Die Karten liegen auf dem Tisch
Es gibt Spiele, die erwecken einen besonderen Ersteindruck, indem sie mit einer bombastischen Action daherkommen, mit neuen Gameplaymechaniken glänzen oder einfach nur durch reine Provokation. Voice of Cards: The Isle Dragon Roars, das neueste Werk aus dem Hause Square Enix und des Entwicklers Yoko Taro – bekannt für die Spiele der NieR-Reihe - fiel vor allem durch seine Optik auf. Denn das Spiel präsentiert seine gesamte Spielwelt in Form von Spielkarten, was zu seiner Ankündigung durchaus für Gesprächsstoff sorgte. Wir haben uns das Rollenspiel einmal genauer angeschaut und klären auf, ob der Titel neben seiner außergewöhnlichen Optik auch spielerisch überzeugen kann.
Wer schon einmal ein Spiel der NieR-Reihe gespielt hat, der weiß, dass diese sowohl tiefgründig als auch ziemlich humorvoll daherkommen und sowohl Setting als auch Charaktere gerne einmal außergewöhnlicher und schräger ausfallen können. Das ist in Voice of Cards auf den ersten Blick noch gar nicht der Fall, denn das JRPG gibt sich weitestgehend klassisch: Ihr verkörpert einen Helden, das Spiel schlägt euch den Namen Ash vor, der zusammen mit einem Monster-Gefährten den Auftrag entgegennimmt, einen Drachen zu töten, der nach einer Ewigkeit wieder aufgetaucht ist und nun das Königreich terrorisiert. Dies soll nun im Laufe des Spiels auch euer Auftrag sein, auch wenn man bereits früh erahnen kann: So simpel wird es natürlich nicht bleiben. Doch Voice of Cards kommt nicht mit ganz so vielen Wendungen daher, wie es zum Beispiel ein NieR: Automata tut. Wo das Spiel hingegen bereits früh aus den klassischen Fantasy-Konventionen ausbricht, ist Ashs Motivation: Anstatt nämlich aus reinem Heldenmut oder aus Fürsorge für sein Land zu handeln, geht es ihm ausschließlich um das Geld und so weigert er sich anfangs beinahe stoisch, seine erste, zusätzliche Begleiterin, die euch das Spiel bereits früh an die Seite stellt, überhaupt mit auf die Reise zu nehmen. Schließlich bedeutet jedes weitere Party-Mitglied ja, dass man am Ende die Belohnung teilen muss!

Buffs und Debuffs verändern die Beschaffenheit eurer Karte. Hier wird die Verteidigung gesenkt.
© Square Enix
Hier kommt eine der großen Stärken von Voice of Cards ins Spiel, die sich im Laufe des Spiels immer deutlicher offenbart: die Charaktere und vor allem der Humor. Jeder eurer künftigen Begleiter hat seine eigene Motivation, wieso er euch auf eurer Reise begleiten möchte und bei den wenigsten ist es tatsächlich der Wunsch, dem Drachen ans Leder zu wollen. Dabei wird viel mit Humor gearbeitet, wobei Fantasy-Stereotypen gut und gerne verbogen werden. Das funktioniert in den allermeisten Fällen ziemlich gut und einen nicht unerheblichen Teil trägt der Spielleiter dazu bei. Dieser ist nämlich der Erzähler des Spiels, der all eure Aktionen kommentiert und auch die einzelnen Charaktere vertont, ganz wie man es aus einer klassischen Pen & Paper-Runde kennen würde. Wenn er gerade nicht dabei ist, das Spielgeschehen mit seinen Dialogen zu untermalen, gibt er gerne auch mal zynische Kommentare zu eurer Spielweise oder der Handlung ab, etwa wenn ihr versucht ins Wasser zu springen und er nüchtern feststellt, dass ihr dann untergehen würdet.
