Eine Perle unter den Indie-Games gefällig?
Bereits 2019 wurde das Spiel Cris Tales bei der Spielemesse E3 vorgestellt. Nun nach einer Verschiebung können wir diesen Sommer das fantastische Abenteuer aus Kolumbien erleben. Kolumbien? Richtig gehört, meine lieben Leser, das Studio Dreams Uncorporated hat in Kolumbien dieses Spiel entwickelt und sich dabei an JRPG-Titeln wie Final Fantasy und der Persona-Reihe orientiert. Dies sind große Namen – kann ein Indie-Titel ein solches Erbe würdig antreten? Finden wir es heraus.
Die Geschichte des Spiels ist schnell erklärt. Die junge Waise Crisbell wird durch einen sprechenden Frosch mit Zylinder ihr Schicksal bewusst. Sie ist eine Zeitmagierin und besitzt die prophezeite Fähigkeit, Vergangenheit, Gegenwart und die resultierende Zukunft gleichzeitig zu erkennen. Diese neu gewonnene Fähigkeit offenbart Großes und Schreckliches: die berüchtigte Kaiserin der Zeit versucht die Landschaften zu erobern und die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Ihr dürft hierbei Crisbell beziehungsweise den Frosch Matias steuern und versuchen, das Schicksal der Welt zu ändern. Während ihr auf eurer Reise gefährliche Kreaturen und Zeiträtsel löst, bekommt ihr immer mehr Verbündete, die euch im Kampf mit ihren Talenten zur Seite stehen. Ist Crisbell wirklich das Mädchen aus der Prophezeiung des Landes und kann sie die Welt retten? Was ist mit ihrer Familie geschehen und wie wurde die junge Crisbell eine Waise? Welche finsteren Beweggründe hat die Kaiserin? All dies sind Fragen, die man während des epischen Abenteuers verfolgen wird.
Die Spielumgebung kann man in drei verschiedene Ebenen einteilen: Die Weltkarte, einzelne Dungeons oder Siedlungen und die Kampfsituationen. Schon zu Beginn des Spiels bewegt ihr euch frei in einer städtischen Umgebung. Jeder der Bereiche der Stadt bietet verschiedene Möglichkeiten der Interaktion. Beispielsweise könnt ihr mit den Bewohnern sprechen und diverse Quests auslösen, die ihr durch Fähigkeiten der Zeitmagie löst. Eine Warnung wird direkt in der Einführung gegeben: Jede Wahl, jede Entscheidung und jede Interaktion in der Vergangenheit oder Gegenwart verändert die Zukunft. Bedeutet, dass ihr sowohl positiv als auch negativ Einfluss auf das Schicksal der Bewohner oder Gebiete haben könnt. Viele Quests sind so angelegt, dass ihr durch Tricksereien mit der Zeit Probleme lösen könnt.

Eine der besten Kontrastrierungen der Zeitebenen in der Flutstadt. Könnt ihr das Schicksal ändern?
© Dreams Uncorporated LLC
Eine der wichtigsten Funktionen, die während einer Stadterkundung zur Verfügung steht, ist die Dreiteilung des Bildschirms in Vergangenheit (links), Gegenwart (mittig) und Zukunft (rechts). Ihr könnt also permanent alle drei Zeitstufen im Spiel verfolgen, ohne dabei in ein bestimmtes Menü wechseln zu müssen. Durch das Drücken der X-Taste kann Matias dann mittels Crisbells Fähigkeiten einen Zeitsprung vollziehen und Aktionen in den Zeitebenen ausführen. Ein simples Beispiel zur Veranschaulichung: Eine Frau benötigt eine Pflanze, die es nirgends im Königreich gibt. Lediglich ein Samen ist Crisbell gegeben. Also pflanzt sie den Samen in der Gegenwart, lässt Matias in die Zukunft springen, um die Pflanze zu ernten. Zurück in der Gegenwart gibt Matias Crisbell die Pflanze und die Quest ist erfüllt. Dieses Beispiel veranschaulicht sehr gut, was euch bei den Tricksereien mit der Zeit erwartet. Ein kühler Kopf und Kreativität sind der Schlüssel zum Lösen dieser Probleme. Diese Funktion ist in Dungeons, also an Orten, wo Monster und Abenteuer lauern, normalerweise nicht verfügbar. Durch den Fortschritt in der Handlung erlernt Crisbell aber andere interessante Zeitmagie, die das Abenteuer anspruchsvoll und vielseitiger gestalten.
Besonders zu Beginn des Spiels ist die Größe der Dungeons auffällig. Tatsächlich sind nicht viele Schritte nötig, um diese Dungeons zu durchqueren. Neben teils einfallslos verteilten Schatzkisten gibt es nichts weiter als Monster und die Umgebung zu bewundern. Herausforderungen, wie ein labyrinthartiger Aufbau oder Rätsel, die man für einen Fortschritt lösen muss, sind nur selten gegeben. Hier herrscht Simplizität, die ihr sicherlich hin und wieder zu schätzen wissen lernt, die aber oft genug auch eine Eintönigkeit bereithalten kann.

