Fünf Teenager, eine verlassene Insel und eine Menge Entscheidungen
Die Kombination von Videospielen und Geschichten ist kein einfaches Unterfangen, weil beides nicht immer harmoniert. Interessante Storys verlieren durch lange Gameplay-Abschnitte an Dynamik. Andererseits kann es nerven, wenn man gerade auf das Gameplay fokussiert ist und von einer langatmigen Story-Sequenz unterbrochen wird. Verschiedene Spiele schaffen es unterschiedlich gut, beide Aspekte in Einklang zu bringen, oftmals ist es aber einfach die beste Entscheidung, sich auf einen Aspekt zu konzentrieren. Wir lieben Super Mario-Spiele auch dann, wenn sich die ganze Handlung mit „Prinzessin entführt“ zusammenfassen lässt. Auf der anderen Seite gibt es Spiele, die sich ganz auf die Erzählung konzentrieren und Gameplay-Elemente auf ein Minimum zurückfahren. Oxenfree ist ein solches Spiel, das euch ganz in seine Geschichte hineinzieht.
Um es gleich klarzustellen: Wir sprechen hier von keiner Kindergeschichte! Die zumeist ruhige Erzählung konfrontiert euch mit mysteriösen Vorkommnissen auf einer Insel, denen ihr auf den Grund gehen wollt. An einigen Stellen wird es dabei schon recht gruselig und ihr werdet mit Geistern, besessenen Freunden und Suizid konfrontiert. All dies wird aber nicht extrem in den Vordergrund gerückt, sondern dazu benutzt, die subtile Grundspannung zu erzeugen, die euch während des Spiels begleitet.
Ihr übernehmt dabei die Rolle der Protagonistin Alex, die sich nachts auf einer verlassenen Insel mit weiteren Teenagern (Jonas, Nona, Clarissa und Ren) trifft, um am Strand zu feiern. Alex und Jonas erkunden dabei eine seltsame Höhle, in der sie mit ihrem Taschenradio übernatürliche Dinge hören und dadurch ein Portal öffnen, das seltsame Ereignisse in der folgenden Nacht auslöst. Zumal die Story der zentrale Aspekt des Spiels ist, könnte ich noch viel darüber erzählen, werde es aber selbstverständlich an dieser Stelle nicht machen, damit ihr sie selbst erleben könnt. Ganz allgemein gesprochen durchquert ihr die Insel und versucht dabei, eure Freunde zu retten und mysteriösen Ereignissen wie Zeitschleifen, in denen ihr plötzlich gefangen seid, zu entkommen.
Wie bereits angedeutet, könnt ihr diese Geschichte weitgehend entspannt (oder eben angespannt) genießen, ohne selbst besonders gefordert zu sein. Das Spiel verlangt von euch keine Jump ‘n‘ Run-Fähigkeiten und auch kämpfen müsst ihr nicht. Stattdessen erkundet ihr die Insel und nutzt immer wieder euer Radio, auf dem ihr die verschiedenen Frequenzen durchsucht. HD-Vibration gibt euch dabei ein gutes, haptisches Feedback, das euch noch mehr in die Spielewelt hineinzieht. Neben Musik findet ihr beim Durchstöbern der Frequenzen auch Sender, die euch über bestimmte Orte informieren und somit Puzzleteile zum Verständnis der Story beitragen. An den richtigen Stellen lösen bestimmte Frequenzen aber auch selbst Ereignisse aus, die euch voranbringen – beispielsweise, wenn ihr auf diese Weise verschlossene Türen entriegelt oder Kommunikationen mit Geistern auslöst. Es ist immer wieder spannend, die Frequenzen durchzugehen und sich überraschen zu lassen, was dieses Mal passieren wird. Ernsthaft fordernde Rätseleinlagen gibt es allerdings nicht. Wer auf der Karte das nächste Ziel sieht und im Zweifel das Radio einschaltet, wird an keiner Stelle feststecken und den Flow der Geschichte unterbrechen.
Das zentrale Element der Interaktion sind eure Entscheidungen, die ihr trefft, während ihr mit den anderen Charakteren kommuniziert. Und es wird viel gesprochen! Nur selten haben die Teenager alles gesagt und bewegen sich wortlos auf das nächste Ziel zu. Zumeist folgt ihr Dialogen, bei denen ihr immer wieder selbst zwischen verschiedenen Antwortmöglichkeiten wählen könnt. Dem Entwickler Night School Studio scheint es wichtig zu sein, das Erzähltempo hoch zu halten und keine langweiligen Pausen entstehen zu lassen, darum verblassen eure in Sprechblasen dargestellten Antwortmöglichkeiten schon nach kurzer Zeit. Ihr müsst euch also schnell entscheiden, wenn ihr das Gespräch fortführen wollt – teilweise zu schnell! Noch bevor euer Gegenüber seine Worte beendet hat, müsst ihr bereits wählen. So fallen sich die Jugendlichen häufig gegenseitig ins Wort und nicht jeder Satz wird auch beendet. Das ist schon etwas schade, denn die komplett eingesprochenen Texte sind wirklich ausgezeichnet umgesetzt worden. Die wesentlichen Inhalte habe ich trotz der häufig verstümmelten Dialoge allerdings verstanden. Nur fragte ich mich auch immer wieder: Was hätte er wohl noch gesagt, wenn ich ihn nicht unterbrochen hätte oder rechtzeitig eine Antwortoption gewählt hätte?