Neben dem Humor und den Charakteren ist der eigentliche Star des Spiels jedoch seine Spielwelt bzw. deren Darstellung. Denn Voice of Cards wird komplett in Form von einzelnen Spielkarten dargestellt. Eure Charaktere, alle Gegenstände und eure Ausrüstung, NPCs sowie die jedes Gebäude oder auch nur ein Stück Wiese werden als einzelne Spielkarte dargestellt. Wenn ihr also in der Rolle von Ash das Spiel im Thronsaal beginnt, so seid ihr erst einmal in einem kleinen Raum, dessen sichtbare Wände und Böden als offengelegte Karten mit dem entsprechenden Motiv dargestellt werden, während die übrigen Räume und Charaktere, die ihr noch nicht sehen könnt, allesamt noch als verdeckte Karten dargestellt werden. Diese Art der Darstellung ist das wohl charakteristischste Merkmal des Spiels und sie ist den Entwicklern sehr gut gelungen. Die einzelnen Motive, vor allem die der Hauptcharaktere, fallen allesamt sehr detailliert aus und auch die Motive der Items sowie Ausrüstung und Zauber wissen zu gefallen. Für die NPCs gilt das zwar auch, jedoch wiederholen sich deren Kartenmotive recht schnell, was der Spielwelt ein wenig an Glaubwürdigkeit und Flair kostet.
Dabei bleibt das Geschehen auf dem Bildschirm allerdings nie statisch; die Karten „interagieren“, so gut es ihnen eben möglich ist. Verbeugt sich ein Charakter aus Dankbarkeit, wird die Karte leicht nach vorne geneigt, als würde sie den Kopf senken und vor allem in den Kämpfen zeigen die Macher sehr gut, was man alles aus der vermeintlich eingeschränkten Situation machen kann. So feuert unsere Bogenschützin mit einer ihrer späteren Attacken erst eine Salve an Pfeilen in die Luft, springt während des Feuerns von einer Stelle zur anderen und lehnt sich dann zurück, um einen letzten, kraftvollen Pfeil abzufeuern – und all das wird nur dadurch symbolisiert, dass die Karte des Charakters in der Gegend herumhüpft und sich im richtigen Moment bewegt. Das mag in Textform unspektakulär klingen, sieht aber in Bewegung ungewöhnlich ansprechend aus.
Das waren nun einige Pluspunkte, mit denen der Titel auftrumpfen kann und die ihn von der übrigen Konkurrenz abgrenzen kann. Doch das war es dann auch schon, denn unter der schönen Fassade handelt es sich bei Voice of Cards um ein ziemlich generisches JRPG. Das merkt man am ehesten in den Kämpfen, die allesamt nach altbekannten Muster ablaufen: Ihr wählt nacheinander die Attacken und Fertigkeiten eurer Charaktere, die euren Gegnern Schaden hinzufügen und müsst entsprechend Gegentreffer einstecken. Jeder Charakter verfügt dabei über ein festgelegtes Skill-Set und hat so seine Stärken und Schwächen. Während Titelheld Ash als ein erstaunlich vielseitiger Nahkämpfer mit Heilfertigkeiten daherkommt, ist der muskelbepackte Bruno der typische Nahkämpfer und eure magische Begleiterin wirft mit elementaren Zaubern um sich und ist so für viele Gegnertypen gewappnet. Die einzige Änderung, die für sich selbst steht, sind dabei die Juwelen, die sich die Gruppe teilt und die ihr im Kampf erhaltet.
Die leuchtenden Steine sind die Voraussetzung dafür, dass ihr jenseits eurer Standardangriffe weitere Skills einsetzen könnt, wodurch eine gewisse taktische Komponente ins Spiel kommt; nutzt ihr eure drei gesammelten Edelsteine für einen mächtigen Flächenangriff oder sammelt ihr noch zwei mehr, damit Ash die Verteidigung der gesamten Gruppe für mehrere Runden erhöhen kann? Solche Überlegungen würde das Kampfsystem eigentlich begünstigen, doch damit kommen wir gleich zum nächsten Problem: Voice of Cards ist viel zu leicht. Die Kämpfe sind alles andere als anspruchsvoll und selbst Bossgegner könnt ihr bezwingen, ohne einen einzigen Treffer einzustecken, sofern ihr die richtigen Fertigkeiten einsetzt. Da hilft auch das künstliche Erschwernis nicht, dass negative Statuseffekte beim Gegner erst aktiviert werden, wenn ihr einen bestimmten Wert überwürfelt. Ihr werdet zwar ab und an in die Verlegenheit kommen, dass einer eurer Charaktere das zeitliche segnen könnte, weil ein Gegner mal einen glücklichen kritischen Treffer landen konnte, doch im Normalfall werden selbst Anfänger mit den Kämpfen unterfordert sein. Da ist es dann umso unverständlicher, dass das Spiel dann beim Endboss plötzlich mit einem Kampf daherkommt, der über mehrere Phasen andauert und der auch einfach nur pures Glück erfordert und komplett in das gegenteilige Extrem umschlägt.
