Frustration als Design-Element in Spielen Spezial
Geschrieben von David Pettau am 27.01.2019
Anor Londo. Nach etlichen, haarraufenden Gefechten geht Ornstein endlich zu Boden. Nur noch Smough ist übrig und verlangt euch noch einmal eure gesamte Konzentrationsfähigkeit ab. Kurz, bevor ihr zum finalen Streich ausholt, werdet ihr nach einem langen und kräftezehrenden Duell allerdings unaufmerksam – der Bildschirmtod ereilt euch, all eure Mühen waren umsonst. Baby-Park. Irgendwie habt ihr es geschafft, dem Chaos der ersten Runden unbeschadet zu entkommen, während euch im Sekundentakt immer noch grüne Panzer um die Ohren fliegen. Als Spitzenreiter startet ihr in die letzte Runde, der Sieg ist nah – doch dann, dann nähert sich ein Stachi-Panzer. Bereits vor dessen Aufprall seht ihr den Sieg vor eurem geistigen Auge an euch vorbeiziehen. Gerade so könnt ihr euch am Ende noch auf den 9. Platz retten.
In solchen Momenten werden Spieler Zeuge eines Design-Elements, das seit jeher in vielen Spielen fest verankert ist, während es gänzlich unterschiedliche Ziele verfolgen kann – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Die Rede ist von Frustration. Richtig eingesetzt kann das Überwinden dieser Frustration zur Hauptmotivation werden, sich über einen langen Zeitraum hinweg mit einem Spiel auseinanderzusetzen. Im schlimmsten Fall jedoch, sorgt diese dafür, dass man sich gar nicht erst weiter mit dem entsprechenden Spiel befassen möchte. In diesem Spezial will ich euch einen kleinen Einblick in meine subjektive Einschätzung geben, inwiefern in Game Designs wissentlich mit der potenziellen Frustration des Spielers hantiert wird und welche Ziele das Streuen dieser Frustmomente verfolgt – und insbesondere, was vonnöten ist, damit diese Ziele letztendlich auch erreicht werden.
Ornstein und Smough zählen zu den stärksten Bossgegnern, die sich euch in Dark Souls in den Weg stellen.
Zunächst einmal sollten wir klären, dass es sich bei Frust um eine sehr subjektive Einschätzung handelt. Das Aufkommen von Frust variiert von Spieler zu Spieler, weshalb es potenziell schwierig ist, Frustmomente zu pauschalisieren. Letztlich hängt dies von den Ansprüchen und Erwartungen des jeweiligen Spielers ab. Der Game Designer hat lediglich Einfluss darauf, wie hoch die potenzielle Frust-Gefahr ausfällt. Nicht nur aufgrund der Erwähnung des legendären Bosskampfs gegen Ornstein und Smough werden bereits viele von euch an FromSoftwares Action-Rollenspiel Dark Souls denken – dessen generelle Spielstruktur nimmt keine große Rücksicht darauf, die potenzielle Frustration des Spielers zu lindern. Sterbt ihr während eines Bosskampfes, so sind all eure physischen Fortschritte innerhalb dieser Auseinandersetzung hinfällig. Nicht nur verliert ihr all eure potenziellen Erfahrungspunkte in Form von Seelen, die ihr bis dahin gesammelt habt, sondern ihr müsst euch erneut zum Boss durchschlagen und den Kampf anschließend komplett von vorne beginnen. Was natürlich bleibt, sind eure persönlichen Fortschritte als Spieler – die Erfahrung, die ihr im Kampf gegen euren Widersacher bislang gesammelt habt, doch darum soll es nun nicht gehen. Wäre es FromSoftwares Ziel, den Frust durch das potenzielle Scheitern des Spielers zu mindern, so gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, wie es andere Spiele zuhauf vormachen – so wäre ein verzeihendes Checkpoint-System zu nennen, das Teile eures Fortschritts, wie beispielsweise den erbrachten Schaden am Boss, auch nach eurem Ableben übernimmt.
Der Verzicht auf derartige Mechaniken hat natürlich einen Grund und verfolgt eine klar definierte Designphilosophie, deren Früchte in dem Moment geerntet werden, wenn der Spieler den Boss, der ihn zuvor idealerweise zur Weißglut getrieben hat, schlussendlich bezwingt. Selbst innerhalb der Dark Souls-Reihe gibt es zahlreiche Fallbeispiele, die aufzeigen, wie sich das erfolgreiche oder gescheiterte Aufkommen von Frustration beim Spieler auf die Spielerfahrung auswirkt. Trefft ihr auf einen Bossgegner, dem ihr direkt im ersten Versuch, und ohne große Schwierigkeiten, das Handwerk legt, fühlt sich der gesamte Kampf ein wenig belanglos an – euch wurde keine Zeit gegeben, eine wirkliche “Beziehung“, meist auf Hass bzw. Frust fußend, zum entsprechenden Boss aufzubauen. Die wirklich guten Bosskämpfe stechen dadurch hervor, dass euer Frust zur Motivation wird, endlich siegreich aus dem Gefecht hervorzugehen. In diesen Momenten entfaltet sich die Designphilosophie dieser Spiele wahrhaftig.
