Dich kenne ich doch – Port-Wahnsinn auf der Nintendo Switch Kommentar Spezial
Geschrieben von Roman Dichter am 14.01.2018
Nintendo Switch verkauft sich wie geschnitten Brot und viele Fans sind derzeit begeistert vom umfangreichen Spiele-Angebot. Begeistert? Naja, dem würde wohl nicht jeder Spieler zustimmen. Unbestritten ist: So viele Spiele wie die neue Hybrid-Konsole hat wohl noch keine Nintendo-Hardware innerhalb des ersten Jahres erhalten. Allerdings können wir mit einem näheren Blick auch schnell erkennen, was genau derzeit den Nintendo eShop flutet: Ports, Ports, Ports…
Sollen wir uns jetzt freuen oder ärgern? Dritthersteller freuen sich darüber, dass es vergleichsweise einfach ist, Spiele von anderen Konsolen auf der Nintendo-Hardware zum Laufen zu bringen und beehren uns mit Titeln, die bei der Konkurrenz zum Teil vor Jahren schon für Aufmerksamkeit gesorgt haben. L.A. Noire, Rocket League oder Skyrim sind große Namen, allerdings nicht wirklich neu. Sicherlich kann man solchen Spielen nicht die Qualität absprechen, das will ich auch gar nicht. Ich selbst freue mich wahnsinnig darüber, hin und wieder unterwegs ein Match bei Rocket League spielen zu dürfen, und bestimmt kommen einige Nintendo-Fans erstmals in die Verlegenheit, Skyrim zocken zu können. Es ist schon toll, solche Spiele in der Bibliothek zu haben. Aber – etwas flapsig gefragt – womit soll denn der Nintendo Switch-Fan vor seinen PlayStation- und Xbox-Freunden angeben? Mit den ganzen ollen Kamellen? Wann zaubern die Third Party-Entwickler endlich die ganz großen Neuigkeiten aus dem Hut, die entweder exklusiv für Nintendo Switch, oder doch zumindest zeitgleich mit den anderen Versionen erscheinen?
Doch es sind nicht nur solche Spiele, die sich derzeit im Port-Rausch befinden. Hersteller von Smartphone-Spielen freuen sich über die guten Verkaufszahlen der Nintendo Switch und entdecken den Nintendo eShop neben den Smartphone-Marktplätzen von Apple und Google als Möglichkeit, das schnelle Geld zu machen. Auch hier muss ich sagen: Das kann man nicht pauschal negativ sehen. Auch wenn ich wirklich überhaupt kein Smartphone-Spieler bin, muss ich doch anerkennen, dass es einige sehr gute Spiele gibt, die ich überhaupt erst durch Nintendo Switch in die Hände bekomme. Allerdings kann man einige dieser Umsetzungen – freundlich ausgedrückt – als ziemlich lieblos bezeichnen. Und damit meine ich gar nicht die grafischen Feinheiten. Von derartigen Spielen kann man sowieso kein optisches Feuerwerk erwarten. Wenn es sich aber beispielsweise um fesselnde Puzzle-Spiele handelt, muss das gar kein Störfaktor sein.
Wenn man dann aber beobachtet, wie etwa beim Spiel Mujo die linken und rechten Ränder des Bildschirms völlig nutzlos und leer sind, weil das ursprüngliche Spiel auf dem Smartphone halt hochkant gehalten wurde, dann sieht man direkt die „Mühe“, die in die Portierung gesteckt wurde. Zudem werden solche Spiele gerne deutlich teurer an Nintendo-Fans verscherbelt, was aber nicht jeden Hersteller dazu bewegt, im Gegenzug auf In-App-Käufe zu verzichten. Ich habe wahrlich nichts gegen ein paar gute Spiele mit Smartphone-Ursprung auf meiner Nintendo Switch, aber Nintendo-Fans wie Melkvieh zu behandeln und mit minderwertiger Software zuzumüllen, ist sicher nicht das, was wir uns vorstellen, wenn wir von einer Spieleflut für unsere neue Konsole sprechen.
Als wäre das alles noch nicht genug, gibt es einen dritten großen Port-Trend, den Nintendo Switch-Besitzer derzeit erleben. Dieser lässt sich zusammenfassen mit einem Konsolennamen: Wii U! Der Gedanke dahinter scheint einfach und schlüssig zu sein: Die Wii U hatte viele tolle Spiele zu bieten und es gibt auch viele interessierte Spieler, die diese Spiele mögen. Allerdings gehört die Konsole mit dem GamePad auch zu den weniger erfolgreichen Produkten von Nintendo, sie wird auch gerne als Flop bezeichnet. Dagegen ist der Nintendo Switch-Erfolg beachtlich und mit ihm kommen auch zahlreiche Nintendo-Spieler zurück, die sich für den Vorgänger nicht begeistern konnten. Es gibt also viele Spieler, die sich zwar für Wii U-Spiele interessieren, aber keine Wii U haben, dafür aber Nintendo Switch. Also gehen wir doch den Wii U-Katalog von vorn bis hinten durch, portieren die interessantesten Werke auf die neue Konsole herüber und schwärmen von der riesigen Spiele-Auswahl!