Die zu einfachen Kämpfe führen dann leider auch dazu, dass mir die vielen zufallsbedingten Kämpfe, die sich ergeben, wenn ihr auf der Oberwelt oder in Dungeons umherwandert, irgendwann ziemlich lästig wurden. Zwar könnt ihr vor allem auf der Weltkarte mithilfe eines Knopfdrucks von einem Ort zum anderen springen, was die Fortbewegung deutlich erleichtert, doch gerade in den Dungeons ab der zweiten Spielhälfte nerven die Zufallsbegegnungen nur noch. Allen voran dann, wenn man einen Turm erklimmen, einen Vulkan durchqueren oder eine uralte Ruine erforschen soll. Das Problem, das all diese drei Gebiete miteinander haben? Sie wirken viel zu groß und lieblos aneinander gestückelt. Wenn dann noch nach jedem fünften Schritt ein weiterer Kampf dazukommt, dann beginnt selbst der widerstandsfähigste Geduldsfaden langsam zu zerfasern. Während die Gebiete in der ersten Spielhälfte immer noch ihren Charme haben, wird man das Gefühl nicht los, dass den Entwicklern im Laufe der zweiten Hälfte durchaus die Ideen ausgegangen sind, wodurch sich die großen und recht langgezogenen Dungeons eher wie eine künstliche Spielstreckung anfühlen.
Was sich so gar nicht wie eine Spielstreckung anfühlt, ist das Kartenspiel im Karten-Spiel. Jede Stadt bietet euch ein extra Gebäude, in dem ihr euch mit der hiesigen Bewohnerschaft im Kartenspielen messen könnt. Die Regeln fallen zu Beginn recht simpel aus: Ihr müsst aus einem Kartendeck, das nach und nach aufgedeckt wird, drei verschiedene Sets bilden und im Laufe der Partie taktisch überlegen, welche Karten ihr abwerft und welche ihr beibehalten wollt, um am Ende mit den meisten Punkten als Sieger hervorzugehen. Je öfter ihr siegreich aus den verschiedenen Partien und in den unterschiedlichen Ortschaften hervorgeht, desto mehr zusätzliche und komplexere Regeln könnt ihr freischalten. So könnt ihr spezielle Statuseffekte aktivieren, wenn ihr eine bestimmte Kombination an Karten spielt und viel mehr. Für die eigentliche Handlung spielen die Matches keine Rolle und bleiben somit stets optional, auch weil als Belohnung auch nur kosmetische Items winken, wie zum Beispiel neue Kartenrücken oder eine andere Art von Würfeln, die ihr im Kampf nutzen könnt. Als kleiner Bonus könnt ihr das Kartenspiel auch im Mehrspieler gegen Kartenspieler aus aller Welt angehen, was jedoch während des Testzeitraums aufgrund mangelnder Spieler nicht getestet werden konnte. Nichtsdestotrotz ist das Kartenspiel an sich eine nette und auch ziemlich anspruchsvolle Abwechslung, die Voice of Cards um eine nette Facette erweitert.
Musikalisch kann das Spiel dann letztendlich wieder einiges wett machen. Die einzelnen Stücke sind allesamt gelungen und ich habe mich das eine oder andere Mal an NieR: Automata erinnert, dessen Soundtrack mich damals schon verzaubert hat. Es kann zwar gut und gerne passieren, dass sich manche der Stücke mit der Zeit wiederholen, doch jedes Mal, wenn ihr ein neues Gebiet erreicht oder ihr in ein neues Kapitel vorrückt, werdet ihr mit einen der schönen und melodischen Tracks belohnt. Die Steuerung des Spiels ist so, wie man sie in einem klassischen JRPG erwarten würde und wurde solide umgesetzt. Der einzige Sprecher des Spiels, also der Spielleiter, wurde komplett in Englisch und Japanisch synchronisiert, die gut geschrieben und witzigen Texte wurden ins Deutsche lokalisiert.
Unser Fazit

7
Spaßgarant