Eure Entscheidungen könnt ihr wahlweise per Controller oder Touchscreen eingeben und sie haben auch Einfluss auf den Verlauf der Geschichte. Das betrifft zum Beispiel die Beziehungen zwischen den Charakteren, die ihr festigen oder schädigen könnt. Negative Aussagen über eine andere Person können den Verlauf späterer Dialoge beeinflussen, in denen ihr dann beispielsweise fragt, ob zwischen euch alles in Ordnung ist. Andere Entscheidungen beeinflussen, welche Charaktere euch in bestimmten Abschnitten begleiten. Wählt ihr eine Person aktiv aus, können die anderen leicht angefressen wirken. Ihr dürft sogar entscheiden, ob ihr bereit wärt, eine Freundin zu opfern, um die anderen damit zu retten. Im Großen und Ganzen ist die Geschichte vorgegeben, aber in vielen kleinen Details, inklusive dem Ende, hängt ihr Verlauf ganz vom Spieler ab.
Das sorgt auch für einen guten Wiederspielwert von Oxenfree, das ihr nach einigen Stunden Spielzeit beendet haben dürftet. (Ich mache ungern genaue Angaben in Stunden, zumal es auch immer von euch abhängt, ob ihr Wert auf umfangreiche Erkundungen legt, um beispielsweise alle versteckten Briefe zu finden, die euch ebenfalls Infohappen zur Story liefern.) Schon direkt nach dem Abspann begann ich den zweiten Durchlauf, einfach um einmal zu sehen, wie es ist, andere Entscheidungen zu treffen als beim ersten Mal. Auch Kleinigkeiten (nehme ich eine Zigarette an oder bleibe ich strenge Nichtraucherin?) will man einfach nochmal aus einer anderen Perspektive erleben. Schade ist in diesem Zusammenhang, dass es nur einen Spielstand gibt. Ihr könnt also nicht einfach den Fortschritt speichern und mal eben gucken, was wohl passiert wäre, hättet ihr euch anders entschieden. Jeden Durchgang erlebt ihr so als Einheit, was allerdings auch seinen Reiz hat. Nervig sind nur die Ladezeiten, wenn ihr im insgesamt übersichtlichen Areal, das ihr erforschen könnt, zwischen zwei Abschnitten wechselt. Wartezeiten von mehr als einer halben Minute sind der Regelfall, was besonders dann ins Gewicht fällt, wenn ihr mal eine größere Strecke ohne weitere Ereignisse zurücklegen müsst. Das ist aber eher die Ausnahme und meist hält euch die Geschichte gut bei Laune.
Trotz der kleinen Kritikpunkte ist Oxenfree unterm Strich ein sehr gelungenes Spiel. Das liegt vor allem an der ausgezeichneten, packenden Atmosphäre, die euch durch das gesamte Abenteuer begleitet. Die Dialoge sind gut geschrieben und formen interessante Charaktere. Ob ihr über die mysteriösen Vorkommnisse sprecht oder typische Teenie-Dialoge durchlebt – permanent seid ihr mittendrin, was natürlich durch eure Wahlmöglichkeiten verstärkt wird. Zudem machen die Synchronsprecher einen ausgezeichneten Job. Beispielsweise die Protagonistin Alex wird von Erin Yvette gesprochen, die schon Molly im Telltale-Spiel The Walking Dead gesprochen hat. Hier reden wir von der englischen Version, denn eine deutsche Synchronisation gibt es nicht. Allerdings könnt ihr deutschsprachige Untertitel aktivieren, um nichts zu verpassen. Neben den Sprechern ist auch der Rest der Soundkulisse sehr gelungen und erzeugt mit packenden, leicht unbehaglichen Sounds und Musikstücken die perfekte Stimmung für das Mystery-Abenteuer. Die Grafik kann nicht in selbem Maße punkten und zeigt sich eher einfach, aber auch nicht hässlich. Besonders die Animationen der Charaktere haben mir dabei aber gefallen.
Unser Fazit
8
Ein Spiele-Hit