Unser Test zum Spiel: Englisch lernen mit Biff, Chip und Kipper: Vol. 1

Es ist Montag, 3. Stunde. Englisch. Meine Mundwinkel sinken schlagartig herab, als Mrs. Learnalot das Klassenzimmer betritt. Langeweile. Der Sekundenzeiger der Klassenuhr hämmert mir in Zeitlupe kleine Nadelstiche ins Ohr. Ich halte es nicht mehr aus. Nicht schon wieder. Aber meine Position ist günstig. Unterm Tisch verdeckt öffne ich meinen Retter. In wunderschönem 3D erstrahlt das Menü zur Glückseligkeit. Endlich kann ich wieder… Moment! Wo ist Zelda? Und Mario? Wo ist mein geliebter Kirby? Das Menü präsentiert mir nur noch ein Spiel: Englisch lernen mit Biff, Chip und Kipper! Okay, Mutter – diese Runde hast du gewonnen. Du kannst dich schon auf die DVD von „Supershark“ zum Geburtstag freuen… Aber was soll’s, ich probiere es mal aus.


Auch Singen gehört auf dem Nintendo 3DS zum Lernen dazu.

Das Konzept
Englisch lernen mit Biff, Chip und Kipper ist ein Lernprogramm, das auf „Floppy’s Phonics“ aus der Lernreihe „Oxford Reading Tree“ basiert und mit dem Kinder spielerisch der englischen Sprache näher kommen sollen. Neben dem Englischunterricht in der Schule können die Lernenden (im Optimalfall mit Unterstützung ihrer Eltern) verschiedene Übungen durchführen, die Spaß machen und die Sprachkompetenz verbessern sollen. Abgerundet wird das Ganze mit verschiedenen Statistiken zu Lernzeit und Fortschritt, Unterstützung von SpotPass und StreetPass sowie freischaltbaren Vokabel- und Regelkarten, die eine Übersicht über die absolvierten Übungen bringen. Einen 3D-Effekt bietet das Programm übrigens nicht.

Angesetzt wird bei den ganz jungen Lernern im Grundschulalter. Verschiedene Level repräsentieren den Anspruch der Übungen, sodass die Spieler sich die Übungen heraussuchen können, die ihren persönlichen Vorkenntnissen entsprechen. Zudem wird das Programm in drei Teilen veröffentlicht: Vol. 1 (von den Herausgebern empfohlen für Kinder von 3 bis 8 Jahren) enthält die Level 1, 1+ und 2, also die einfachsten Übungen, und legt einen Schwerpunkt auf das Lernen von Konsonanten. In Vol. 2 (3 bis 10 Jahre) gibt es Level 3 und 4. Hier kommen auch Vokale ins Spiel. Die anspruchsvollsten Texte gibt es in Vol. 3 (3 bis 12 Jahre) mit Level 5, 5M und 6. Da der Schwierigkeitsgrad kontinuierlich steigt, empfiehlt es sich, die Reihenfolge einzuhalten.

Innerhalb jeder Niveau-Stufe gibt es methodisch gleiche Übungen zu absolvieren, die ich unten näher vorstelle. Aus dem Rahmen fallen nur die einfachste und die schwierigste Stufe: Level 1 enthält neben einigen Liedern nur Übungen zu Geräuschen aus verschiedenen Umgebungen. Beispielsweise geht es um Tierlaute, die allerdings nicht bezüglich der (Menschen-)sprachlichen Repräsentanten thematisiert werden (also zum Beispiel das deutsche „grunz“ bzw. das englische „oink“). Stattdessen wurden einfach die tatsächlichen Tierlaute gewählt. Damit dienen die Übungen allenfalls dem vertraut machen mit der Vorgehensweise des Lernprogramms, nicht dem Lernen der englischen Sprache. Auf Level 6 hingegen verzichtet man auf jegliche interaktive Übungen und präsentiert lediglich Lesetexte aus dem Bereich „Non-Fiction“ (siehe unten). Kommen wir aber jetzt zum Wichtigsten: Welche Übungen gibt es, sind sie sinnvoll und machen sie Spaß?

