Der verfluchte Abgrund ruft
Es gibt Anime, die ihre Zuschauer gekonnt überraschen. Besonders Titel wie The Promised Neverland oder Made in Abyss locken durch ihre kindlichen Protagonisten und Artworks. Trotz oder gerade wegen diesem gekonnten Umgang mit Kontrasten erfreuen sich solche Anime weltweit großer Beliebtheit. Made in Abyss hat sich ebenfalls nicht lumpen lassen: Zu der bereits vorhandenen Serie und der Mangareihe hat sich nun jüngst eine Spielproduktion gesellt. Mit dem Titel Made in Abyss: Binary Star Falling into Darkness dürfen sich Fans des Franchises selbst in den Abgrund hinab trauen. Ob sich die Reise lohnt, haben wir für euch getestet.
In diesem Spiel lassen sich ikonische Momente aus dem Anime wiedererleben.
© Akihito Tsukushi, Take Shobo/Made in Abyss "Dawn of a Deep Soul" Partners
Made in Abyss spielt in einer fiktiven Welt, die unserer in gewisser Weise gleicht. Die Menschen haben alles erforscht und scheinen alles über die Welt zu wissen. Nur ein Enigma ist übrig: ein riesiger Schlund auf einer Insel. Bekannt als Abyss lockt diese unendliche Tiefe viele Abenteurer zu sich, nur um sie für immer in sich aufzunehmen. Im Laufe der Zeit haben die Menschen um den Abyss eine Stadt namens Orth gebaut – dort beginnt unsere Geschichte. Im Zentrum der Haupthandlung steht das junge Waisenkind Riko, das versucht, in die Fußstapfen der Mutter zu treten. Rikos Mutter ist als eine Erkunder-Legende bekannt und gilt seit vielen Jahren im Abyss verschollen.
Made in Abyss: Binary Star Falling into Darkness besitzt zwei verschiedene Spielmodi. Im ersten Spielmodus Hello Abyss dürft ihr einen Blick in die Handlung aus dem Anime werfen und ikonische Momente rund um Riko und ihren mysteriösen Roboterfreund Reg neu erleben. Anschließend dürft ihr euch im Modus Deep in Abyss selbst als Protagonist in ein Abenteuer stürzen und eine exklusive Geschichte erleben, welche bisher nicht erzählt wurde.
Das Gameplay ist in beiden Modi ähnlich. Ihr habt das Waisenhaus, in welchem die Kinder, die zu Abyss-Forschern ausgebildet werden, leben, und natürlich den Abyss, welchen ihr erforschen sollt. Hierbei werden euch durch euren Anführer verschiedene Missionen zugeteilt, welche ihr erledigen müsst. Zwischen diesen Missionen seht ihr Videomaterial, welches direkt aus dem Anime stammt oder mit den 3D-Modellen nachempfunden ist.
Wie bereits erwähnt, müsst ihr erst den Story-Modus Hello Abyss abschließen, bevor ihr euch an euer eigenes Abenteuer wagen könnt. Dieser Modus hat einen Umfang von 4 bis 8 Stunden und befasst sich mit der Handlung aus dem Anime bis zu dem Moment, an dem die Protagonisten Reg und Riko sich in die tieferen Ebenen vorwagen und den Rückweg aus dem Abyss für sich ausschließen müssen.
In diesem Modus erlernt ihr die wichtigsten Elemente des Spiels. Ihr habt also ein mehrstündiges Tutorial vor euch. Die Menüführung wird genauso erklärt wie das simpel gehaltene Crafting-System oder das Erkunden des Abyss. Den Abgrund könnt ihr euch wie eine eigene Welt vorstellen, in welcher verschiedene Bereiche auf Erkundung warten. Ihr findet in diesen abgesteckten Arealen Artefakte, die ihr verkaufen könnt, Monster, die ihr töten müsst, und Geheimnisse, die ihr entdecken dürft. Der Abyss ist dabei aber keineswegs als Kinderausflug gedacht: Ein falscher Schritt und ihr sterbt einen unangenehmen und blutigen Tod. In Hello Abyss ist die Schwierigkeit moderat, da ihr den Roboterjungen Reg an eurer Seite habt, der euch mit seiner übermenschlichen Kraft derartig gut beschützt, dass ihr im Prinzip nur von A nach B rennt.
Schätze sammeln oder andere lebensnotwendige Aktivitäten sind in diesem Modus minimiert, was zwar den Einstieg erleichtert, aber überhaupt nicht auf die Fatalitäten des Modus Deep in Abyss vorbereitet. Die Benutzeroberfläche innerhalb der Erkundung ist dabei übersichtlich gestaltet. Euch wird permanent die Tiefe in Metern angezeigt. Euer Charakter, in diesem Modus Riko, hat drei Balken: Lebenspunkte, Ausdauer und Hunger. Während der Erkundung müssen alle im Auge behalten werden. Wenn ihr zum Beispiel hungrig seid, könnt ihr keine Ausdauer mehr aufbauen. Ohne Ausdauer lässt sich nicht kämpfen, klettern oder andere schwere körperliche Aktivitäten ausführen. Durch Nahrung oder andere Verbrauchsgegenstände lassen sich diese Leisten wieder auffüllen. Mittels Material aus der Umgebung lassen sich solche Produkte herstellen.
Es geht immer tiefer hinab. Jeder Meter, den ihr hinabsteigt, lässt die Panik vor dem Aufstieg ansteigen.