Mario Kart, Pokémon Tekken, Bayonetta, Donkey Kong – das ist nur eine kleine Auswahl an Wii U-Titeln, die jetzt ihren zweiten Frühling erleben und nebenbei die Kassen klingeln lassen sollen. Zudem reden wir nicht ausschließlich von den großen Titeln. Auf der Wii U kam der Nintendo eShop mit seinen vielen Indie-Titeln erst richtig ins Rollen. Mangels großer Third Party-Games waren es sogar viele coole Indie-Spiele, die die Konsole in der Breite getragen haben, während Nintendo selbst hin und wieder für die Highlights sorgte. Jetzt könnte man fast den Eindruck haben, dass der halbe Nintendo eShop der Wii U auf die Nintendo Switch umzieht. Little Inferno, Letter Quest Remastered oder The Bridge sind nur einige Beispiele, die mir spontan einfallen. Und wie soll man das alles beurteilen? Natürlich ist es toll für Spieler, die die Wii U-Ära ausgelassen haben. Aber wem bringt all dies gar nichts? Den treuesten Nintendo-Fans!
Wer keine Nintendo-Konsole auslässt, ist sicher wenig begeistert vom Wii U-Recycling. Leidenschaftliche Gamer, die auch PlayStation und Xbox in ihrem Standard-Repertoire haben, werden bei Ports betagter Spiele von diesen Plattformen sicher nicht erneut zugreifen. Und wer gerne mal auf dem Smartphone daddelt, verspürt vermutlich wenig Begeisterung dafür, einen Zehner im Nintendo eShop zu lassen für ein Spiel, das es anderswo für einen Bruchteil oder sogar gratis zu erwerben gibt. Wunschlos glücklich mit dem Port-Wahnsinn sind vor allem die Gelegenheitsspieler, die sich für diese ganzen anderen Plattformen gar nicht so sehr interessieren und jetzt auf der Nintendo Switch auf eine riesige Auswahl an Spielen treffen, unter denen sie nur noch die besten herauspicken müssen. (Euch sei gesagt: ntower hilft! Wir testen für euch alles, was wir in die Finger bekommen.) Diesen Spielern sei es auch von Herzen gegönnt. Außerdem wird die Welt nicht schlechter, wenn ein Spiel portiert wird.
Mario Kart 8 Deluxe bietet einige Neuerungen im Multiplayer, ist aber im Wesentlichen das altbekannte Spiel.
Zudem möchte ich auch gar nicht zu viel meckern, denn wer kennt schon alle Spieleperlen von diversen Plattformen? Die Wii U-Highlights habe ich zwar nicht verpasst, aber auch mit Xbox und PlayStation im Haus kenne ich noch längst nicht alle spielenswerten Titel. Das Smartphone und der PC üben auf mich nicht den geringsten Reiz als Spiele-Plattformen aus, obwohl ich sie sonst sehr schätze. Folglich sind auch auf meiner Nintendo Switch schon einige Ports gelandet, an denen ich durchaus Spaß hatte. Für Mario Kart 8 habe ich sogar tatsächlich ein zweites Mal Geld ausgegeben. Zwar haben mich die Neuerungen der Deluxe-Version gar nicht unbedingt umgehauen, aber es macht einfach Spaß, das Spiel unterwegs erneut zu erleben. Der mobile Aspekt ist tatsächlich in meinen Augen ein echter Mehrwert, der viele Ports erst interessant macht. Dagegen sind kleine Überarbeitungen oder das Einbeziehen von DLC-Inhalten sicher gute Sachen, die aber nicht als "Erneut-Kauf-Argument" taugen.
Was mich eher ärgert ist, dass das Line-Up der Nintendo Switch, wenn man die ganzen Ports beiseitelässt, gar nicht mehr so eindrucksvoll ist. Es bleibt eigentlich ein Angebot, das sich gar nicht so wahnsinnig von Wii U-Zeiten unterscheidet: Es gibt ein paar starke Nintendo-Spiele, einige interessante Indie-Titel und dazu noch das eine oder andere Highlight wie Mario + Rabbids Kingdom Battle, sofern man sich für das jeweilige Genre bzw. die entsprechende Serie interessiert. Im Vergleich zur Wii U müssen wir bislang sogar auf eine Virtual Console verzichten. Wie also wird es weitergehen? Wird man in einigen Jahren die Nintendo Switch rückblickend als die mobile Port-Konsole beschreiben? Oder beobachten wir einfach ein Phänomen aus den Anfangstagen, das dann nach und nach durch wirklich neue Software abgelöst wird? Zu hoffen wäre es. Immerhin ist der Hybrid inzwischen so erfolgreich, dass es sich wirklich lohnen dürfte, in die Entwicklung neuer Spiele zu investieren. Drücken wir also die Daumen, dass wir in einem oder zwei Jahren auf die Frage, welche genialen Spiele es denn nur auf Nintendo Switch gibt, weit mehr zu sagen haben werden als nur „Super Mario Odyssey“.