Übungen in Einzelkritik
1. Let’s sing
In jeder der drei Volumes des Lernprogramms gibt es Lieder, die die Kinder hören und mitsingen können. Vom Stil her sind es typische Kinderlieder, natürlich in englischer Sprache. Grundsätzlich ist das eine sehr sinnvolle Übung im Bereich des Sprachenlernens, besonders für jüngere Kinder. Leider macht die Lernsoftware hier einige Fehler und verschenkt viel Potenzial. Die Songs behandeln verschiedene Themen, stehen mit diesen aber isoliert da. Es wäre für Kinder nachvollziehbarer und motivierender gewesen, hätte man sie in einen größeren thematischen Kontext eingebettet. Also hätte man beispielsweise einen Bereich „farm“ einrichten können, in dem dann Übungen zum Vokabular, Geschichten und eben auch passende Lieder eingebunden werden. Dies hätte durch den Wiederholungs-Aspekt auch einen größeren Lernerfolg gebracht. So stehen dagegen ganz verschiedene Lieder ohne direkten Bezug nebeneinander.

Das Mitsingen gehört zwar zum Konzept, wird allerdings in keiner Weise angeregt, indem beispielsweise das Mikrofon eingesetzt wird um zu erkennen, ob jemand richtig oder überhaupt mitsingt. Interaktiv ist diese Übung deshalb kaum, man könnte das Lied ebenso gut von einer CD abspielen. Hinzu kommt, dass Symbole von Musikinstrumenten auf dem Touchscreen erscheinen, die entsprechende Geräusche erzeugen. Das mag einigen Spielern Spaß machen, lenkt aber vom englischen Text ab. Um diesen zu verstehen, werden auch leider keine Hilfen angeboten – weder Übersetzungen noch hinführende Übungen. Den Text kann man sich zwar ansehen, muss ihn aber aktiv anwählen und scrollen. Junge Lerner werden es ohne Begleitung von Eltern schwer haben, etwas zu verstehen und zu lernen. So nehmen sie die Lieder nicht viel anders wahr als Songs im Radio – ohne relevanten Lerneffekt. Damit die Lieder sinnvolle Lernunterstützung liefern, müssen also die Voraussetzungen genau stimmen: Unterstützung durch Eltern oder hohes Vorwissen und starke Eigenmotivation (warum soll ich jetzt allein vor dem 3DS sitzen und ein Lied über eine Bücherei mitsingen?).


Die anspruchsvolleren Aufgaben vereinen verschiedene Lernmethoden.

2. Sounds and Letters
Einen Hauptanteil der Lernsoftware machen Übungen aus, die sich mit den Lauten der englischen Sprache befassen. Richtig ist, dass diese für das Beherrschen der Sprache eine wichtige Rolle spielen. Es stellt sich aber die Frage, warum sie so in den Vordergrund gestellt werden. Ein Lernspiel sollte doch Kinder motivieren und mit interessanten Themen und interaktiven Spielen locken. Übungen zu Buchstaben und Lauten hätte man da problemlos integrieren können, anstatt einfach langweilige Kategorien zu verschiedenen Buchstaben zu erstellen. Die konkreten Aktivitäten sind dabei unterschiedlich sinnvoll und motivierend:

Look & Listen: Hier werden die thematisierten Laute und Beispielwörter zunächst präsentiert. Sie können also gehört und gelesen werden. Als Einstieg ist das grundsätzlich in Ordnung und es entspricht auch der beim Lernen sinnvollen Reihenfolge, zunächst nur passiv den neuen Inhalt auf sich wirken zu lassen. Dennoch hätte man daraus weit mehr machen können. Die „Übung“ ist langweilig, hat spielerisch keinen Wert und wird erneut ohne irgendeinen motivierenden Kontext angeboten.

