
Wie ihr an der Überschrift seht, möchte ich in diesem etwas freestyle ausfallenden Text eine These in den Raum stellen, die sich vielleicht komisch anhört:
Die technische Rückständigkeit seiner Hardware, speziell der Switch, ist Nintendos größter Trumpf im Konsolen-Game.
Was meine ich damit und wie bin ich überhaupt dazu gekommen?
Was wäre wenn?
Ursprung meines Interesses war die jüngste PS5 (Pro)-Diskussion, die ich nur als Zuschauer verfolge und in deren Verlauf sich die Gamer-Bubble einmal mehr von ihrer undankbarsten und selbstgerechtesten Seite gezeigt hat. Doch dieses "ich will mehr, sofort, billig" ist ja mittlerweile Standard. Die viel interessantere Frage ist meines Erachtens, wie realistisch die geäußerten Forderungen aus Publisher-Perspektive sind, wenn man sie tatsächlich erfüllen wollte. Oder anders:
Wie passen die immer kürzeren (und für das eigentliche Gameplay eher unnötigen) Produktzyklen auf Hardwareseite mit der Hoffnung auf konsolenexklusive, erzählerisch und grafisch überwältigende Singleplayerspiele zusammen?
Die schnelle Antwort: Überhaupt nicht.
Gerade bei High-End-Konsolen steht am Ende einer langen Entwicklung (und zunehmender Patchorgien) nur allzu oft ein für den Moment beeindruckendes Spiel, das allerdings durch Multi-Platforming gegenfinanziert werden muss und somit früher oder später seine Exklusivität einbüßt.
Mehr noch: Ab der Veröffentlichung auf PC oder jüngeren Konsolen ist die ursprüngliche Konsolenvariante häufig nur noch zweite Wahl, da man den neuen Plattformen sehr gern aufgebohrte Specs spendiert. Schließlich sind grafische Feinstheiten und Pixelcounts die industrieseitig erwünschten Fokusqualitäten und oft der einzige Grund für einen erneuten Erwerb eines essentiell unveränderten Spiels. Wer also sein Horizon oder God of War mit Raytracing bei 4k/120 fps erleben möchte, der greift zur PC-Version oder zur ausschließlich für ästhetische Spielereien notwendigen Midgen-Konsole.
Letztendlich kann man in jedem denkbaren Fall davon ausgehen, dass die Konsolenfassung früher oder später unterlegen ist, weil sich PC-Hardware einfach schneller entwickelt und in einzelnen Modulen (CPU, GPU) schon nach 2 Jahren deutlich leistungsfähiger als eine jetzt aktuelle Konsole ist. High End-Konsolen scheinen daher - zumindest in einer Welt, die High Fidelity und High Definition zum Fetisch erkoren hat - zunehmend nicht mehr der beste Ort zu sein, um einzigartige Spiele eines liebgewonnenen Publishers zu genießen. Sie sind oftmals nur ein Outlet unter mehreren und bieten softwareseitig (abgesehen von ihrer Zugänglichkeit) immer weniger Vorteile oder gar konkrete Anreize für Loyalität.
Und diese qualitative Ambivalenz ist nur ein Teil des Problems...
...denn unser sind viele?
Um ein Gefühl für die ebenfalls vorhandene quantitative Seite zu bekommen, bietet sich ein Blick auf die Exklusivtitel an, die für PS5 veröffentlicht oder angekündigt wurden:
https://en.wikipedia.org/wiki/Category:…on_5-only_games
Diese von mir nicht auf Vollständigkeit geprüfte Liste enthält insgesamt 22 Titel. Konkret heißt das, dass Sony in den Jahren 2020 bis 2025 knapp fünf exklusive PS5-Titel pro Jahr veröffentlichen konnte. Inklusive Remasters. Inklusive VR-Spinoffs. Inklusive Spielen wie Destruction Allstars, Astro's Playroom, Neptunia reVerse und Silent Hill: The Short Message.
Für eine Konsole mit diesen enormen technischen Möglichkeiten und einem unverändert guten Standing bei Gamer*innen ist das in meinen Augen ein Armutszeugnis, denn das technische Potenzial der OG PS5 ist heute - zur VÖ der Pro-Variante - nicht einmal annähernd ausgeschöpft. Die Pro gibt es mE vielmehr ausschließlich aufgrund der Tatsache, dass die OG PS5 mittlerweile die "schlechteste" Option zum Abspielen aktueller AAA-Multiplats und 3rd Party-Titel ist (siehe vorheriger Abschnitt).
Würde Sony seine Plattform stattdessen nachhaltig und exklusiv mit eigenen Marken und neuen IPs füttern, würde kein Mensch nach einer Pro schreien, denn die tatsächlichen Zugewinne (nicht optisches Bling, sondern Gameplay) sind zu vernachlässigen. Aber weil die Games einfach nicht fließen wollen, lässt man sich notgedrungen auf das technische Wettrennen um Frames und Fidelity ein, das man als geschlossenes System letzten Endes nur verlieren kann...
