Beeindruckende Rückkehr ins pestverseuchte Spätmittelalter
Im Jahr 2019 durften wir das erste Mal mit dem adeligen Geschwisterpaar Amicia und Hugo durch das hübsche Frankreich des 14. Jahrhunderts schlendern. Ihr, die im Geschichtsunterricht nun gut aufgepasst haben, wisst, dass hinter der schönen idyllischen Fassade zu jener Zeit mit der Pest der „Schwarze Tod“ wartete, die insbesondere durch Ratten übertragen wurde, welche auch im Nachfolger des hochgelobten A Plague Tale: Innocence eine entscheidende Rolle spielen sollen. Wir durften nach langer Wartezeit von drei Jahren endlich in das neue Abenteuer mit Amicia und Hugo de Rune versinken – auch wenn die Nintendo Switch wie beim Vorgänger lediglich mit einer Cloud-Version von A Plague Tale: Requiem bedient wird. Ob das letztlich gut funktioniert und wie sich das neue Stealth-Action-Adventure generell schlägt, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
A Plague Tale: Requiem schließt Story-technisch ziemlich direkt an seinen Vorgänger an und verspricht ein ruhiges und gesetztes Leben für Amicia und Hugo, die nach ihrer langen Reise endlich auf einen von Ratten und der Pest, aber auch von der Inquisition befreiten Ort hoffen. Auch wenn dies zu Beginn eben einen genau solchen Anschein macht, leidet der kleine Bruder Hugo noch immer an der mysteriösen Krankheit, welche den Namen „Macula“ trägt – ganz so viel wissen wir nicht über die schwarzen Schlieren auf seinem Körper, welche beim jüngeren Bruder für Schmerz und Alpträume sorgen. Besorgt setzt seine große Schwester Amicia nach wie vor alle Hebel in Bewegung, ihn von diesem Fluch zu befreien, der auch irgendwie rätselhaft mit der Pest und den Ratten in Zusammenhang steht. Zu Beginn der Handlung werden die Geschwister von Soldaten der anhaltenden Inquisition überfallen und für einen kurzen Moment in die Bewusstlosigkeit befördert – hier erlebt Hugo einen Traum, der ihn über einen goldenen Strand schickt. Dort folgt er einem geheimnisvollen Phönix, der den Jungen zu einer Höhle führt und dort von mystischem Wasser geheilt wird. Demnach scheint die Aufgabe der beiden klar: Hugo erzählt Amicia von seinem Traum, die ihm natürlich vollkommen vertraut, und zusammen machen sie sich auf den Weg, eine Insel im Süden Frankreichs zu finden, die der optischen Beschreibung von Hugo nahekommt.

Auf der Suche nach Sicherheit stolpert ihr über wirklich hübsche Schauplätze im mittelalterlichen Frankreich.
© Focus Entertainment
A Plague Tale: Requiem fängt ruhig an und führt euch galant in die neue Handlung, aber auch neue Umgebung und Charaktere ein. Vorweg sei gesagt: Hier wurde gleichermaßen an der Geschichte und Immersion gefeilt sowie das Gameplay erweitert. Demnach kommt einerseits die Story zu knapp 50 Prozent zum Tragen, die Schleich-Gameplay-Passagen füllen die restlichen 50 Prozent – heißt also, A Plague Tale: Requiem zwingt euch nicht selten, einige Minuten zurückzulehnen und mit Hugo an der Hand die französischen Schauplätze, Dörfer, Städte und Natur zu genießen. Ihr sprecht mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, mit euren wechselnden Begleiterinnen und Begleitern und werdet Zeuge von wirklich charmanten Situationen. Hin und wieder geratet ihr auf kleine Festivitäten, wo Hugos dann doch kindliche Ader zum Vorschein kommt, sodass er sich die Action aus nächster Nähe anschauen möchte – Zeit für Amicia, und für euch, erneut einen kurzen Moment innezuhalten. Während viele Informationen über die ruhigen, dennoch steuerbaren Szenen übertragen werden, bekommt ihr auch viele schön animierte Zwischensequenzen zu sehen, welche euch noch mehr ins Spiel eintauchen lassen wollen. Immersion ist diesbezüglich ein gutes Stichwort: A Plague Tale: Requiem zieht euch in die wunderschöne, aber unheimlich traurige Welt des spätmittelalterlichen Frankreichs und macht keinen Halt. Ihr seht schöne Momente, traurige Momente, müsst loslassen, aber auch Neues annehmen. Unterstützt wird dies von der phänomenalen Vertonung im Englischen – selten habe ich eine Sprachausgabe auf einem so hohen Niveau erlebt, welche den Charakteren ein unvergleichbares Level an Leben einhaucht. Ihr seht, ich verliere mich ein wenig, daher schleichen wir lieber zum Gameplay. Sollten Story-getriebene Spiele nichts für euch sein, kann euch dieses nämlich unter Umständen noch am Ball halten.
