Bergsteigen mal anders
Habt ihr schon mal einen eisigen Berg bestiegen? Selbst wenn nicht, könnt ihr mir wohl beipflichten, wenn ich sage, dass es definitiv kein Zuckerschlecken ist, die Motivation und die körperliche Belastbarkeit soweit aufrechtzuerhalten, bis man endlich an seinem Ziel angekommen ist. Es gibt des Öfteren Rückschläge hinzunehmen und manchmal... manchmal muss man vielleicht fürs Erste aufgeben. Doch selbst, wenn man es beim erstem Mal nicht sofort hinbekommt, will man es trotzdem immer wieder versuchen, ganz egal wie viel Schweiß, Blut und Tränen es einen eventuell kosten mag. Man möchte den süßen Nektar des Erfolges kosten, während man gleichzeitig all die Mühen nicht völlig umsonst aufgewendet haben möchte. Und dann, ganz plötzlich steht man ganz oben. Man steht oben auf einem riesigen mit Eis versehenen Berg und schaut auf all jene hinunter, die ihren Weg noch vor sich sehen, mit dem absolut befriedigenden Gefühl es nach all den Strapazen endlich geschafft zu haben. Somit heiße ich euch willkommen bei Celeste!
Was ich hier beschrieben habe, ist gar nicht mal so theatralisch übertrieben, wie es auf den ersten Anblick vielleicht scheinen mag, denn genau dieser fortlaufende Weg ist eigentlich die perfekte Gefühlslage, die ich beim Spielen des kleinen Indie Titels Celeste empfunden habe. Matt Thorsen, der Director des Spiels, welcher ebenfalls für das schon hochgelobte Multiplayer 2D Arena Spiel Towerfall Ascension bekannt wurde, hat sich hier dieses Mal vollkommen auf eine Einzelspielererfahrung konzentriert, wenngleich der 2D-Pixel-Look seines vorherigen Spiels geblieben ist. Allerdings ist diese Erfahrung auf keinen Fall ein locker, leichter Spaziergang, denn nun setzte er auf einen schnellen, knackigen 2D-Plattformer, anstatt auf ein Couch-Coop-Spektakel. Doch bevor ich auf den entscheidendsten Aspekt, das eigentliche Gameplay, eingehen möchte, gibt es einen Aspekt, der Celeste bedeutend anders macht, als eigentlich innerhalb des Genres üblich: Es erzählt eine Geschichte. Eigentlich kaum zu glauben, dass sich das Spiel gerade hier von seinen Genre-Konkurrenten à la Super Meat Boy und Co. deutlich abhebt. Celeste besitzt als einer der wenigen 2D-Plattformer eine Geschichte mit charmanten Charakteren, die allesamt sehr viel Liebe zum Detail aufweisen und bei denen es spannend ist, zuzuhören.
Wie bereits vorweggenommen, ist eure Hauptaufgabe selbstverständlich den riesigen Eisberg Namens „Celeste“ zu besteigen. Dieses Unterfangen möchte die zierliche, leicht schüchtern wirkende, aber zugleich unglaublich entschlossene Hauptprotagonistin Madeline erreichen, indem sie ihre verborgenen Ängste beiseite schiebt und mit dieser Erfahrung aus sich herauswachsen möchte. Dabei lernt ihr nicht nur Madeline als Person näher kennen, sondern trefft auf eurem Weg zum Gipfel des Berges allerhand – mal mehr, mal weniger merkwürdige – Personen und Gestalten, welche ebenfalls alle ihre ganz eigenen Sorgen, Motivationen oder Hintergründe besitzen. So trefft ihr beispielsweise einen nicht mehr ganz so lebendig wirkenden Hoteldirektor, welcher sich mit solch einer Hingabe um das Wohlergehen seines Hotels bemüht, dass er euch auf Biegen und Brechen dazu überreden möchte, doch eine Nacht dort zu verbringen. Was erstmal ziemlich aufdringlich und abstoßend wirkt, stellt sich im Laufe des andauernden Kapitels als komplett rückhaltlosen Einsatz heraus, einen total verunsicherten, werten Herren die letzte Ehre zu erfüllen. Nach all den Jahren der Pleite soll das Hotel endlich wieder Kundschaft haben dürfen. Die Dialoge zu den einzelnen Figuren sind unglaublich charmant und liebenswert geschrieben und die Interaktion zwischen den einzelnen Charakteren ist ein cleverer Ausgleich von den ansonsten knackigen Sprungpassagen. Man freut sich immer aufs Neue ein entweder bekanntes Gesicht erneut zu treffen oder aber gänzlich neue Leute auf seiner Reise kennenzulernen. Gerade dann, wenn die Gespräche mit skurillen Lauten, à la Banjo-Kazooie sympathisch vertont wurden und mit wunderbar detaillierten Gesichtsanimationen innerhalb der Textboxen dargestellt werden.