Whataboutism?!
Was hat das alles nun mit der Switch zu tun, fragt ihr euch? - Schauen wir uns dafür zunächst die Aufstellung der Exklusivtitel für die Switch an:
https://en.wikipedia.org/wiki/Category:…itch-only_games
Hier haben wir insgesamt 176 Titel, ebenfalls inklusive zahlreicher Remasters und eher nischiger Produktionen wie dem Taschenrechner, Jump Rope Challenge oder Snipper Clippers. Zudem ist die Switch seit knapp 8 Jahren auf dem Markt und hat entsprechend mehr Zeit gehabt.
Dennoch: Nintendo ballert hier statt fünf satte 25 exklusive Games pro Jahr raus und hat dabei neben lauwarmen Experimenten auch zahlreiche Hochkaräter am Start - gelungene Remakes, die Rückkehr beliebter Serien, neue IPs, das ganze Programm. In Sachen geschickter Markenpflege und Publikumsbindung ist das schlicht eine eigene Liga, in der die oft geschmähten Kinderspielverkäufer aus Kyoto aktuell ohne Konkurrenz sind.
Womit wir dann endlich bei der Auftaktthese dieses Artikels landen: Ich glaube, dass die veraltete Technik einen großen Anteil daran hat, dass Switch-Spieler*innen derzeit eine so unglaubliche Zeit erleben dürfen, dass das NES-Kind in mir vor Freude vom Sofa kippt. Ich möchte euch erklären, was in meinen Augen für diese Annahme spricht und warum ich hoffe, dass Nintendo weiter alten Scheiß macht.
Bruder, wo Liste?
Meiner Meinung nach gibt es fünf Gründe, die für das Festhalten an "veralteter" Technik sprechen:
1. Die Generationsunterschiede dürften zukünftig noch marginaler ausfallen als jetzt schon üblich.
2. Die jeweils letzte Generation ist erprobt und somit insgesamt weniger buganfällig.
3. Durch den geringeren Produktionsaufwand und bestehende Erfahrungen sind kürzere Entwicklungszyklen zumindest wahrscheinlicher.
3a. Dadurch steigt die Chance auf (auch für Publisher lohnenswerte) exklusive Titel.
3b. Dadurch steigt die Aussicht auf kreatives Gaming abseits des Indiebereichs.
Punkt Nummer 1 ist meines Erachtens selbsterklärend: Den letzten wirklich überwältigenden Sprung in spielerischer Hinsicht gab es mit der umfassenden Einführung von realitätsnaher Physik. Das entscheidende Spiel diesbezüglich war wohl Half Life 2 (2004) und im Gegensatz zu sämtlichen grafischen Updates der jüngeren Vergangenheit hat Physik seither tatsächlich tiefgreifenden Einfluss auf das Gameplay genommen.
Grafisch hingegen sieht die Bilanz der letzten Jahrzehnte durchwachsener aus: HD Gaming startete etwa midgen auf der PS3 (das war vor mindestens 15 Jahren!) und Spiele wie GTA V, God of War 3, Last Of Us oder Uncharted 3 sind auch heute noch weit weg vom Augenkrebs der frühen Polygon-Ära. Schaut euch die Liste auf https://www.thegamer.com/great-looking-…-still-hold-up/ an und ihr werdet sehen, dass man den Großteil auch heute noch problemlos zocken kann.
Nehmt euch anschließend die entsprechende PS4-Liste unter https://www.thegamer.com/most-impressiv…cs-past-decade/ zur Hand und ihr werdet vermutlich erkennen, dass es bis auf technische Buzzwords keinerlei relevanten Unterschiede zum aktuellen Stand gibt. Wichtig ist meines Erachtens zudem, dass diese Spiele in Sachen Gameplay keinerlei Evolution zu Vorgängergenerationen zeigen - spielmechanisch bekommen wir seit der PS3 letzten Endes nur mehr vom Immergleichen, während die Grundsteinlegung für 3D-Gameplay sogar in die Zeiten von N64, Dreamcast und PS1 fällt.
In meinen Augen haben wir in Sachen grafischer Realitätsnähe einen Stand erreicht, der nur noch in Nuancen ausgebaut werden kann. Beleuchtung ist hier vielleicht das größte Thema mit transformativem Anspruch, aber auch die komplexe Simulation von Abläufen und Routinen im Hintergrund (bspw. große Anzahl NPCs mit individuellen Zügen) dürfte interessant bleiben.