Das Durchspielen des Vorgängers liegt bei mir nun drei Jahre zurück, direkte Vergleiche kann ich also nicht ziehen, habe aber dennoch Gemeinsamkeiten erkannt. Wie eingangs beschrieben, schlüpft ihr in die Rolle von Amicia, die sich durch die anhaltende Inquisition und der parallel einhergehenden Pest kämpft. Viel Raum für Action und lautem Voranschreiten gibt der Rahmen also eigentlich nicht her – daher heißt es schleichen, schleichen und … gezieltes Ausschalten? Wie im Vorgänger schon hat Amicia auch in Requiem ihre Adleraugen sowie Präzision nicht verloren und kämpft sich mit der treuen Schleuder voran, versteckt sich im Gebüsch und nutzt ihre Umgebung zu ihrem Vorteil. Meistens mit Hugo an der Hand gilt es, auf der einen Seite den Soldaten der Inquisition aus dem Weg zu gehen, auf der anderen Seite warten Horden von mörderischen Ratten auf euch – die Übertragung des Schwarzen Tods scheint hier fast schon das geringste Problem zu sein. So schleicht ihr euch durch recht großräumige Gebiete und seid dabei nicht auf einen speziellen Weg angewiesen, stattdessen gibt euch A Plague Tale: Requiem unheimlich viele Freiheiten zum Bestreiten der Gebiete. Es ist euch überlassen, ob ihr vollends pazifistisch rangeht, was Amicias Bruder im Übrigen lieber mag, oder ihr schaltet die Soldaten mithilfe von Feuer oder der Ratten aus.

Ihr habt die Wahl zwischen geschicktem Schleich-Gameplay oder gnadenloser und gewaltvoller Action.
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Anfangs sind eure Möglichkeiten begrenzt, was sich aber im Laufe des Spiels schnell ändern soll. In regelmäßigen, wirklich gut gesetzten Abständen bis zum absoluten Ende hin erlernt ihr neue Techniken, die euch eure Umgebung manipulieren lassen, wodurch ihr so beispielsweise die Ratten für euch arbeiten lassen könnt. Löscht ihr nämlich bestimmte Fackeln oder Gefäße mit der Fähigkeit Extinguis, schwindet die Angst der Ratten und sie stürzen sich auf das nächstgelegene Opfer, um es gnadenlos in Stücke zu reißen, sodass nur noch das Gerippe auf dem Boden weilt. Sind keine Ratten zugegen, könnt ihr Feuerstellen und Fackeln mit Ignifer wieder anzünden oder mit Teer zum starken Leuchten bringen, damit eure Feinde kurzzeitig geblendet werden – strategisches Denken und geschicktes Ausschalten wird also auch im Sequel großgeschrieben. Behaltet besonders eure Umgebung im Auge, da diese nicht nur zum Erkunden einlädt, sondern auch das ein oder andere statische Objekt beherbergt, das euch hilft, lautlos die großen Gebiete zu durchqueren. Das vorher angemerkte strategische Denken ist auch für die verschiedenen Gegnertypen besonders nötig, verlangen diese nämlich abhängig der Umgebungsgegenstände verschiedene Taktiken. Egal ob Speerkämpfer, Schwertkämpfer oder riesige Kolosse mit Morgenstern, in A Plague Tale: Requiem muss Amicia gegen eine breite Palette an Soldaten ran.

Unterwegs müsst ihr aus verschiedenen Zutaten Munition mit unterschiedlichen Funktionen für eure Waffen herstellen.
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Nutzt euer Material und eure Ressourcen, die ihr auf dem Weg in Truhen findet, und lasst eurer Kreativität freien Lauf. Hier leistete das Entwicklerstudio Asobo wirklich eine klasse Arbeit und stellt trotz der limitierten Interaktionen mit der Umwelt eine umfangreiche Bandbreite an Möglichkeiten bereit, die Gebiete zu durchkämmen. Jede Zutat, die ihr findet, ist durch Alchemie miteinander vereinbar und kreiert so eigene Fähigkeiten, die ihr mit Ton-Töpfen oder mit einer Armbrust kombinieren könnt. Regelmäßig erlernt ihr neue Fertigkeiten und Spielmechaniken, die ihr nutzen könnt, aber nicht müsst – das ist vor allem am Anfang recht überfordernd, dennoch ist das Pacing passend und ihr könnt euch langsam an die neuen Fertigkeiten gewöhnen. Diese Tutorials sind zudem nahtlos in die Geschichte und die Umwelt integriert, sodass sie euch nicht aus der Immersion zerren. Etwas übereifrig agieren allerdings die sehr intelligenten Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die im Laufe des Spiels plötzlich neue Zutaten finden und mit Ideen aufkommen, die euch in diesem Moment speziell helfen könnten. Das kann man mögen, ich fand es leider überstürzt und ein wenig weit hergeholt, habe aber schnell drüber hinwegsehen können.