© Akihito Tsukushi, Take Shobo/Made in Abyss "Dawn of a Deep Soul" Partners
Wenn ihr das mehrstündige Tutorial überwunden habt, dürft ihr euch mit dem eigentlichen Spiel beschäftigen. In Deep in Abyss spielt ihr euch selbst und könnt euer Aussehen nach Belieben gestalten. Neben den Haaren lassen sich auch verschiedene Merkmale des Gesichts anpassen, sodass ihr dem Franchise eine völlig neue Figur hinzufügen könnt.
Ihr tretet dem Waisenhaus bei, da ihr eine Weißpfeife werden wollt. Die Ränge unter den Erkundern sind in farbige Pfeifen unterteilt. Während Rotpfeifen nur den ersten Bereich des Abyss erkunden, sind Weißpfeifen echte Legenden, die die Tiefen des Abyss gesehen haben. Manche gingen so tief hinein, dass sie nie wieder zurückkehrten. Rikos Mutter war beispielsweise eine Weißpfeife.
Als Anfänger bekommt ihr ähnlich wie im Tutorial verschiedene kurze Einweisungen. Das dunkle Erwachen kommt schnell. Ohne Reg als Beschützer ist man doch sehr auf sich allein gestellt. Monster greifen unentwegt an, Waffen können kaputtgehen und wenn der Rucksack zu schwer ist, könnt ihr nicht mehr normal schnell laufen. Dem Weg in den Abyss hinabzulaufen (oder eher zu kraxeln), ist eine Sache, den ganzen Weg wieder nach Hause zu gehen, eine völlig andere. Permanent müsst ihr verschiedene Probleme im Kopf behalten, sonst kann euer unbeschwerter Ausflug schnell zu einem Höllentrip werden. So kann jede Mission oder jeder eigenmächtige Weg in den Abyss seine eigene Tiefe bekommen und neue Herausforderungen zutage fördern.
Abgesehen davon, dass der Rückweg absurd lang und anstrengend werden kann, hat der Abyss eine sehr unangenehme Überraschung in petto: der Fluch des Abyss. Hinuntersteigen ist für Menschen eher unproblematisch, hinaufsteigen triggert aber besagten Fluch, welcher in der ersten Ebene Übelkeit und Schwindel erzeugen kann. In tieferen Ebenen kann es zu Blutungen aus Körperöffnungen, Ohnmacht oder Tod kommen. Ich habe nicht gezählt, wie oft ich den Protagonisten von der Klippe erbrechen sehen musste. Steigt ihr den Weg wieder hinauf, verschlimmert sich der Fluch, bleibt ihr stehen, kann sich der Körper an die Veränderung gewöhnen. Der Fluch ist der ultimative Feind, wenn man bedenkt, wie viele Hundert Meter ihr hinunter klettert.
Wie wird euer Held aussehen? Ihr könnt euren Look im Spiel immer wieder ändern.
© Akihito Tsukushi, Take Shobo/Made in Abyss "Dawn of a Deep Soul" Partners
Die Steuerung ist gewöhnlich und leicht erlernbar und funktioniert mittels Steuerrad, welches leicht zu bedienen ist. Der Schwierigkeitsgrad ist ziemlich hoch und wird im Laufe des Abenteuers immer ungnädiger. Geduld ist hier eine wichtige Tugend, da ihr wahrscheinlich mehr als einmal zerquetscht oder gefressen werdet. Das Spiel wirkt durch diese Gnadenlosigkeit authentisch und spiegelt einen ähnlichen Kontrast, welchen man vielleicht bereits aus dem Anime kennt, wider: Niedlichkeit und schamlose Brutalität. Das Gameplay wird dadurch spannend und vielseitig.
Grafisch ist das Spiel durchwachsen. Die Charakterdesigns sind durchweg gelungen, was an der Vorlage liegt. Die 3D-Modelle wirken lebendig. Die Animationen sind allerdings nicht immer flüssig. So kann es passieren, dass die Haare zittern oder die Modelle wie Puppen laufen. Die Umgebung ist zwar vielseitig gestaltet, leidet aber unter repetitiven und langweiligen Texturen. Auch das plötzliche Auftauchen von Objekten ist ein Problem, welches sich immer wieder zeigt. Die Bildrate schwankt stark. Je nach Größe der Umgebung und Anzahl der Gegner kann es schnell ungemütlich für die Augen werden. Die Ladezeiten sind dagegen angenehm kurz und fallen kaum negativ auf.
Punkten kann das Spiel mit seinem Sound. Die Musik ist sehr passend mit bekannten und neuen Melodien abgemischt. Kenner der Serie werden sich schnell zuhause fühlen. Die Lokalisierung ist jedoch nur auf Englisch und Japanisch verfügbar. Bei der englischen Synchronarbeit ist aufgefallen, dass das S sehr stark ausgesprochen wirkt. Hier scheint etwas bei dem Equipment in der Produktion nicht gestimmt zu haben, da alle Charaktere in dieser Art lispeln. Der originale Sprechercast wurde für beide Varianten der Synchronarbeit herangezogen.
Insgesamt ist das Abenteuer Deep in Abyss in sich geschlossen und spannend. Ein besonderes Geschenk für Fans der Serie ist, dass verschiedene Charaktere aus dem Franchise in diesem Modus auftauchen und einen neuen Blickwinkel auf die Abenteuer von Riko und Reg liefern.
Unser Fazit
7
Spaßgarant