Aufgeklärt: Warum Story of Seasons heute das bessere Harvest Moon ist Spezial
Geschrieben von Chris Holletschek am 14.07.2020
Erst seit wenigen Tagen steht uns mit Story of Seasons: Friends of Mineral Town der erste Hauptableger des durchaus beliebten Landwirtschaftssimulators für die Nintendo Switch zur Verfügung. Man könnte meinen, dass sich der Titel, der in unseren westlichen Gefilden erstmals im Jahr 2015 auf dem Nintendo 3DS auftrat, mit Harvest Moon den großen Vorreiter dieses Genres zum Vorbild genommen hat. In Wahrheit ist es aber durchaus etwas verzwickter: Denn Story of Seasons IST einerseits Harvest Moon und andererseits haben aktuelle Harvest Moon-Veröffentlichungen wie Harvest Moon: Licht der Hoffnung nichts mit den ursprünglichen Titeln gemein. Wie es zu dieser merkwürdigen Verworrenheit kommen konnte, soll in den folgenden Zeilen geklärt werden.
Auf dem SNES nahm die Bauernhof-Simulation ihren Anfang. Dieser Screenshot stammt wiederum von der Wii U-Veröffentlichung.
© MarvelousAQL
Im Sommer des Jahres 1996 war es ein unscheinbares Spiel mit dem Namen Bokujo Monogatari, das zu jener Zeit ausschließlich in Japan erschien und den Beginn einer erfolgreichen Zukunft für Farming-Simulatoren markierte. Während für diesen Titel noch ein Entwicklerstudio namens Amccus verantwortlich zeichnete, das im Anschluss nie wieder auf den Plan trat, waren damals bereits weitere Namen mit an Bord, die für den bis heute anhaltenden Lauf der Reihe wichtig sind: Serienschöpfer Yasuhiro Wada sowie Publisher Natsume Inc. Auch die Geschichte von Natsume selbst ist mit so einigen Fallstricken gespickt, die leicht zu Verwechslungen führen können. So ist das hier behandelte Natsume Inc. im Ursprung eine amerikanische Zweigstelle eines japanischen, fast gleichnamigen Unternehmens, die sich nur kurz nach Gründung der Firma von ihr abgespalten hat und bis heute parallel besteht (unter anderem mit einer eigenen Zweigstelle in Japan). Verrückt.
Jedenfalls war Natsume Inc. seither für die Lokalisierung der Harvest Moon-Spiele im nordamerikanischen Raum zuständig und ist dafür verantwortlich, dass Bokujo Monogatari in den westlichen Gefilden unter dem heute weltweit bekannten Namen „Harvest Moon“ veröffentlicht wurde. In Europa trat zu Beginn wiederum Nintendo selbst als Publisher in Erscheinung und sorgte für die Lokalisierung des Titels in deutscher und französischer Sprache. Der zweite Teil der Reihe, die erste Umsetzung für den Game Boy, entstand dann allerdings bei Victor Interactive Software – ein weiterer wichtiger Name für die Reihe, der in Japan auch die Rolle des Publishers einnahm.
Seither waren die Rollen klar verteilt: Yasuhiro Wada entwickelte bei Victor Interactive Software federführend weitere Harvest Moon-Spiele, die von Natsume für den nordamerikanischen Raum umgesetzt wurden. Um die Jahrtausendwende erschien mit Harvest Moon: Back to Nature der erste Ableger für Sonys erste PlayStation, wodurch Natsume die Veröffentlichung fortan auch im europäischen Bereich übernahm. Im Jahr 2003 betrat dann mit Marvelous Entertainment ein neuer Player das Spielfeld, der Victor Interactive Software kurzerhand übernahm, sodass die Spiele seit Harvest Moon: Friends of Mineral Town (ja, der aktuell für die Nintendo Switch erschienene Titel ist ein Remake dieses Game Boy Advance-Ablegers) unter der Federführung von Marvelous entstanden.
Ansonsten blieb über eine relativ lange Zeit alles beim Alten. Die Serie wuchs Ableger um Ableger, die mal weltweit, mal beschränkt auf den japanischen und nordamerikanischen Raum und mal ausschließlich in Japan erschienen, schrieb eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte fort und stand als Vorbild für viele ähnliche Titel des Bauernhof-Genres – nicht zuletzt auch für die mit dem Aufkommen von Facebook und Co. zahlreich aus dem Boden sprießenden und absurd erfolgreichen Social-Media-Spiele wie Farmville.
Nach der Veröffentlichung von Harvest Moon: Deine Tierparade für die Wii (in Europa zwar erst Ende 2010, in Japan allerdings schon über zwei Jahre früher im Oktober 2008) zog der bis dahin unermüdlich tätige Yasuhiro Wada einen Schlussstrich, verließ Marvelous und widmete sich anderen Projekten. Der Spieleserie tat das aber keinen wirklichen Abbruch und bis 2013 erschienen fast jährlich weitere Einträge für die Harvest Moon-Historie. Kurioserweise markiert der Nintendo 3DS-Titel Harvest Moon 3D: A New Beginning die letzte weltweite Veröffentlichung der Reihe unter der bis dahin bestehenden Konstellation von Entwicklerstudio und Publishern (der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass in Europa nicht durchgehend Natsume als Publisher auftrat, sondern auch Unternehmen wie Rising Star Games und Marvelous selbst).