Hier sollte man allerdings beachten, dass der Rechenaufwand für derartige Effekte nicht zwangsläufig in gleichem Maße steigen muss: Bessere Techniken zur Bild(re)konstruktion und die Einbindung von KI-Routinen könnten durchaus dafür sorgen, dass man für spielerische Upgrades nicht unbedingt eine komplett neue Generation auf den Markt bringen muss.
Was die fortgesetzte Annäherung an die Realität betrifft, ist zudem seit gut 20 Jahren keine Lösung für das Uncanny Valley in Sicht: Je näher sich Spielwelt und Wirklichkeit in grafischer Hinsicht kommen, desto empfindlicher reagiert das Gehirn auf kleinste Dissonanzen und lässt im schlimmsten Fall die Immersion zerbrechen.
Es ist ironischerweise viel einfacher, das Gehirn mit einem gewissen Maß an grafischer Abstraktion zu vereinnahmen - vielleicht auch deshalb, weil die graue Masse unglaublich viel Bock auf Arbeit hat. Gehirne wollen Lücken füllen, was bei einer fotorealistischen Grafik schlicht nicht nötig ist. Und darum schalten sie dann trotzig in den Detektivmodus und suchen nach Fehlern: Während das hochgradig unrealistische Clipping zwischen Waffen und Umwelt im abstrakten BotW gar kein Problem fürs Gehirn ist, nimmt es das gleiche Maß an Clipping bei einem fotorealistischen Next-Gen Blockbuster eher als Bug wahr, der nach einem Patch verlangt.
Wie weit wollen wir - wollen die Programmierer*innen - dieses Streben nach spielmechanisch vollkommen irrelevanter Perfektion treiben, bevor es sinnlos wird?
Versteht mich nicht falsch: Es wird auch weiterhin Fortschritte auf technischer Ebene geben und wir werden weiterhin in der Lage sein, diese Fortschritte in Form "besserer" Grafik wahrzunehmen, wobei "besser" ein Synonym für "realistischer" ist. Da Spielgrafik jedoch zuerst die Aufgabe hat, eine lesbare Spielwelt für die grundlegenden Gameplay-Elemente zu erschaffen, ist Realismus eben kein universales Kriterium. Tetris funktioniert am besten abstrakt, viele Puzzlespiele, Adventures, Plattformer und Cardgames ebenfalls - für jegliches Spielkonzept jenseits von 3D/FPS ist grafischer Realismus wahrscheinlich immer die schlechtere Wahl, weil er gleichzeitig verwirrend und unglaublich aufwändig ist. Ich verabschiede mich daher gern davon und würde mich freuen, wenn wieder mehr Energie für Spielspaß übrig bliebe.
Punkt Nummer 2 ist ähnlich einleuchtend: In der Regel erscheinen am Ende einer Generation die optisch überzeugendsten Spiele, weil Programmierer*innen nach 5+ Jahren recht umfassend mit den Eigenheiten der jeweiligen Systeme vertraut sind. Man traut sich dem entsprechend an Cross-Gen-Titel, reizt existierende Engines bis aufs Letzte aus und schiebt die Grenze des Machbaren mit kreativen Einfällen über die technischen Limitationen hinaus.
Ein aktuelles Unreal 4-Spiel mag auf dem Papier kein Gegner für die rohe Kraft einer Unreal 5-Engine sein - tatsächlich strotzt letztere aber eben auch vor einer Menge Unwägbarkeiten, weshalb das vorhandene Potenzial zunächst nicht in überzeugende Leistung umgesetzt werden kann. Und deshalb sind die Unterschiede zwischen späten, hochgradig optimierten Unreal 4-Games und den early adopters der Unreal 5-Engine oftmals underwhelming.
Oder nehmt die Remasters "alter" PS4-Titel auf der PS5: Die mag man mit entsprechendem Nerdfokus und einer Vorliebe für Zahlen oder Buzzwords zwar willkommen heißen, aber nüchtern betrachtet bieten derlei Neuauflagen bis auf DLC-Vollständigkeit und Bugfreiheit keinen spielerischen Mehrwert. Und wo wir dabei sind...
Ein weiterer guter Grund für Last Gen ist mittlerweile auch auf der Switch angekommen: Aufwändigere Engines bringen mehr Bugs, wenn man dem generellen Patch-Aufkommen glauben mag. Selbst die Eigenproduktionen von Nintendo und Partnern erhalten dieser Tage häufig schon zum Launch Patches, mit denen - trotz insgesamt längerer Entwicklungszeiten bzw. größerer Budgets und Teams - Ecken und Kanten glattgebügelt werden müssen.
In meinen Augen wäre es daher schön, wenn man sich bei der Switch 2 auf ein grafisches Level beschränken könnte, das bugfreie Releases zumindest wahrscheinlicher macht. Zumal Nintendo hoffentlich auch weiterhin eine Lanze für physische Releases bricht, wo Bugs einfach mal richtig hart nerven.
