Mein Lieblingsspiel – Life is Strange Kommentar Spezial
Geschrieben von Patrick Gawor am 21.05.2018
Es ist schon erstaunlich, was ein paar Worte alles anrichten können. Von einem auf den anderen Tag können Menschen aus deinem Leben verschwinden, die dir vielleicht unfassbar viel bedeuten. Schon mal darüber nachgedacht? Ein einzelner Satz kann dein ganzes Leben potentiell verändern, dein Leben auf den Kopf stellen. Oder... es sind die Umstände, die sich verändern. Veränderungen, Verlust, Beziehungen und Freundschaften sind alles Themen, die nicht nur wir alle persönlich kennen, sondern die sich auch Life is Strange zu Herzen nimmt und genauer darauf eingeht.
Die Geschichte zwischen Chloe Price, Rachel Amber und Max Caulfield ist eine Geschichte, die wahrscheinlich jeden von uns so hätte passieren können. Eine greifbare Geschichte, welche dem einen oder anderen garantiert auch schon in ähnlicher oder gleicher Form widerfahren ist. Eine Geschichte langjähriger Kindheitsfreunde, die sich eines Tages voneinander trennen, um eigene von der Karriere gelenkte Wege einzuschlagen. Eine Geschichte von Familienverlust, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Aber ebenfalls eine Geschichte von Entscheidungen, bedeutsamen Entscheidungen, belanglosen Entscheidungen. Wie im echten Leben auch. Doch was wäre, wenn diese Entscheidungen beeinflussbar wären? Was wäre, wenn man sein Leben so lenken könnte, wie man es selber gerne hätte? Was wäre, wenn ich statt jenes... dies gesagt hätte? Was wäre, wenn ich diese Person nie angesprochen hätte? Was wäre, wenn ich diesen einen Schlüssel bekommen hätte? Was wäre, wenn... dieser Schmetterling nie auf diesem Blatt gelandet wäre... was wäre wenn. Damit wären wir mitten in Life is Strange angekommen, einem Spiel, in dem der Grad zwischen richtig und falsch so nahe zusammenliegt, dass manchmal keiner so wirklich weiß, ob die Entscheidung, welche man gerade getroffen hat, mehr Leid oder doch Glückseligkeit verursacht hat.
„Was wäre wenn?“ Eine Frage, die wir uns wohl alle schon mehrfach in unserem Leben gestellt haben. Ganz egal, ob bei bedeutsamen Ereignissen oder einfach nur bei der Auswahl des morgendlichen Frühstücks. Life is Strange spielt nicht nur mit dieser Frage, sondern lässt euch diese auch maßgeblich auf unterschiedliche Art und Weise ausführen. Somit habt ihr die Chance, sofern ihr mit einer Entscheidung, die ihr im Laufe einer Konversation getroffen habt nicht zufrieden seid, diese zurückzuspulen und andere Auswahlmöglichkeiten auszuprobieren. Wäre das nicht toll solch eine Möglichkeit in der Realität zu haben? Die Möglichkeit alles was man vielleicht im Nachhinein bereut rückgängig zu machen und noch mal von vorne anzufangen? Genau diese Frage nimmt euch das Spiel allerdings ab, denn, wie auch in der Realität, besitzt ihr in den wahrlich bedeutsamen Momenten nicht mehr die Möglichkeit eure Entscheidungen einfach so zurückzusetzen, falls ihr damit nicht zufrieden seid. Stattdessen müsst ihr mit den Konsequenzen leben, egal ob positiv oder negativ.
Das mag für viele oftmals ein theatralischer Schlag ins Gesicht sein, dabei wirft Life is Strange oftmals Fragen auf, die sich nicht mit einem einfachen Satz begründen und somit erklären lassen. Das Spiel erfordert das Verstehen von Motivationen der einzelnen Charaktere sowie ein gewisses Einfühlungsvermögen und ein Verständnis dafür, weshalb Menschen unterschiedlich handeln und reagieren. Nehmen wir nur mal Nathan Prescott als Beispiel, ein für viele zwielichtiges Arschloch, welcher einzig und alleine die Welt brennen sehen möchte, jeden Menschen in Grund und Boden hasst, Drogen nimmt, dadurch viele Wutausbrüche erleidet, seine Mitmenschen rumschubst, verletzt oder sogar Schlimmeres. Eine komplett stereotypische Charakterisierung möchte man auf den ersten oberflächlichen Eindruck meinen, wenn wir uns allerdings die Hintergründe des Charakters als solches ansehen, werden wir Antworten auf die Frage: „Wieso ist dieser Mensch nur so?“ bekommen. Nathan wurde von sehr elitären, konservativen und habsüchtigen Eltern erzogen und adaptiert dadurch diese Eigenschaften selbstverständlich innerhalb seiner Persönlichkeit, ist sich aber gleichzeitig dessen bewusst und befindet sich im inneren Zwiespalt mit seiner eigenen Person, welche er versucht zu sein. Wäre das nicht schon genug, wurde er in seiner anfänglichen Zeit als Schüler von vielen Älteren gemobbt, rumgeschubst und hatte keinerlei positiven Standpunkt bei anderen Mitschülern. Dabei gehen die Beweggründe sogar nochmals um ein Vielfaches tiefer, doch für einen Umriss seines Hintergrundes sollte das fürs erste reichen.
