
Kirby und das vergessene Land: Warum es endlich Zeit wurde Kommentar
Geschrieben von Kevin Becker am 23.10.2021
Über 20 Jahre ist es her, seitdem Kirby 64: The Crystal Shards für das Nintendo 64 erschien, und anders als viele andere Nintendo-Marken wagte Kirby damals nicht den Sprung in die dritte Dimension. Während Spielereihen wie Metroid oder Wario eine Konsolengeneration später zuschlugen, sollte es mit dem rosa Allesfresser nicht so recht klappen, weswegen er sich seit der Wii schlussendlich voll und ganz auf 2D-Platformer beschränkte. Lediglich Kirby Air Ride war ein vager Versuch, Kirby in den dreidimensionalen Raum zu befördern, und auch wenn es in diesem Fun-Racer möglich ist, die Spielfiguren in alle möglichen Himmelsrichtungen zu bewegen, warteten wir noch immer auf das erste vollwertige 3D-Jump ’n’ Run – bis jetzt. Kirby und das vergessene Land nennt sich der neueste Meilenstein in der Kirby-Reihe und entführt uns in unbekannte Gefilde. Warum dieser Schritt für das Franchise bitter nötig war und inwiefern der erste richtige 3D-Platformer neue Maßstäbe setzen könnte, ergründen wir in diesem Kommentar.
Auf den ersten Blick stellt Kirby und das vergessene Land keine Besonderheit innerhalb der Reihe dar. Obwohl die Darstellung in 3D natürlich das Augenmerk ist, fallen alle anderen Elemente gewohnt traditionell aus und heben sich nicht von ihren 2D-Gegenparts ab. Kopierfähigkeiten, wie Schwert, Feuer oder Eis, lehnen sich offensichtlich an das Gameplay von Kirby Battle Royale an und auch wenn die Stachel-Fähigkeit unter anderem bereits einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten der dreidimensionalen Bewegung gibt, überraschte man uns bisher mit keinen neuen Power-ups. Selbstverständlich bedeutet dies jedoch nicht, dass wir keine sehen werden, allerdings sollte man stets bedenken, dass alle Neuzugänge grundsätzlich an die andersartige Perspektive angepasst sein werden und dementsprechend sehr viel aufregender ausfallen können. So ist es möglich, dass die Tier-Fähigkeit in Anbetracht des animalischen Gegnerdesigns ihre Rückkehr feiert und aufgrund der Option, sich im Erdreich zu vergraben, hervorragend in den dreidimensionalen Raum passt. Gleichzeitig sollte man sich aber hierbei keine allzu großen Hoffnungen machen, immerhin verpasste es Kirby und die wundersame Spiegelwelt, die Spiegelfähigkeit für das wohl passendste Setting wieder an den Mann zu bringen.
So unspektakulär die gezeigten Fähigkeiten nun zunächst wirken mögen, sind sie weit davon entfernt, verbraucht zu sein. Super Mario Odysseys primäre Mechanik – das Übernehmen von Gegnern – wurde unfassbar gut aufgenommen und besitzt viele Gemeinsamkeiten mit Kirbys klassischen Kopierfähigkeiten. Der wesentliche Unterschied beider Features ist jedoch die Steuerung der Spielfigur. Während Mario als Kugelwilli lediglich dazu in der Lage ist, geradlinig in eine Richtung zu fliegen, erweitern Kirbys Kopierfähigkeiten seine akrobatischen Künste und schränken ihn nicht ein. In der Praxis bedeutet dies, dass Kirby – bis auf das Einsaugen von Gegnern – neben der erhaltenen Kraft noch immer über sein komplettes Moveset verfügt, wohingegen Mario auf die Eigenheiten eines Gegners begrenzt ist.
Ein Beispiel, wie die Einbindung der Power-ups aussehen könnte, ist das Anzünden einer Laterne mithilfe der Feuer-Fähigkeit, was zunächst natürlich nur die absolute Spitze des Eisberges an Potenzial darstellt, aber dennoch ein Indikator dafür ist, inwiefern sich die Power-ups anpassen werden. Man sollte immerhin bedenken, dass die Kopierfähigkeiten als Basis für Rätsel bisher nur für kurzweilige Bonusräume angewandt wurden und lediglich Star Allies den oberflächlichen Ansatz zeigte, ein wenig mehr mit der Umgebung interagieren zu können. Schöpft man dieses Vermögen etwas mehr aus, schaffen es die Entwickler potenziell, eine mittlerweile fast 30 Jahre alte Mechanik mit der Flexibilität des dreidimensionalen Raums in ein neues Licht zu stellen.
Eine weitere ungeklärte Frage bleibt, wie offen das Abenteuer nun sein wird. Haben wir es mit der Größe eines Super Mario Odysseys zu tun oder gibt sich Kirby und das vergessene Land mit linearen Level à la Super Mario 3D World zufrieden? Auch wenn es noch keine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt, lässt sich bereits jetzt schon sagen, dass gewissermaßen eine Kombination beider Stile angestrebt ist. So offen sämtliche Gebiete auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, zeigt sich die Levelstruktur mehrmals recht linear und weicht augenscheinlich nur selten vom vorgegebenen Pfad ab. Im Gegensatz zu Super Mario 3D World wird jedoch jedes Level in einen immersiven Kontext gepackt. Kirby wandert nicht auf magischen Flächen in einem undefinierten Raum, sondern erkundet eine verlassene Welt, wo der Hintergrund und die Perspektive der Kamera einem das Gefühl geben, eine Open World zu erforschen. Und dieser Ansatz ist genau das Richtige für die Reihe.