Bedeutend wird es allerdings dann, wenn das Spiel einen scheinbar komplett gegensätzlichen Ansatz innerhalb seiner Geschichte wagt, indem es Themen wie Panikattacken anspricht oder das generelle Gefühl, einfach alles was einem im Leben vor Herausforderungen stellt, hinzuwerfen, um der alltäglichen Belastung zu entkommen. Mit diesem Problem kämpft nämlich unter anderem auch Madeline, weshalb wir ihre Sorgen und Probleme im Laufe des Spiels immer weiter kennenlernen und daraus eine sehr enge, empathische Bindung zu ihr entsteht. Während der eigentliche Plot des Spiels relativ vorhersehbar ist, verändert das allerdings keines Wegs die mitreißende Geschichte rund um das Erklimmen von scheinbar unüberwindbaren Hindernissen, welche nicht nur Madeline beschäftigen und als Berg innerhalb des Spieles symbolisch dargestellt wird, sondern noch einen Schritt weiter geht und es auf unsere Zeit überträgt, wodurch wir alle angesprochen werden. So eine charmante und zugleich tiefgründige Story habe ich definitiv nicht in einem eigentlich simplen 2D-Plattformer erwartet. Dabei wird man auch nie mit Text übersättigt oder dergleichen, sondern jedweder Dialog wird passend innerhalb des Spielverlaufs mit eingebunden und die Entwickler schaffen es zum richtigen Zeitpunkt einen wunderbaren Ausgleich vom eigentlichen, herausfordernden Gameplay zu schaffen, welches durch die Geschichte nochmal ein deutlich passenderen Sinn bekommt.
Und apropos Gameplay: Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Celeste, um einen 2D-Pixel-Plattformer. Um genau zu sein einen „fast paced platformer“, also ein Jump 'n' Run, welches euch durch zumeist sehr knackige aber zugleich auch kurze Level schickt, die es zu bewältigen gilt. Dabei, falls ihr mal einen Fehler macht, bestraft euch das Spiel nicht indem ihr aus dem Level geworfen werdet oder mit anderweitigen ewigen Ladezeiten, sondern ihr seid sofort wieder am Anfang des Levels ohne große, nervige Umschweife. Die Steuerung und die Mechaniken sind bei solch einer Art von Spiel dabei besonders wichtig und essentiell, um schnelle, sowie punktgenau Manöver vollziehen zu können. So könnt ihr also neben den handelsüblichen Fähigkeiten, die man bei einem Plattformer eben so hat wie... nun ja... laufen und springen eben, zusätzlich noch einen Dash ausführen, Wandsprünge vollführen und wie es sich für einen Bergsteiger auch gehört: Klettern. Erstere Fähigkeiten erklären sich quasi von selber, drückt ihr den Y-Knopf, könnt ihr einen kleinen Boost ausführen, welcher euch beispielsweise erlaubt, größere Abgründe zu überwinden. Dabei sei erwähnt, dass dieser Dash sowohl nach links und rechts aber auch nach oben und unten, sowie vertikal ausführbar ist, womit das volle Spektrum der Himmelsrichtungen komplett ausnutzbar sind. Allerdings könnt ihr diesen Boost nur einmal ausführen bis ihr wieder den Boden berührt, wodurch es gut überlegt sein mag, zu welchem Zeitpunkt dieser euch nützlich sein kann. Der Wandsprung lässt euch einmal von der Wand abprallen und mit der Kletterfunktion, könnt ihr an jeder beliebigen, steilen Wand hochklettern. Interessant wird es dann, wenn euch die Ausdauer beim Klettern ausgeht und ihr entweder mit schreckhaften Wandsprüngen versucht, dem Tod zu entkommen oder ihr schlicht und ergreifend in die Tiefen der Klippen hinunterfallt. Aus diesen zwar simpel wirkenden Fähigkeiten entsteht eine beachtliche Tiefe innerhalb der Bewegungen, die euch Madeline ausführen lässt, an die man sich allerdings ziemlich schnell gewöhnt. Und wenn man sich erst einmal an die Möglichkeiten, die einem das Spiel gibt, gewöhnt hat, entsteht eine hervorragende Symbiose aus Springen, Boosten, ein, zwei Wandsprünge mitnehmen, um sich danach auf eine herabstürzende Plattform fallen zu lassen bis man sich knapp an einer Kante noch hochzieht.
Das Gefühl, welches beim bloßen Steuern von Madeline hervorgerufen wird, ist einfach nur fantastisch und man taucht förmlich in einen einzigartigen, für sich selber anhaltenden Flow aus kompetentem Überwinden der einzelnen Hinternisse ein. Gerade Speedrunner werden ihre Freude mit dem Spiel haben. Doch neben der präzisen, punktgenauen Steuerung sind auch die Kapitel als solches mit immerzu neuen Raffinessen ausgestattet, wodurch ihr euch immer weiteres Können aneignet, was dazu führt, dass ihr stetig besser werdet. Wenn man sich ein Kapitel genauer anschaut, erkennt man, dass diese nicht in mehrere kleine Level unterteilt sind, sondern sich vielmehr wie ein riesiges zusammenhängendes Areal anfühlen. Dadurch wirken die Kapitel fast schon ein wenig wie ein Metroidvania, nur das man oftmals nicht mehr zum vorherigen Bildschirm zurückkehren kann.