Je nach eurem Spielstil nutzt ihr bestimmte Fähigkeiten mal mehr und mal weniger und „lernt“ somit dazu. Will heißen, Amicias Expertise steigt bei jeder Nutzung geringfügig im Hintergrund und schaltet im Laufe des Spiels passive Fähigkeiten frei – für andere Fertigkeiten müsst ihr an Werkbänken eure Ausrüstung aufwerten. Mit Schrott, den ihr entweder ebenfalls in Truhen oder verteilt in Frankreich findet, wertet ihr beispielsweise eure Schleuder auf und könnt kurz darauf mit einer Ladung gleich zwei Mal Geschosse abfeuern. Mit jeder Stufe schaltet ihr neue, voneinander fast unabhängige Fähigkeiten frei, die euch später zu einer wahren Gefahr für die Soldaten und Ratten machen. Der Mix aus „learning by doing“ und aktivem Ausbau eurer Ausrüstung gefiel mir sehr gut und motivierte, das Land genauestens unter die Lupe zu nehmen und Spielstile auszuprobieren. Interessant war das Ausbauen der passiven Fähigkeiten, welche von eurem Spielstil abhängen, sodass sich nach und nach herauskristallisiert, welcher Typ ihr eigentlich seid. So entschied ich mich scheinbar unbewusst für das fast schon gewaltfreie Schleichen, hin und wieder schaltete ich aber auch alle vorhandenen Soldaten geschickt aus.
Neben dem Schleichen und Kämpfen warten auch viele (Umgebungs-)Rätsel auf euch, die ebenfalls mit den zuvor erwähnten Fertigkeiten verbunden sind. Diese sind nicht besonders fordernd, lockern aber das sonst stressige Schleich-Gameplay angenehm auf und geben euch neben Story-Sequenzen auch einen Moment zum Durchatmen. Hier entsteht ein insgesamt angenehmer Mix aus Geschichte, Gameplay und Rätseln, wobei alle Faktoren nahtlos mit der fiktiven Welt einhergehen und euch selten daran erinnern, dass ihr eigentlich gerade ein Spiel spielt. Dies wird auch durch die liebevoll geschriebenen Charaktere unterstützt: Amicia und Hugo de Rune sind Fans des ersten Teils natürlich bekannt und vor allem der kleine Bruder hat es mit Hopserlauf in unsere Herzen geschafft – der Nachfolger ermöglicht uns hingegen einen tieferen Einblick in die Beschützerin. Wir sehen die Verzweiflung der großen Schwester, ihren Bruder von der Macula zu befreien und begleiten sie durch das gesamte Land, erleben Enttäuschungen, Gewissensbisse, manchmal aber auch kleine Funken der Hoffnung – welche dann doch nur darauf warten, ebenfalls von den blutrünstigen Ratten zunichte gemacht zu werden.

Das unverwechselbare Storytelling wird durch Zwischensequenzen und Gameplay-Interaktionen hervorgerufen.
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Fantastisch wird der menschliche Abgrund dargestellt, nicht nur bei Amicia, sondern auch bei Charakteren, die noch darauf warten, von euch kennengelernt zu werden. Jeder und jede trägt sein oder ihr eigenes Schicksal und dennoch verbindet sie alle die gleiche Ausweglosigkeit, genannt Schwarzer Tod, die Pest und die Fänge der Inquisition. Selten habe ich visuelle Medien erlebt, die mir das Ausmaß des dunklen Mittelalters so nahebringen konnte wie A Plague Tale: Requiem – fast schon rücksichtslos setzt euch das Entwicklerstudio dieser historischen Epoche mit all ihrer Abscheuligkeit aus, sei es der Tod, die Ausgrenzung oder die Hoffnungslosigkeit, die jeder Charakter irgendwo tief drin mit sich trägt. Gleichzeitig bleibt die dann doch bekannte Situation interessant und trägt gerade für Mittelalter-Fans einiges an Gepäck mit sich. A Plague Tale: Requiem präsentiert eine unheimlich lebhafte und immersive Welt, die ihr durch das Geschwisterpaar erlebt. Leider muss ich aber sagen: Wie im ersten Teil schon wurde es gegen Ende für mich etwas zu übernatürlich und teils absurd, was mir die Immersion und das Mitgefühl genommen hat; der Realismus blieb hier auf der Strecke, was dem einen oder anderen Spieler dennoch bestimmt gefallen wird – hier wurde lediglich nicht mein Geschmack getroffen.