Baby Rosalina darf sich freuen: In wenigen Augenblicken ist das Rennen des Erstplatzierten gelaufen!
Doch wie verhält es sich im ebenfalls eingangs erwähnten Mario Kart? Das Spielprinzip des populären Fun-Racers ist ein ständiges Geben und Nehmen potenzieller Frustration. Der Clou der Mario Kart-Reihe ist, dass ihr auf jedem der zwölf Plätze stets das Gefühl habt, das Rennen schlussendlich doch noch für euch entscheiden zu können. Dieses Gefühl vermittelt Nintendo auf eine simple, aber sehr wirksame Weise: Je weiter ihr vom ersten Platz entfernt seid, desto besser (und potenziell frustfördernder) fallen eure zufallsbasierten Items aus. Würde man die Dark Souls-Philosophie direkt auf Mario Kart anwenden, so wäre das Spielgeschehen darauf ausgelegt, dass ihr so lange versucht, den ersten Platz zu halten, bis ihr unbeschadet ohne Stachi-Panzer, oder gerade trotz eines solchen, hinter der Ziellinie ankommt. Das Bestreben des Spiels ist hier allerdings nicht, dass ihr eure Frustration überwindet – stattdessen tankt ihr nach Frustmomenten sofort neue Kraft und die Position desjenigen, der potenzieller Frustration ausgesetzt ist, rotiert. Das regelmäßige Aufkommen solcher Situationen verleiht dem Spielprinzip eines Fun-Racers seine eigene Würze.
Natürlich gilt Frustration, gerade in Zusammenhang mit Spielen, die logischerweise für Spaß sorgen sollen, allerdings in erster Linie als negativ geprägter Begriff. Als äußerst lästig wahrgenommen wird der Frust allerdings immer nur dann, wenn sich die Designphilosophie dem Spieler nicht erschließt bzw. wenn sie grundlegend nicht aufgeht. Dies passiert beispielsweise dann, wenn ein Spieler durch Elemente abgestraft wird, die außerhalb seines Einflussbereichs liegen. Im Beispiel von Mario Kart ist dies freilich gewollt – auf dem ersten Platz habt ihr weder Einfluss darauf, ob jemand einen Stachi-Panzer bekommt, noch diesen abzuwehren (zumindest nicht in der Regel). Dieser Frustfaktor wird durch das beschriebene Verteilen besserer Items kompensiert. Was wäre allerdings, würde ein Boss in Dark Souls – einem Spiel, das keinerlei Vorkehrungen zur Kompensierung von Frustration trifft – einen Angriff ausführen, dem der Spieler nicht widerstehen kann und der unweigerlich zu dessen Bildschirmtod führen würde? Da Dark Souls darauf ausgelegt ist, Motivation aus der Frustration der transparenten Niederlage zu schöpfen, wäre eine solche Designentscheidung fatal. Man wäre nicht mehr selbst für das eigene Scheitern verantwortlich, sondern wäre der reinen Willkür des Spiels ausgesetzt, ohne, dass eine solche Willkür für die restliche Designphilosophie des Spiels bzw. für dessen Umgang mit der Frustration des Spielers tragbar wäre.
So muss Frustration kein negatives Resultat aus einem schlecht durchdachten Game Design sein, sondern kann, wenn sie bewusst gestreut wird, sogar selbst zu einem Design-Element werden. Dark Souls und Mario Kart machen es vor, beide auf gänzlich unterschiedliche Weisen. In diesen Fällen geht die Frustration Hand in Hand mit einem hohen Maß an Spielspaß, und stellt sich diesem nicht etwa entgegen. Sie dient vielmehr dazu, emotionale Höhen und Tiefen aufzubauen – dank der Frustration sind die Momente, in denen man siegreich aus einem Bosskampf oder einem Rennen hervorgeht, nur umso befriedigender. In einem schlechten Beispiel würde sich die Frustration dem Spielspaß vielmehr in den Weg stellen und würde lediglich das potenziell beste Spielgefühl in Form eines Höhepunktes abwerten, ohne einen funktionierenden Gegenpol dazu zu bilden.
Fallen euch weitere Spiele ein, die Frustration erfolgreich als Design-Element nutzen? Oder denkt ihr womöglich auch an Titel, deren Frustration ein Resultat aus weniger gut durchdachtem Game Design darstellt?