Anders als Nintendos herkömmliche Platformer, wie Super Mario oder Donkey Kong, sind Kirby-Spiele für gewöhnlich sehr viel actionorientierter und setzen keinen allzu großen Fokus auf präzise Sprungpassagen oder Platforming generell. Schaut man sich den japanischen Titel von Kirby und das vergessene Land an – Hoshi no Kaabii: Discovery – so wird einem schnell klar, dass der Fokus auf das Erkunden der Level zu liegen scheint. Kirby und die wundersame Spiegelwelt besaß einen ähnlichen Ansatz und konzentrierte sich auf eine zusammenhängende Welt voller Entdeckungen, was letztendlich fantastisch zur Reihe passt. Trotz der Linearität kommt ein Gefühl einer verbundenen, glaubhaften Landschaft auf und bisher ist noch nicht einmal klar, ob wir die Kurse auf einem Levelauswahlbildschirm sehen oder möglicherweise doch eine überschaubare Oberwelt erhalten werden. Wie dieses Gefühl der Glaubhaftigkeit genau aufkommt, zeigen bereits die ersten Szenen des Trailers, wo Kirby durch die überwucherten Hallen einer Einkaufsmeile marschiert und eine massive dunkle Gestalt über das Dach des Gebäudes fliegt. Später erfahren wir, dass es sich dabei um den Gorillagegner am Ende des Trailers handelt, was uns noch mal versichert, dass auch Kirby und das vergessene Land, ähnlich wie Star Allies, auf einen flexiblen Spielverlauf, losgelöst von den Sitten des Genres, setzt.
Selbst der Mehrspieler-Modus, welcher für gewöhnlich ein wesentlicher Bestandteil fast aller Kirby-Spiele ist, hinterlässt bislang keine Spur. Ein Grund für das Fehlen könnte die flexible Kameraführung sein, welche stark an Kirby 64 erinnert. Ist die Perspektive in einem ständigen Wechsel, wäre es schwierig, mehr als einen Spieler zu berücksichtigen, da sich das Spiel auf den Protagonisten konzentrieren muss. Selbstverständlich kann dies auch nur an der Inszenierung des Trailers liegen, doch gerade Star Allies zeigte die Kehrseite eines gezwungenen Multiplayers. Das Leveldesign wirkte im Gegensatz zu Einzelspieler-Kirby-Titel – wie Triple Deluxe oder Planet Robobot – uninspiriert und hatte nicht den gleichen kreativen Spielraum im Leveldesign, da alle vier Spieler jederzeit gleichzeitig dargestellt werden mussten. Kirby´s Adventure Wii ließ sich zwar ebenfalls mit Freunden genießen, hier wirkte der Mehrspieler allerdings wie ein Bonus und wurde nicht im gleichen Maße im Leveldesign integriert. Nichtsdestotrotz sollte man jederzeit bedenken, dass man gewisse Features eventuell noch zurückhält und dieser Trailer sich lediglich auf die Darstellung der Spielwelt konzentriert. Immerhin hat niemand damit gerechnet, dass erst der zweite große Trailer von Super Mario Odyssey die hervorstechende Mechanik des Spiels zur Schau stellt, womit man also potenzielle Mehrspieler, offene Welten und sonstige offenbar fehlende Ideen nicht völlig ausschließen sollte.
Weshalb aber nun das neueste Abenteuer so revolutionär für die Reihe ist, lässt sich einfach sagen: Ein Gefühl der Sättigung machte sich breit. Obwohl Star Allies mit Fan-Service brillierte und am Ende der kostenlosen Erweiterungen einen passablen Inhalt aufwies, waren die Leute gesättigt von den scheinbar immer gleichen 2D-Platformern. Ohne hier die Qualität von Spielen wie Triple Deluxe, Planet Robobot oder Adventure Wii zu untergraben, fühlten sich all diese Ableger sowohl spielerisch als auch optisch extrem ähnlich an und konzentrierten sich einzig und allein darauf, gewohnt überzeugende Kirby-Qualität abzuliefern. Dies sollte aber nicht der Anspruch der Reihe sein und auch wenn Kirby-Spiele in der Regel schlimmstenfalls lediglich gut und bestenfalls toll sind, ist es an der Zeit, die Messlatte zu erhöhen.
Nintendo gilt als Pionier des 3D-Platformer-Genres und doch stellen sie so wenig damit an, dass Leuten nur Mario in den Sinn kommt, sobald man das Thema anspricht. Betrachtet man aber die Größe und Inszenierung von Kirby und das vergessene Land, vor allem in Hinsicht auf Super Mario 3D World, so fragt man sich glücklicherweise, wo überhaupt noch der Unterschied zu einem richtigen 3D-Mario liegt, wenn es um den Aufwand geht. Zum ersten Mal nach vielen Jahren nimmt sich Kirby die Zeit, keinen Ableger schon nach zwei Jahren hervorzubringen, sondern konzentriert sich stattdessen darauf, letztendlich in der hohen Liga mitzuspielen. Und obwohl wir noch nicht wissen, wie weit das vergessene Land nun reicht, zeigen die Reaktionen zu Kirbys erstem großen Abenteuer nach 20 Jahren, dass selbst die größten rosa Gewohnheitstiere irgendwann aus ihrer Komfortzone treten müssen.
Wie seht ihr das Ganze? Ist es längst überfällig, dass Kirby diesen Schritt wagt oder sollten gewisse Reihen lieber bei ihren Wurzeln bleiben? Teilt uns eure Gedanken in den Kommentaren mit!