Kommen wir nun aber zur Frage aller Fragen: Was taugt A Plague Tale: Requiem in Sachen Performance auf dem kleinen Hybriden? Vorweg muss ich anmerken: Ich habe zuvor zwar einige Demo-Versionen mit der Cloud-Technik ausprobieren dürfen, ein so enormer Titel kam mir bislang jedoch noch nicht unter die Lupe – dennoch freue ich mich sehr über die Möglichkeit, solche Bretter auch auf der Nintendo Switch sehen zu können. Ja, die Cloud-Technologie steckt weiterhin in den Kinderschuhen und vor allem auf der Nintendo Switch hängt dies von allerlei Faktoren ab, sodass ich betone: Meine Erfahrung kann sich stark von der euren unterscheiden. Während des Testzeitraums machte ich schließlich überraschend gute Erfahrungen mit dem Dienst, bedeutet also, dass ich immer Zugang zu den Servern hatte und demnach A Plague Tale: Requiem fast immer genießen konnte, wann ich mochte.

Je nach Qualität der Verbindung kann es durchaus zu einem Pixelbrei und Verzögerungen kommen.
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Je nach Stoßzeiten, beispielsweise am frühen Abend, merkte ich dann aber, dass der Server hin und wieder ins Schwitzen geriet, was bei mir Stottern, Ruckeln und einen Pixelbrei auslöste. Das frustriere in dem Moment dann doch deutlich, vor allem, wenn diese Fehler plötzlich eintraten – nicht nur verlor ich dadurch unerwartet die Kontrolle über das Spiel, sondern konnte auch echt hässlichen Pixel-Gulasch begutachten. Glücklicherweise war dieser Technik-Sturz bei der nächsten Session wieder vergessen; trotzdem kam es dadurch in seltenen Abständen zu trägem Gameplay. Zum Glück gibt es bei A Plague Tale: Requiem aber fair gesetzte Checkpoints, sollte die Cloud-Technologie (in den seltensten Fällen) mal zu eurem Tod führen. Generell muss ich verteidigen: Die Fans, die keinen leistungsstarken PC ihr Eigen nennen oder das Spiel auf anderen Plattformen genießen können, haben nichtsdestotrotz einen Grund zur Freude, einen solch starken Titel auf der kleinen Nintendo Switch erleben zu dürfen. Wie oben beschrieben, variiert die Cloud-Erfahrung deutlich, bei mir fällt diese jedoch nicht zu schwer ins Gewicht und ich hatte technisch gesehen überwiegend eine gute Zeit. Dass ich zum Spielen jedoch auf externe Server und eine dauerhafte Verbindung zum Internet angewiesen bin, hinterlässt nach wie vor einen etwas faden Beigeschmack.
Unser Fazit

8
Ein Spiele-Hit
Meinung von Michael Barg
A Plague Tale: Requiem setzt das erste Abenteuer mit Amicia und Hugo de Rune wunderbar fort und schickt euch durch diverse französische Orte, die Narben der Inquisition und des Schwarzen Tods auf ihren Gemäuern tragen. Zwischen der vollkommenen Hoffnungslosigkeit schimmern oft wunderbar inszenierte und schöne Lichtblicke durch, welche schnell die Trostlosigkeit des Spätmittelalters vergessen lassen. Auf der Suche nach Heilung gegen die Macula, Hugos Krankheit, stößt Amicia an ihre Grenzen, verliert die Kontrolle über ihre Emotionen und wird nahezu in den Wahnsinn getrieben. Die Schauplätze, die Harmonie zwischen den Charakteren und die fantastische englische Vertonung fesselten mich ans Gamepad. Die Cloud-Technologie brachte mich dabei in den seltensten Fällen zum Seufzen, dennoch sollten die in Phasen auftretenden Verbindungsschwächen nicht unerwähnt bleiben. Die Charakterentwicklung des Geschwisterpaars ließ mich emotional intime Momente erleben; das Verbesserungs- bzw. Lernsystem motiviert darüber hinaus, die Landschaft zu erkunden. Das Erlernen neuer Fähigkeiten wird phänomenal in die Geschichte integriert und besonders im späteren Verlauf sind euch kaum Grenzen gesetzt, wie ihr die weiträumigen Gebiete bestreiten wollt. Das rund 17-stündige Abenteuer fühlte sich gegen Ende hin zwar für meinen Geschmack etwas träge an, dennoch kann ich die Geschichte rund um Amicia und Hugo nur jedem Mittelalter- und Storyfan ans Herz legen. Wer dagegen nicht so viel mit Geschichten in Videospielen anfangen kann, den könnte das Schleich-Gameplay aber immerhin an der Stange halten – probiert dazu aber vielleicht erstmal den Vorgänger.Awards