Try Saying It: In dieser Disziplin wird der Lerner aktiv und soll die Laute und Beispielwörter aussprechen. Auch hier gilt: Die logische Lern-Reihenfolge wird eingehalten, aber spielerische und motivierende Elemente sind Mangelware. Immerhin gibt es die Möglichkeit, die eigene Aussprache über das Mikrofon aufzuzeichnen und anzuhören. Leider geht das Programm nicht noch einen Schritt weiter und gibt Rückmeldungen über das Gesprochene. Wer „apple“ wiederholen soll, kann also auch „Jugendschutzsperre“ sagen und wird trotzdem gelobt. Wer aber einfach gezielt an der Aussprache arbeiten möchte, kann damit gut die eigenen Versuche analysieren.

Same Sounds: Hier gibt es vier bis fünf Beispielwörter, die durch das Antippen auf einem Bild vorgesprochen werden. Gut ist die Verbindung von Laut und Bild, die dabei hilft, unbekannte Wörter zu verstehen. Leider liefert nicht jedes Bild einen eindeutigen Kontext, sodass man als Anfänger nicht alle Wörter inhaltlich erfassen kann. Diese Übung ist insgesamt sinnvoll, hat aber wenig spielerischen Wert.

Listen & Write: Zu Beginn werden die Kinder hier aufgefordert, Buchstaben auf dem Touchscreen zu schreiben. Das ist eine nette Übung für Erstklässler, die allerdings nichts zum Lernen der englischen Sprache beiträgt, zumal sich englische Buchstaben nicht von deutschen unterscheiden. Später werden auf diese Weise aber ganze Wörter geschrieben, sodass daraus eine gute Übung zum Einprägen des Schriftbilds wird. Wieder einmal muss man aber sagen: Als Übung ist es gut, als Spiel wenig spannend.

Listen & Choose: Der Spieler muss die Wörter aus der Übung „Same Sounds“ erst hören und dann im Bild finden und auswählen. Das ist eine gute Übung, die allerdings kaum spielerischen Wert hat, weil es keinen Unterschied macht, ob man im ersten oder vierten Versuch das richtige Wort findet. Ganz einfach hätte man erfolgreiches Lernen mit einem Belohnungssystem schmackhaft machen können, um einen Hauch von Gameplay zu erschaffen. Trotz dieser Kritik hört man bei jedem Versuch das ausgewählte Wort und kann sich das Vokabular einigermaßen spielerisch einprägen.


Welches der ähnlich klingenden Wörter wird hier wohl gesucht?

3. Fiction
Neben Liedern sind Geschichten eine der besten Methoden des frühen Englischunterrichts. Es ist also genau der richtige Weg, diese auch in eine Lernsoftware zu integrieren. Sehen wir uns an, wie gut das in den verschiedenen Übungen dazu gelingt:

Story Time: Die ausgewählte Geschichte wird vorgelesen und der Text dazu eingeblendet. Auf Bildern wird inhaltlicher Kontext geliefert, der die Kinder beim Verständnis unterstützt. Was leider völlig fehlt, sind vorbereitende Übungen, die das eigenständige Verständnis der Geschichten fördern. Es hängt somit sehr vom Vorwissen der Lerner ab, wie viel des Inhalts sie verstehen können. Die Hersteller der Lernsoftware machen es sich etwas zu leicht, bei fehlenden Elementen immer wieder auf die Mitarbeit von Eltern zu verweisen. Ganz ohne wird es tatsächlich schwierig.

Read Aloud: Die einzelnen Sätze der Geschichte werden zunächst vorgelesen und dann selbst gesprochen. Man kann die eigene Aussprache anhören, genau wie bei der oben besprochenen Übung „Try Saying It“. Erneut fehlen aber Rückmeldungen über den Erfolg des Gesprochenen.

Story Questions: Es gibt kurze Verständnisfragen zur Geschichte, die auf Englisch gesprochen werden und als Text zu sehen sind. Der Spieler wählt die passende Antwort aus. Diese Übung ist für Lerner eines ganz bestimmten Levels sinnvoll. Anfänger werden auch mit diesen einfachen Fragen ohne Hilfe überfordert sein - selbst wenn als Hinweis die entsprechende Stelle aus der Geschichte eingeblendet werden kann - und sich einfach nach dem Zufallsprinzip durchklicken. Wählt man die falsche Antwort, versucht man es erneut und hat dann das richtige Feld gefunden, ohne es inhaltlich zu verstehen. Für fortgeschrittene Lerner dagegen stellt diese Aufgabe schnell eine demotivierende Unterforderung dar. Diese können die Geschichte aber überspringen und anspruchsvollere Geschichten im nächsten Level lesen und hören.