Punkt Nummer 3 ist eine schamlose Vermutung, da ich selbst keinerlei Erfahrung im Programmieren habe. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Einarbeitung in eine komplett neue Suite neben reichlich Geduld und Sorgfalt auch eine Menge Zeit erfordert. Nimmt man hierzu den nicht unbeträchtlichen Aufwand für eigene High-Res-Assets (ich denke, man wird den Unterschied zu entsprechenden Asset Packs sehen) und die Optimierungsarbeit für eine neue Engine auf neuen Plattformen, kommt sicher schnell eine ordentliche Menge an Stunden zusammen.
Ich denke daher, dass der Verbleib bei einer hypothetischen (!) PS4-Leistung den Vorteil hätte, dass die technischen Parameter dem Großteil der Entwickler bereits bekannt sind - mit kleineren Tweaks sollte die Entwicklung also zumindest in dieser Hinsicht überschaubar und letzten Endes günstiger bleiben.
Punkt Nummer 3a ist den meisten von uns superwichtig und eng mit der vorherigen Hypothese verknüpft: "Simplere" Technik bringt neben ausgereifteren Thirds wahrscheinlich auch deutlich mehr exklusive Games hervor. Weil die Frage nach einer ökonomisch sinnvollen Veröffentlichung auf einer einzigen Plattform weniger drängend ist, wenn man die Entwicklungskosten auch ohne Millionenverkäufe wieder reinbekommt. Und die Chance darauf steigt mit der Verfügbarkeit erprobter und vertrauter Entwicklungswerkzeuge.
Da einer der Hauptgründe für den Erwerb einer Konsole die dort beheimateten Exclusives sind, kann man die Bedeutung dieses Punktes in meinen Augen kaum überschätzen.
Etwas im Hintergrund steht Punkt Nummer 3b, der jedoch ebenfalls sehr eng mit dem ökonomischen Argument verknüpft ist: Je günstiger die Entwicklung von Spielen für ein System ist, umso weniger riskant sind kreative Ausreißer.
Nintendo begleitet mich nun seit knapp 30 Jahren und ein Grund dafür ist die Experimentierfreudigkeit, die man selbst mit großen IPs immer wieder an den Tag legt. Man kann sich als Spieler*in sicher sein, dass zwischen sicheren Nummern immer wieder minimal weirde Konzepte wie Luigi's Mansion, Mario + Rabbids, Warioware oder auch Splatoon eine Chance bekommen, während bei Zelda im allerbesten Sinne gar nichts mehr sicher ist. In dieser Hinsicht sind die First Party-Releases von Nintendo näher am verspielten Indiestudio als an den Studios von MS oder Sony. Hoffentlich ziehen letztere aus den Erfolgen von Astro Bot und Ratchet & Clank: Rift Apart die richtigen Schlüsse, denn die DNA scheint in Spuren noch da zu sein.
Wenn man sich mit diesem Wissen kurz vor Augen hält, auf welchem Niveau im Nintendo-Lager gejammert wird, dann fällt die kreative Bankrotterklärung der jährlichen EA Sports-Updates, des einundzwanzigsten (!) Call of Duty und des umpfzigsten Superhelden-Franchise-GaaS erst so richtig auf. Und es ist ja nachvollziehbar: Wenn ich mehrere hundert Millionen Dollar in ein einziges Spiel pumpe, dann MUSS ich auf bewährte Konzepte setzen - nur zur Entwicklung des Mediums tragen diese Zombies dann eben nichts mehr bei.
Genau dieses Level an Wiederholung, Sicherheitsdenken und Selbsterniedrigung würde ich auf "meiner" Konsole gern vermeiden.
Mein ganz persönliches Fazit
Ich sag's euch ganz ehrlich: Wir leben hier auf der Switch trotz des beschissensten Onlineshops aller Zeiten und 30 FPS bei 720p in einer fuckin' Blase der Glückseligkeit, während sich der Rest der Gamingwelt schon längst nicht mehr über Konzepte, sondern über Tflops, Pixelzahlen und Shader-Updates streitet.
Wir regen uns auf, weil Zelda zu experimentell ist, während Exclusives auf anderen Konsolen den Spaß am Spiel mit überambitionierten Narrativen ersticken, Filme sein wollen und mit einem Auge immer schon auf die Cross-Media-Verwertung schielen müssen. Innovationsbefreite Blockbuster, die so echt aussehen und sich als Spiel dann doch irgendwie falsch anfühlen.
Will ich das auf der nächsten Switch? - Ganz vermeiden kann man es wohl nicht, aber ich würde gern so oft wie möglich einfach nur spielen und ein wenig Spaß haben. Und ich denke, dass etwas Last-Gen für diesen Ansatz genau die richtige Wahl ist.
Danke für eure Geduld und happy gaming!
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