Nun wissen wir also, aus welch essenziellen Gründen Nathan Prescott zu dem geworden ist, wofür er bekannt ist, allerdings rechtfertigt das in irgendeiner Art und Weise sein Verhalten gegenüber anderen? Selbstverständlich nicht. Keiner besitzt das Recht, aus was für Gründen auch immer, anderen Menschen in irgendeiner Form in deren persönlichen Freiraum einzugreifen, diesen einzuschränken oder gar zu entreißen. Denn nur weil man eine schwere Vergangenheit oder Gegenwart hat, gibt einem das selbstverständlich noch lange nicht das Recht andere in physischer oder psychischer Form zu verletzen. Allerdings soll dies auch gar nicht der Punkt all dessen sein. Der Punkt ist, dass es uns als außenstehenden Menschen hilft, Taten aufgrund von adaptiven Verhaltensmustern besser zu verstehen und viel wichtiger, diese in uns aufzunehmen und für potenziell andere Personen zu übertragen und auszuwerten. Genau diesen Punkt vermittelt Life is Strange durch seine individuellen Charaktere.
Jeder dieser Charaktere hat seine eigene Hintergrundgeschichte, welche Aktionen und Reaktionen innerhalb des Spielverlaufes nachvollziehbar oder zumindest erklärbar machen.
Jeder Mensch ist anders, in allen Belangen, die man sich nur vorstellen kann. Seien es charakterliche oder optische Unterschiede, jeder ist verschieden. Jeder Mensch hat andere Erfahrungen gesammelt, andere Schicksalsschläge und eine andere Erziehung erfahren und integriert diese in seine Persönlichkeit sowie sein äußeres Erscheinungsbild. Jeder Mensch definiert für sich selber die Gewichtung einzelner Probleme, und wie schlimm diese für denjenigen sind, weiß nur derjenige und unterscheidet sich ebenfalls von allen anderen. Für den einen ist eine bestimmte Situation die schlimmste, die man sich vorstellen kann, für den Nächsten ist es nur ein plumpes Schulterzucken. Dabei spielt es keine Rolle, um was es sich genau handelt, denn es wird seine Gründe haben, weshalb eine Person so reagiert, wie sie reagiert. Was gleichzeitig nicht bedeutet, dass es eine Rechtfertigung für verletzende Taten ist. Für uns kann es aber nur von Vorteil sein auf unsere Mitmenschen zu schauen, zu hinterfragen und vor allem zu helfen, sofern dieser diese Hilfe auch benötigt. Andere Menschen verstehen zu lernen und auf diese einzugehen und eine Lösung zu finden kann meist wahre Wunder bewirken. Du kannst zwar nicht immer kontrollieren, was dir oder anderen passiert, aber du kannst kontrollieren, wie du es siehst und danach handeln.
Entscheidungen müssen im Leben getroffen werden und bedeutungsvolle Aussagen müssen ausgesprochen werden, es ist nur wichtig zu erkennen, ob diese wirklich von Bedeutung sind und für wen diese eine potenzielle Bedeutung haben. Hinter die Fassaden der Mitmenschen zu schauen und sich dessen bewusst zu machen, dass jeder Mensch auf dieser Welt und auch DU schon Schicksalsschläge, Trauer und Schmerz durchlitten haben, hilft dabei oft ein offenes und aufrichtiges Ohr zu haben. Denn auch genau das zeigt uns Life is Strange auf, vereint ein differenziertes Hinterfragen einzelner Charaktere und löst Stereotypen nach eigenem Ermessen auf.
