame Wesen scheint nicht viel mehr zu sein, als ein Kreis auf dem Bildschirm. Ein Paar stummelige, angedeutete Ärmchen, zwei kleine Füße, die sich ohne Beine direkt an den runden Körper heften, zwei Äuglein und ein Mund – fertig ist der Spiele-Held! Doch genau dieser einfache und minimalistische Ansatz in Kirbys Design liefert die Basis für eine ungeahnte Vielfältigkeit, die dem Edelknödel die Türen in verschiedenste Abenteuer öffnete und ihn zu einem der bekanntesten und beliebtesten Videospiel-Charaktere machte. Auch knapp 26 Jahre nach Kirby’s Dream Land kommen immer wieder neue Spiele rund um den hungrigen Helden auf den Markt und begeistern die Kirby-Fans. Begeben wir uns auf die Suche nach Kirbys Erfolgsrezept.
Kirby war ja schon in seinem ersten Spiel, als auf dem Game Boy das Traumland durchquert werden musste, ein interessanter Charakter. Er konnte Feinde aufsaugen oder sich so weit mit Luft aufblähen, dass er sehr leicht wurde und fliegen konnte. Allerdings war es ein anderer, genialer Einfall der Kirby-Entwickler, durch den die kleine, nimmersatte Kugel eine derart vielseitige Figur wurde, dass sie zur Projektionsfläche grenzenloser Kreativität wurde. Mit Kirby's Adventure für das NES wurde die Kopier-Fähigkeit eingeführt: Die herausstechende Eigenschaft von Kirby ist nämlich seine Fähigkeit, durch das Verspeisen seiner Gegner deren Fähigkeiten anzunehmen. Andere Videospiel-Helden können da nicht ansatzweise mithalten und wirken im direkten Vergleich eher eintönig. Die meisten von ihnen haben ihre charakteristischen Eigenschaften und bleiben diesen während ihrer Abenteuer treu. Andere Figuren wie Jump ‘n‘ Run-Legende Mario wissen, dass es einem eintönigen Gameplay entgegenwirken kann, wenn man hin und wieder die eigene Gestalt und die damit verbundenen Fähigkeiten verändern kann. So entstanden über die Jahre viele Items wie die Feuerblume, die es Mario ermöglicht, Feuerbälle auf seine Gegner zu schleudern.
Bei Mario kann man problemlos einige Items und deren Verwandlungseffekte aufzählen, dagegen ist das bei Kirby gar nicht so einfach. Denn während sich der Klempner gerne dezent auf eine Handvoll Items pro Abenteuer beschränkt und diese somit einprägsam zu etwas Besonderem werden, steht bei Kirby die atemberaubende Vielfalt im Vordergrund. Immer wieder trifft der Verwandlungskünstler in seinen Abenteuern auf Widersacher, die er zur Modifikation der eigenen Fähigkeiten einsetzen kann. Somit gibt es kein besonderes Verwandlungs-Item, das vereinzelt auftritt, sondern Kirby ist fast schon permanent in irgendeiner speziellen Form unterwegs, sodass seine eigentlich ganz normale ursprüngliche Gestalt zur Ausnahme wird – wenn der Spieler es will. Denn auch dies ist eine Stärke der Kirby-Reihe: Es liegt zu großen Teilen beim Spieler, welche Fähigkeit Kirby gerade besitzen soll. Ihr könnt häufig wechseln und immer wieder neue Formen annehmen oder auch eine liebgewonnene Gestalt für längere Zeit beibehalten und andere Möglichkeiten einfach links liegenlassen. (Randnotiz: Mir fällt gerade auf, dass der Ausdruck „links liegenlassen“ bei einem 2D-Plattformer wohl besser passt als in irgendeiner anderen Lebenslage…)
Was den Spieler durch Vielfalt und Abwechslungsreichtum bei Laune hält, ist für Spielehersteller ein einfaches und brillantes Rezept, um eine altbekannte Reihe immer wieder frisch und neu zu gestalten. Wenn auch das Übernehmen von Fähigkeiten längst keine Neuheit mehr ist, kann man doch immer wieder neue Waffen, Items, Formen und Fähigkeiten erfinden, ohne diese Neuerungen vor einer Story, einer Gameplay-Mechanik oder vor einem vorgeprägten Charakter rechtfertigen zu müssen. So können sie sich immer wieder auf neue Weise kreativ austoben und müssen Kirby nicht als starren Charakter verstehen, der so stark durch vergangene Erfolge in die Köpfe der Spieler einzementiert ist, dass jede Veränderung den Zorn der Fans auf sich ziehen könnte. Vielmehr dürfen sie Kirby als ein Stück Knete betrachten, das sie ganz nach den eigenen Ideen immer wieder neu formen können – und das nicht nur einmal pro Abenteuer!
Nicht nur die Formbarkeit und der damit verbundene Abwechslungsreichtum haben Kirby in den vergangenen Jahrzehnten in die Erfolgsspur gebracht. Auch die denkbar einfache und im Vergleich zu den zahlreichen Verwandlungen fast schon langweilige Grundform von Kirby lieferte eine Basis für einen Erfolg, der sich als sehr breit gefächert herausstellte. Es ist ja keine ganz neue Idee, dass Videospiel-Firmen, die eine beliebte Figur erschaffen haben, diese auch in möglichst viele Spiele verschiedener Genres einbauen, damit die bekannten Charaktere auch die Verkaufszahlen eigentlich ganz andersartiger Spiele ankurbeln. Auch Kirby hat es schnell geschafft, jenseits des Jump ‘n‘ Run-Genres Fuß zu fassen.