Allerdings gibt es in den einzelnen Bereichen eines Kapitels so viele versteckte Wege, sammelbare Gegenstände und clever eingebundene, spaßige Sprungpassagen, dass man eine Menge übersehen kann, wenn man sich nicht sorgfältig genug umschaut. In jedem der einzelnen Kapitel gibt es sowohl mehrere Erdbeeren zu sammeln, als auch eine Kassette, sowie Kristallherzen. Während die Kassetten euch zu der „B-Seite“ eines Kapitels befördern, welches im Prinzip das gleiche Kapitel nur nochmal deutlich schwerer ist und ohne Dialoge, bewirken die Kristallherzen ausschließlich im Endgame etwas, während die vielerlei versteckten Erdbeeren überhaupt keine Bedeutung besitzen. Dies ist relativ schade, da die Erdbeeren nicht nur einen Großteil der sammelbaren Gegenstände ausmachen, sondern dadurch die Motivation, wirklich alle sammelbaren Gegenstände eines Kapitels einzusacken nur sehr begrenzt ist. Hier wäre es auf alle Fälle schön gewesen, würde man Artworks, Kostüme oder dergleichen als kleinen Anreiz für die 100% Jagd zur Verfügung stellen. Jedoch macht das bloße Suchen nach geheimen Wegen und die zusätzliche Herausforderung, eine Erdbeere, die auf den ersten Blick völlig unmöglich zu erreichen scheint, zu meistern, ebenfalls eine Menge Spaß. Genauso spaßig ist der fast schon absurd wirkende Abwechslungsreichtum, der in den einzelnen Kapiteln existiert. Man möchte meinen, dass bei einem Spiel, in dem einzig und alleine das Ziel vorherrscht, einen Berg zu besteigen, die Möglichkeiten, abwechslungsreiche Kulissen zu erschaffen, relativ beschränkt sind. So allerdings nicht bei Celeste. Jedes Kapitel hat seinen eigenen besonderen Kniff und überrascht teilweise sogar mit komplett obskuren Ideen, die aber allesamt schlüssig wirken und sich wunderbar ins Gesamtgeschehen integrieren. So wandert ihr zwischenzeitlich in altertümlichen Ruinen innerhalb des Berges umher oder findet euch in einem verlassenen Geisterhotel wieder, während ihr danach von sämtlichen Windströmen nach links oder rechts katapultiert werdet und dagegen erst einmal ankommen müsst.
Begleitet wird dieses Abenteuer nur noch von einem wunderbaren Soundtrack, welcher passend zum jeweiligen Geschehen mal ruhiger und dann wieder richtig aufdrehen kann. Somit sind nicht nur die Geschichte und die Charaktere als solches, die ihr während eurer Reise begegnet, unglaublich charmant und sympathisch, sondern die einzelnen Kapitel reihen sich makellos ein, wodurch ein sowohl inhaltliches, sowie visuell perfektes Zusammenspiel zustande kommt. Celeste besitzt den Feinschliff und die Stilsicherheit, die man bei vielen anderen Indiespielen kläglich vermisst und beweist, dass es genau weiß was diese Art von Spiel ausmacht: punktgenaue Steuerung, für eine perfekte Kontrolle, schneller Wiedereinstieg beim Versagen eines Sprungs und knackiges Leveldesign, das so gestaltet ist, dass der Spieler wirklich die Schuld an einem Tod hat und nicht das Spiel dafür verantwortlich gemacht werden kann. All diese Punkte erfüllt Celeste mehr als hervorragend, wodurch es nie zu Frustmomenten kommen kann, abseits davon, dass man sich über sein eigenes Versagen ärgert. Und wenn es doch mal dazu kommen sollte, bietet euch das Spiel einen Hilfemodus an, indem ihr das Spieltempo verlangsamen könnt, euch Unbesiegbarkeit oder unbegrenzte Ausdauer herbeiruft oder gleich gänzlich ein Kapitel überspringen könnt. Was ich aber angesichts der tollen Dialoge, die das Spiel noch zusätzlich hervorheben, keinem empfehlen kann. Die Entwickler hätten nicht einmal Dialoge oder gar eine Geschichte einbauen müssen und das Spiel wäre als solches bereits sehr gut gewesen, allerdings macht die Tatsache, dass sie diesen extra Aufwand betrieben haben, aus Celeste nicht nur ein sehr gutes Spiel, sondern ebenfalls ein einzigartiges und somit herausragendes Spiel.
Unser Fazit
9
Geniales Spiel