Und manchmal... manchmal muss eventuell nicht alles was gesagt wird, auch gehört werden. Chloe Price und Rachel Amber führen zum Beispiel eine gemeinsame Beziehung, die sich innerhalb von 3 Tagen so tiefgreifend aufbaut und das gegenseitige Wissen zueinander so intim und vielschichtig ist, dass auch hier Fragen aufkommen wie: „Müssen Beziehungen zwangsläufig lang und ausschweifend über mehrere Jahre fortlaufend existieren oder reicht es nicht einfach nur, einen absolut sympathischen Menschen kennenzulernen und ihm ein wenig Vertrauen zu schenken?“ Denn wenn ich eine Person komplett erkenne und dessen Persönlichkeit aufgrund von diversen Ereignissen so genau analytisch festlegen kann, dass ich ein Vertrauen entwickle, welches mir erlaubt ein offenes und klares Verhältnis aufzubauen, wieso sollte ich diesem nicht nachgeben? Doch gerade dann, wenn man ein offenes und ehrliches Verhältnis zu jemandem aufbaut, passiert es schon mal schnell mit diversen Wahrheitskonflikten konfrontiert zu werden. Gerade dann, wenn du etwas weißt, wovon du dir sicher sein kannst, dass falls du es der anderen Person sagst, diese sich auf alle Fälle schlechter fühlen wird oder sogar größere Beziehungen zerschlagen werden. Manchmal muss eventuell nicht alles was gesagt wird, auch gehört werden. Ebenfalls zum Trotz der Wahrheit und zugunsten der Verleugnung, wenn es nur die Lebensqualität des Gegenübers verschlechtern würde. Denn das Schützen vor der Wahrheit kann gleichfalls das Bewahren der Freude sein. Aber so wie bei allen Dingen auch: Es gibt keine Pauschalisierung auf alle Lebenssituationen dieser Welt, sondern es muss von Situation zu Situation unterschiedlich gehandelt werden und das Abschätzen der Auswirkungen wohl überlegt sein. Das gilt in Chloes und Rachels Situation sowie auch in jeder anderen Situation dieser Welt.
Ihr seht schon, für mich ist Life is Strange ein einzigartiges Spiel. Es lässt mich über entscheidende Dinge im Leben nachdenken und für mich selbst interpretieren. Es gibt mir ein Spielerlebnis, welches ich so noch nie zuvor hatte. Life is Strange ist ein Spiel voller Erfahrungen, Fragen, emotionalen Momenten und soziologischen Zusammenspielen einzelner Charakter. Es wirft mit glaubwürdigen, ernsthaften Charakteren Fragen auf, die wir auf unser eigenes Leben übertragen und auch weiterführen können. Die thematische Grundsatzformel der Entscheidung spielt dabei die zentrale Rolle nicht nur im Spiel, sondern ebenfalls im echten Leben. Entscheidungen müssen gemacht werden, schwere wie auch leichte. Entscheidungen können hart sein, sie können einen innerlich auffressen und zerstören, aber letztendlich sollte man sich immer bewusst machen, dass auch, wenn Entscheidungen weitreichende Folgen haben können, das Leben als solches nie so ernst ist, wie man es sich gerne mal vorstellt. Es ist bedeutend sich darin zu üben ernsthafte Situation und weitreichende Folgen zwar zu erkennen und diese auch bestmöglichst zu meistern, doch keiner von uns ist perfekt und erkennt alle Zeichen, die einem gegeben werden. Gerade wenn kleinere Fehler passieren, gibt einem das Leben immer die Chance diese zu korrigieren und auszumerzen. Wir brauchen keine Superkraft, die uns in der Zeit zurückreisen lässt, denn das Leben als solches gibt uns diese von vornherein im weiteren Verlauf des Lebens.
Wichtig ist nur, die wirklich wichtigen Entscheidungen in seinem eigenen Leben zu erkennen und diese so zu gestalten beziehungsweise zu handhaben, dass sowohl du glücklich sein kannst, als auch die Mitmenschen, die du liebst und die dir etwas bedeuten. Denn eines der Grundbedürfnisse des Menschen ist es, Personen um sich zu haben, die einem das Gefühl vermitteln, gebraucht und geschätzt zu werden, aber auch Nähe bieten und sowohl körperliche als auch psychische Intimitäten zuzulassen. Seien es nun Chloe und Max oder Rachel und Chloe. Alle versuchen sich dieses Grundbedürfnis anzueignen und für sich zu erfüllen, sodass sie glücklich sein können, sodass wir alle die Erfüllung erreichen, die wir jeder ganz individuell für uns selbst benötigen. Entscheidungen zu treffen, die unser eigenes Wohl zum Positiven verändern, aber gleichzeitig kein Wohl eines anderen zu untergraben. Verhältnisse aufzubauen, die uns motivieren, weiter zu machen und die unseren Frohsinn auf die Zukunft verstärken. Denn geht es nicht darum in all unser Leben? Glücklich sein?