Do you Remember?: Hier werden einige Wörter aus der Geschichte thematisiert. Leider gibt es davon abgesehen keinen inhaltlichen Bezug zur Geschichte, sondern es ist eine reine Übung zur Koordination von Gehörtem und Gelesenem: zwei ähnliche Wörter werden schriftlich dargestellt, eines davon wird vorgelesen. Der Spieler wählt das Richtige aus. Als reine Sprachübung ist das nützlich, weil das genaue Hören geschult und das Schriftbild der Wörter gefestigt wird.

Try Writing It: Wir hören Wörter, die auf dem Touchscreen geschrieben werden sollen. Das ist eine gute Übung zur Verinnerlichung des Schriftbilds. Einige Kinder werden allerdings überfordert sein, da die Schrift zuvor zwar im Kontext präsentiert, allerdings nicht systematisch eingeübt wurde. Wer nicht den passenden nächsten Buchstaben herausfindet, kommt nicht weiter. Allerdings kann man das als differenzierende Übung ansehen, zumal sie nicht zwangsläufig gelöst werden muss. Einige Spieler könnten motiviert sein, sich die Story erneut anzuhören und dabei gezielt auf die Schrift zu achten, um die Übung später zu meistern.

4. Non-Fiction
Hier gibt es eine kleine Auswahl an Lesetexten zu Sachthemen. Es werden Bilder und passende Texte präsentiert, die gelesen werden können. Leider fehlt hier eine Vorlesefunktion, die das sprachliche Vorbild liefert. Auch weiterführende Übungen fehlen völlig. Damit ist diese Sektion leider nur ein kleines Zusatz-Feature für fortgeschrittene Lerner oder Kinder, die von Eltern beim Lesen unterstützt werden. Das Ganze kann man nicht interaktiv nennen, da es in derselben Form auch in einer Zeitschrift gedruckt werden könnte. Schlecht ist es aber nicht, den Kindern eine Auswahl an Texten mit interessanten Themen zu präsentieren, die sich auch vom Anspruch her gut steigern.


Spannende Geschichten bringen dem Spieler die Sprache näher.

Unser Fazit

5

Für Genre-Fans

Meinung von Roman Dichter

Englisch lernen mit Biff, Chip und Kipper ist eine gute Ergänzung zum Englischunterricht der unteren Jahrgangsstufen, insbesondere wenn Eltern oder andere Englisch-Experten die Kinder beim Lernen unterstützen. Leider hat das Lernprogramm einige Schwächen und verschenkt viel Potenzial: Ohne Unterstützung von Eltern werden viele Kinder überfordert sein. Eltern sollten also vor dem Kauf selbst entscheiden, ob sie bereit sind, sich aktiv einzubringen. Die verschiedenen Übungen sind unterschiedlich sinnvoll, bieten aber unterm Strich viele Möglichkeiten, die eigene Sprachkompetenz erfolgreich zu trainieren. Leider fehlt es an vielen Stellen an einer Einbindung der Übungen in einen umfassenden Kontext (zum Beispiel Themenfelder wie Schule, Tiere oder Freizeit). Auch interaktive Elemente, die lustige Spiele aus den Übungen machen oder Belohnungssysteme, die erfolgreiches Lernen würdigen, sollten viel stärker integriert werden. So bleibt es leider bei einigen gut gemeinten Ansätzen, die nicht völlig überzeugen können. Mrs. Learnalot sieht mir in die Augen. Sie kommt auf mich zu, begutachtet den 3DS und nimmt ihn mir weg. So richtig traurig bin ich nicht deswegen… Gut, Mutter, ich mache dir einen Vorschlag: Ich bekomme meine Spiele zurück und passe dafür im Englischunterricht besser auf. Deal?

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