Dann folgte allerdings der große Bruch zwischen Marvelous und Natsume. Ob nun aus Kostengründen oder aufgrund von nicht näher definierten Streitigkeiten – woran es genau lag, wissen nur die Beteiligten selbst. Jedenfalls setzte Marvelous bei der Distribution im nordamerikanischen Raum fortan nicht mehr auf die Dienste von Natsume Inc., sondern betraute XSEED Games mit dieser Aufgabe. Das von ehemaligen Beschäftigten von Square Enix USA gegründete Unternehmen wurde allerdings bereits zwei Jahre zuvor von Marvelous selbst gekauft, sodass die Verteilung von Harvest Moon in Nordamerika quasi zu einer Inhouse-Lösung umfunktioniert wurde.
Der große Knackpunkt an der Sache: Die Rechte an dem Namen „Harvest Moon“, der sich über die Jahre zu einer sehr wertvollen und weltweit bekannten Marke entwickelt hat, verblieben alleinig bei Natsume – und der Publisher schenkte diese freilich auch nicht her. Ob es allerdings überhaupt Verhandlungen über einen Verkauf der Recht gab, ist nicht bekannt. Mag man den Worten von Hiro Maekawa, seines Zeichens Geschäftsführer von Natsume, Glauben schenken, kam der Bruch für das US-amerikanische Unternehmen überraschend. In einem Interview mit Siliconera äußerte er 2015, dass Natsume von Marvelous vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. So sei er zur selben Zeit darüber informiert worden, dass Marvelous die Lizenz zum Vertrieb einerseits nicht mehr an Natsume vergeben und die Serie darüber hinaus selbstständig unter einem neuen Namen veröffentlichen wolle. Ob an der einen oder anderen Stelle nicht doch noch Gespräche zwischen den beteiligten Akteuren stattgefunden haben, darf zwar als durchaus wahrscheinlich angesehen werden, tendenziell hat Marvelous aber wohl kurzen Prozess gemacht.
Spannend zu beobachten ist dann aber wiederum die Zeit nach dem Bruch. Während Marvelous in Japan weiter den Titel Bokujo Monogatari verwenden und fortführen konnte, wurde für die westlichen Gefilde der Name „Story of Seasons“ eingeführt und speziell für den europäischen Raum Nintendo wieder als Publisher an Bord geholt. Natsume blieb auf der anderen Seite nun allerdings nicht untätig und traf eine Entscheidung, die als zumindest fragwürdig angesehen werden darf: Statt sich ein erfahrenes Entwicklerteam an die Seite zu holen und dieses mit der Produktion weiterer Titel für die Marke Harvest Moon zu beauftragen, entschied man sich für die (vermutlich kostengünstigere) Alternative und gründete eigene Entwicklerstudios mit Namen wie Tabot, Inc. und Appci Corporation. Dieser Plan ging allerdings nur mäßig auf, denn der erste neue Titel mit altem Namen, Harvest Moon: Das verlorene Tal, kam bei den Kritikern mehr schlecht als recht weg und verzeichnet auf Metacritic einen Score von gerade einmal 46. Aus finanzieller Sicht scheint Natsume aber wiederum nicht klagen zu können, denn bis heute sorgt der nun auch über Umwege als Entwickler auftretende Publisher für Nachschub – woran die Verwendung des bekannten Namens einen nicht unwesentlichen Teil ausmachen dürfte.
Dass demgegenüber bei Marvelous die Qualität trotz eines neuen internationalen Namens weiterhin stimmen dürfte, schien nicht überraschend – denn hier wurde immerhin nicht der Entwickler, sondern „nur“ der Publisher ausgetauscht. Und tatsächlich heimste Story of Seasons für den Nintendo 3DS durchweg gute bis sehr gute Kritiken ein, sodass der Metacritic-Score derzeit bei 76 steht. Auch um den ersten Hauptteil auf der Nintendo Switch scheint es derzeit gut zu stehen. Schaut man sich die derzeit bereits veröffentlichten Tests und Kritiken zu Story of Seasons: Friends of Mineral Town an, ergibt sich erneut ein positives Gesamtbild – auch uns konnte der Titel durchweg überzeugen.
Doch was stellen wir aus dem nun entwirrten Konstrukt für uns fest? Es fällt sicherlich leicht, Natsume mehr oder weniger zu verteufeln, da sie den guten Ruf der Marke Harvest Moon mit halbgaren neuen Titeln durchaus in Verruf bringen und zusätzlich zur Verwirrung bezüglich der Namensgebung beitragen. Ganz so einfach sollte man es sich aber nicht machen, denn andererseits scheint auch Marvelous mit einer nicht ganz so weißen Weste daherzukommen – sofern man der Darstellung von Natsume Glauben schenkt, nach der der Bruch zwischen beiden Unternehmen ausgehend von Marvelous auf eine nicht ganz so feine englische Art erfolgte. Aber unabhängig davon, was diesbezüglich nun wirklich wahr ist, für uns Videospiel-Fans kann eines mit Sicherheit gesagt werden: Während Story of Seasons im Bereich der Bauernhof-Simulation brilliert, sollte bei neuen Spielen mit Harvest Moon-Aufdruck künftig genauer hingeschaut werden, bevor man sich für einen Kauf entscheidet.