Während andere Helden aber in erster Linie Gastauftritte in verschiedenen Renn-, Sport- oder Prügelspielen haben, konnte Kirby darüber hinaus noch ganz andere Genres betreten, die für den herkömmlichen Helden oftmals keine wirkliche Option sind. Speziell meine ich Spiele mit Bällen oder Kugeln! Normalerweise können Mario & Co. in derartigen Spielen nicht ihren üblichen Glanz versprühen und werden deshalb zumeist gar nicht erst integriert. Ein Beispiel dafür ist der Game Boy-Klassiker Alleyway. Bei dem Breakout-Klon steuert ihr eine Art längliches Raumschiff, das ihr nach links und rechts bewegen könnt, um ähnlich wie bei Pong einen auf euch zukommenden Ball zurückzuschlagen. Nintendo entschied sich dazu, Mario zum Piloten dieses Vehikels zu machen. Aber empfinden wir das Spiel als einen Titel aus dem Mario-Universum? Eher nicht! Auf dem Bildschirm bleibt von dem ganzen Vehikel nur ein kleiner Strich übrig – Mario ist folglich auf dem Bildschirm nicht einmal im Ansatz zu erkennen. So verleiht er dem Spiel nichts von seinem charakteristischen Charme. Das macht das Spiel nicht besser oder schlechter, aber es ist schlicht egal, welche Figur am Steuer sitzt.
Und jetzt kommt Kirby! „Du bist der Ball“ sage ich meinen Freunden gern spaßeshalber, wenn sie sich bei einem Ballspiel wie Basketball auf einen Präzisionswurf konzentrieren müssen. Bei Kirby können wir diesen Ausspruch einfach wörtlich nehmen. So übernimmt der runde Held in Spielen wie Kirby’s Block Ball, Kirby’s Pinball Land oder Kirby’s Dream Course einfach selbst die Rolle des Balles! Obwohl diese Spiele nichts mit den ursprünglichen Kirby-Jump ‘n‘ Runs zu tun haben, ist deren Hauptcharakter immer mittendrin und übernimmt selbst dann die Hauptrolle, wenn diese von einer Kugel gespielt wird. Diese Beispiele verdeutlichen: Wo Kirby auftauchen will, da kann er das auch! Ob als Kämpfer bei Smash Bros., in Puzzlespielen wie Kirby’s Ghost Trap oder in innovativen Titeln wie Kirby und der Regenbogen-Pinsel – Kirby ist immer dabei. Erneut können die Kirby-Macher lächelnd auf ihren Helden blicken und sich sicher sein: Mit dem Edelknödel werden ihnen keine Grenzen gesetzt.
Schon in Vergangenheit war klar, dass die besonders große Vielfalt und die uneingeschränkte Freiheit, die das Kirby-Universum durchdringen, Kirby auch frohen Mutes aus dem Medium Videospiele ausbrechen lassen. Darum gibt es Merchandising-Produkte rund um den rosafarbenen Sympathieträger, der besonders (aber nicht ausschließlich) beim jüngeren Publikum beliebt ist. Das ist aber nicht alles. Erinnert ihr euch an den Kirby TV-Kanal? Als zu Wii-Zeiten für Nintendo der Aufbruch ins Online-Zeitalter begann, gab es eine Handvoll spezieller Kanäle, die man neben den Spielen im Hauptmenü platzieren konnte. Einer davon war ganz unserem Helden gewidmet und ermöglichte es den Fans, die Episoden aus dem Anime Kirby: Right Back at Ya! anzusehen – in deutsch synchronisierter Fassung. Zudem wurden zahlreiche Mangas mit Kirby-Geschichten angefertigt. Ein Comic namens Kirby und das Geheimnis des Glibbers erschien in Ausgaben des legendären Club Nintendo Magazins im Jahr 1994.
Da wäre es nicht verwunderlich, wenn wir Kirby in Zukunft noch stärker in verschiedensten Formen begegnen würden. Während Mario sich lange von seiner Real-Verfilmung erholen musste und aktuell einen wohl deutlich passenderen Animationsfilm auf den Leib geschneidert bekommt, könnte genau dieses Projekt auch ein Startschuss für weitere Nintendo-Figuren im Kino werden. Sollte das Mario-Projekt sich als Erfolg erweisen, wäre es nicht verwunderlich, wenn es auch Kirby auf die Leinwand schaffen würde. Oder denken wir an Nintendos Vorhaben, einen eigenen Freizeitpark rund um das Nintendo-Universum zu errichten. Da würde es uns doch sehr überraschen, wenn nicht mindestens eine Attraktion oder sogar ein größerer Themenbereich dem Staubsauger unter den Nintendo-Helden gewidmet wäre.
Welche Ideen auch immer Nintendo und HAL noch in der Hinterhand haben – Kirbys Zukunft sieht (so wie Kirby selbst) rosig aus! Mit Kirby Star Allies ist ganz aktuell ein Spiel am Start, das zeigt, dass der nicht mehr ganz so junge Held noch lange nicht zum alten Eisen gehört, sondern seine Fans aus den frühen Tagen behalten hat und immer wieder neue hinzugewinnt. Damit festigt er seine Position als Allzweckwaffe, auf die Nintendo immer wieder setzen kann, wenn es darum geht, neue Konsolen zu etablieren, neue Ideen umzusetzen oder neue Genres zu erobern. Auch wenn die Nintendo-Welt augenscheinlich von Mario und Zelda dominiert wird, gibt es darin noch weitere starke und etablierte Marken, von denen Kirby vielleicht sogar die bedeutendste ist. Freuen wir uns also auf kommende Abenteuer des Edelknödels, bei denen uns die Entwickler – da bin ich mir sicher – immer wieder mit neuen Verwandlungen, kreativen Ideen und ungewöhnlichen Einsatzorten für den vielfältigsten Helden der Videospielgeschichte überraschen werden.