Eine Besonderheit im Kampfsystem von Cris Tales ist, dass man von Gegnern beidseitig umringt wird. Konzentration und kluge Strategien sind notwendig, für eine siegreiche Schlacht.
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Die Weltkarte ist ebenfalls nicht in drei Segmente eingeteilt. Auf ihr kann man von einer Ortschaft in die nächste wechseln. Zugegebenermaßen ist die Weltkarte im Vergleich zu den anderen Bereichen des Spiels weniger lebendig und bietet auch nicht unbedingt viel zu entdecken. Mit jeder neuen Stadt, die man im Laufe der Handlung aufsucht, wird man in einen anderen Teil der Weltkarte gebracht. Dort könnt ihr euch dann frei zwischen der Stadt und den verschiedenen zugehörigen Dungeons bewegen. Insgesamt bietet aber die Weltkarte leider nur tristes Design, das eher als ein Mittel zum Zweck dient.
Die letzte Ebene des Spiels bildet das Kampfsystem. Wie bereits erwähnt haben sich die Produzenten des Spiels an klassischen JRPGs orientiert. Dementsprechend nutzen sie für ihre aktuelle Produktion ebenfalls ein rundenbasiertes Kampfsystem. Im oberen Teil des Bildschirms wird die Reihenfolge angegeben, in welchem euer Team beziehungsweise die Gegner angreifen. Im Zentrum des Geschehens steht die eigene Truppe, die Gegner dagegen verteilen sich links und rechts auf dem Kampfbildschirm. Jeder Charakter hat eigene Fähigkeiten, die man untereinander geschickt kombinieren kann. Crisbell kann während des Kampfes die Zeit in die Vergangenheit (links) beziehungsweise in die Zukunft (rechts) verfrachten. Diese Art des Kampfes eröffnet eine völlig neue Art der Strategie und erhöht den Kampfspaß immens. Statt langweiliger Kampfsituationen könnt ihr immer wieder neu mit der Zeit und ihrer Wirkung experimentieren. Ist der Gegner vergiftet? Verfrachtet ihn in die Zukunft und er wird an dieser Vergiftung gestorben sein. Ist der Gegner ein wenig zu stark in seiner jetzigen Form. Ein Fingerschnippen und in der Vergangenheit ist der Gegner nur ein Windelträger und leichte Beute. Jedoch muss man immer genau auf der Hut sein. Verschiedene Feinde reagieren anders auf den Zeitsprung. Fehler eurerseits können fatale Folgen haben und eventuell eure Vorteilsposition kosten.
Jeder Fan von RPGs oder JRPGs weiß wovon ich schreibe, wenn ich sage, dass die Musik das A und O für ein gutes RPG sein kann. Cris Tales schafft es durch verschiedene Musikstücke Spieler nicht nur zu fesseln. Ihr werdet euch gepackt und direkt ins Geschehen verfrachtet fühlen. Während in Wäldern und düsteren Höhlen eher sanfte und teils unheilvolle Melodien zu hören sind, darf man sich dagegen in Kampfsequenzen über sehr energiegeladene Musik freuen, die nicht eintönig wird. So wie ich Cris Tales erlebt habe, wurde durch das Produktionsteam bewusst versucht, durch qualitativ hochwertige Musik ein Spielerlebnis zu schaffen, das sich von anderen Spielen abheben kann.

Auf ihrer großen Reise begegnet Crisbell vielen neuen Freunden und einigen Mitstreitern. Sie mögen zwar freundlich und süß aussehen, aber kämpfen können sie wie gefährliche Bestien.
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Ergänzt wird die Musik, die Balsam für die Ohren ist, mit schicken visuellen Artworks. Das Spiel ist zwar ein dreidimensionales Abenteuer, Personen und deren Animationen sind aber nur zweidimensional dargestellt. Als Referenzspiel könnt ihr euch an Paper Mario orientieren. Crisbell ist als Hauptcharakter des Spiels auch überwiegend auf dem Bildschirm zu sehen. Wenn ihr lauft, könnt ihr sie je nach Laufrichtung in vier verschiedenen Positionen sehen. Was jetzt auf dem Papier etwas abstrakt und eventuell langweilig wirkt, funktioniert in der Umsetzung gut und passt zum Gesamtdesign des Spiels.
Das Spiel wirkt wie handgezeichnet und ausgeschnitten. Ich hatte das Gefühl, als würde ich jeden Abend, wenn ich dieses Spiel testete und genoss, ein Bilderbuch voller großer und kleiner Geschichten aufschlagen. Die Charakterdesigns wirken nicht nur authentisch – durch die Synchronarbeit bekommt man noch mehr Tiefe von den Charakteren mit. Bevor jemand von euch fragt, nein, das Spiel hat keine deutsche Synchronfassung. Das muss aber kein Grund für enttäuschte Gesichter sein, denn die Textsprache ist auf Deutsch spielbar. Die Stimmen der Charaktere sind angenehm besetzt und gut verständlich. Lediglich ein Kritikpunkt wäre anzumerken: Willhelm, der männliche Zeitmagier und Begleiter von Crisbell hat eine Frau als Synchronstimme erhalten. Dieser Umstand ist zwar nicht ungewöhnlich in der Branche aber für einen Jungen hört sich Wilhelm tatsächlich an wie ein Mädchen. Das schwächt ein wenig seine Rolle als äußerlich junger und innerlich alter männlicher Magier.
Es wird nun Zeit die rosarote Brille abzulegen. Mittlerweile sollte klar sein, dass ich dieses Spiel liebe, aber kein Spiel ist perfekt und auch Cris Tales hat seine unangenehmen Schwächen. Die wahrscheinlich größte und nervenaufreibendste Problematik sind die Ladezeiten. Jedes Mal, wenn ihr einen neuen Raum besucht, gibt es eine Ladezeit. Nach meiner Messung sind es im Schnitt 7-15 Sekunden Ladezeit. Manchmal etwas mehr, wenn man größere Abschnitte betritt. Anstrengend sind diese Ladezeiten in Dungeons dann, wenn Monster einen angreifen. Ihr kennt es sicherlich von anderen Spielen: Man begegnet einem Feind, eine kleine Animation wird gezeigt, eine kurze Komposition wird abgespielt und der Kampf beginnt. Cris Tales macht es anders. Man läuft über Feld und Steine, plötzlich wird der Bildschirm weiß, der Ladebildschirm ist zu sehen und dann sitzt man im Kampf. Keine Überleitung in den Kampf, nichts. Nur etwa 12 Sekunden weißer Bildschirm mit der kleinen rennenden Crisbell in der unteren rechten Ecke als Lade-Icon. Wenn man so wie ich gerne farmt, kommt man hier schnell an seine Belastungsgrenze. Die Ladezeiten ziehen sich und summieren sich mit der Zeit auf. Auch nach dem Kampf gibt es einen Ladebildschirm. Dieser Umstand ist ein dicker Minuspunkt für die Technik des Spiels.

Jede Region kämpft mit eigenen Problemen. Immer im Mittelpunkt: die Gier und fehlende Einsicht der Menschen.
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Außerdem zu bemängeln wäre der Beginn der Handlung. Innerhalb von wenigen Minuten wird man von einer blumenpflückenden Waise zu einer mit Fröschen sprechenden Zeitmagierin, deren Schicksal es ist, die Welt zu retten. Ohne jede Vorwarnung fällt euch dann ein Zeitschwert in die Hände und das Monsterprügeln geht los. Crisbell hat innerhalb der ersten halben Stunde so viele Freunde und Mitstreiter gefunden, dass einem bei den ganzen Namen der Kopf richtig schwirrt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich einer Person etwas geben sollte, aber ich konnte den Namen in der Mission nicht dem Aussehen der Person zuordnen. Offensichtlich ist die Quest noch immer offen, weil ich bisher noch keine Lust verspürte, mit jeder einzelnen Person zu sprechen. Das ist meiner Meinung nach auch ein großes Problem. Ihr werdet von einem Ort an den nächsten geschleppt, in welchem immer wieder neue und sehr tiefgründige Charaktere beleuchtet werden. Die Haupthandlung geht in der Fülle an Nebencharakteren einfach unter und oft fühlt man sich von einem Ort überlastet. So erging es mir zumindest manchmal.
Als eine vergebene Chance kann man die fehlenden Interaktionsmöglichkeiten mit der Vergangenheit oder Zukunft betrachten. Durch Sidequests werdet ihr zwar hin und wieder dazu aufgefordert mit Matias einen Sprung durch die Zeit zu wagen, aber außerhalb dieser Aktivitäten könnt ihr nicht mit den Menschen dort reden. Nur über visuelle Veränderungen und stumme Interpretation eine Geschichte zu erzählen ist zwar nicht unbedingt verkehrt, aber für ein RPG nicht unbedingt das Mittel der Wahl.
Wie ihr es vielleicht aus Final-Fantasy-Klassikern kennt, gibt es keine automatische Speicheroption. Nur an bestimmten Punkten des Spiels oder auf der Weltkarte kann man speichern. Der Tod des Teams resultiert dann zu einem Reset auf den letzten Speicherpunkt. Besonders am Anfang des Spiels ist das ein Element, das den Druck positiv anhebt. Gegen Mitte und Ende des Spielverlaufs kann man das Speichern hier und dort auch mal aufsparen, da das Team schnell stark wird. Im Vergleich zu anderen namhaften Produktionen ist dieses Spiel eher Mittelmaß in Sachen Schwierigkeitsgrad. Es gibt durchaus Momente, die hitzig werden können, aber insgesamt hatte ich zumindest keine großen Schwierigkeiten. Wer nach einem interessanten, aber auch entspannten Abenteuer sucht, ist gut mit Cris Tales bedient. Denn auch wenn die Probleme existieren, ist der Spielspaß stets auf einem hohen Niveau.
Unser Fazit

7
Spaßgarant