Fire Emblem: Awakening wird 10 Jahre alt – Retrospektive zur Wiedererweckung eines Franchise Kommentar Spezial
Geschrieben von Daniel Kania am 19.04.2023
Es ist das Jahr 2010. Nintendo und Intelligent Systems sind kurz vor der Fertigstellung von Fire Emblem: New Mystery of the Emblem, einem Japan-exklusiven Remake des dritten Serienteils für den Nintendo DS. Mit dem Nintendo 3DS steht eine neue Handheld-Generation in den Startlöchern und damit eine neue Chance für die langjährige Strategie-Rollenspiel-Reihe. Die Macher aber sind unschlüssig, wo es hingehen soll. Ein Fire Emblem in der Moderne, vielleicht auf dem Mars? Nein, das wäre abwegig, zu riskant. Die IP erntete zuletzt kaum Erfolg und sollte ihre kleine Fanbase besser nicht abschrecken. Hitoshi Yamagami, dem Producer auf der Nintendo-Seite, wurde im Vorfeld klargemacht, der nächste Ableger müsse sich mindestens 250.000 Mal verkaufen, um die Serienzukunft zu sichern. Raum für Experimente gab es also nicht. Und so ging es dann daran, das Konzept für den möglichen Abschluss der Fire Emblem-Saga zu ersinnen.
Nach einer etwa einjährigen Phase ohne wirklichen Fortschritt war es schlussendlich ein Vorschlag von Herrn Yamagami, der den größten Anklang fand. Seine These: Findet man nichts völlig Neues, das wirklich überzeugt, warum schaut man dann nicht zurück und übernimmt die besten Elemente bisheriger Ableger? Die ultimative Verschmelzung von all dem, was Fire Emblem bis dahin so spaßig gemacht hat? Das Team zeigte sich angetan von der Idee und machte sie gleich zur Grundlage des Projekts. Damit wurde eine Zeit von großem Eifer und nicht versiegendem Enthusiasmus unter den Entwicklern eingeläutet. Angesichts des vermeintlichen Serienendes herrschte eine regelrechte Aufbruchstimmung: Alle wollten so viele Ideen und Elemente unterbringen wie nur möglich, solange sie noch die Chance dazu hatten. Die endgültige Deadline stand fest und so wurde versucht, das Beste daraus zu machen, damit nichts bereut werden müsste.
© Nintendo / Intelligent Systems
„Die besten Elemente von früher“ ist ein Konzept, das sich jeder gut vorstellen konnte, zu dem es aber viele individuelle Ansichten gab. Um den Überblick zu bewahren und eine einheitliche Richtung für die Entwicklung zu finden, wurde eine firmeninterne Umfrage organisiert. Das Ergebnis: Die Zuneigung zu Charakteren macht den meisten Spaß bei Fire Emblem aus. Um diesen Schwerpunkt herum entstanden daraufhin viele der auszeichnendsten Merkmale des Spiels. Der Doppelkampf etwa ermöglicht es Einheiten, gemeinsam in den Kampf zu ziehen und ihre Bande zu vertiefen. Auf Wunsch von Herrn Yamagami wurde die Heiratsmechanik zurückgebracht, welche so viele Freiheiten wie nie zuvor erlaubt. Dank der Entscheidung, ein Voiceover für bestimmte Dialogzeilen hinzuzufügen, können sich Spielende ein besseres Bild von den Charakteren machen. Und auch hinsichtlich Klassen und Level wurden kaum Grenzen gesetzt.
Während der Entwicklung lag ein weiteres Augenmerk darauf, für eine frische und zugängliche Spielerfahrung zu sorgen. Davon erhoffte man sich, die Aufmerksamkeit vieler neuer Spieler zu gewinnen, was unter Betracht der schwächelnden Verkaufszahlen nur allzu logisch war. Eine der zentralen Personen dahinter war Toshiyuki Kusakihara von Intelligent Systems. Das Management holte den Designer gezielt als Art Director ins Boot, so war er zuvor nicht in der Serie involviert und sollte für einen visuellen Neuanstrich sorgen. Und den gab es auch – jedoch konsequenter, als man es sich je vorgestellt hatte. Herr Kusakihara wollte aus dem Spiel etwas „Neues und Mächtiges“ machen und brachte daher regelmäßig Vorschläge, bei denen sich die Veteranen nur an den Kopf fassten. Der Art Director aber blieb standhaft und verfolgte sein Bestreben bis zum Schluss, wozu ein Charakter-Designer rekrutiert werden musste.
Bezüglich der Anforderungen wurden einige Überlegungen angestellt. Für dieses Projekt benötigte man ungefähr 60 Charaktere – und zwar rasch. Noch dazu sollten es ganz unterschiedliche Designs sein. Um es mit den Worten von Herrn Kusakihara zu sagen, sollte es „von hübschen Mädchen bis hin zu älteren muskulösen Typen und Monstern“ reichen. Hinzu kommt, dass man Spieler aus Übersee ansprechen wollte, immerhin war der Titel als globale Veröffentlichung geplant. Den Auftrag erhielt schlussendlich Yusuke Kozaki. Der japanische Zeichner, der einst Mangaka werden wollte, bevor er in die Unterhaltungsindustrie rutschte, schien die perfekte Wahl zu sein. Nicht nur war er gewillt, das Arbeitspensum auf sich zu nehmen, noch dazu bewies er mit seinen Designs für No More Heroes zu der Zeit, einen Riecher dafür zu haben, was international gut ankommt. Und zu alledem war Fire Emblem kein unbeschriebenes Blatt für ihn.
© Nintendo / Intelligent Systems
Hinter dem letzten Punkt steckt eine besondere Qualität, die Herrn Kozaki zum idealen Kandidaten für diesen Job gemacht hat. Gemeint ist hierbei nämlich nicht nur, mit der Serie vertraut zu sein, sondern es geht vielmehr darum, nie so richtig in die Serie hineingefunden zu haben. Ein paar Mal versuchte er es, empfand den Einstieg allerdings immer wieder als zu schwierig. Das war der Zeitpunkt, als Herr Kozaki verstand, dass sich etwas ändern müsste – vielleicht auch im Charakter-Design –, um neue Fans zu erreichen. Bliebe alles wie früher, könnte Fire Emblem nicht wachsen. Und diese Erkenntnis sollte sich bezahlt machen: Mit seinen Designs verhalf er der Serie zum Welterfolg und prägte eine ganze Generation an Fans, für die sein Zeichenstil synonym zu Fire Emblem wurde. Entsprechend wurde Herr Kozaki auch für Folgetitel engagiert und beteiligt sich selbst ein Jahrzehnt später noch aktiv an der Gestaltung neuer Charaktere.
Was ebenfalls dabei helfen sollte, Fire Emblem für neue Spieler attraktiv zu machen, war die Inklusion eines Anfängermodus, auch Casual-Modus genannt. Anders als es sonst in den Spielen üblich war, kehrten gefallene Einheiten bei dieser Einstellung nach einer Schlacht zurück. Das nahm einen Teil des Drucks heraus und ließ Neulinge die Mechaniken und das Gameplay ohne größere Konsequenzen kennenlernen. Ob das ikonische Permadeath-Feature tatsächlich ausgeschaltet werden können sollte, wurde innerhalb des Teams hitzig diskutiert. Nachdem sie es allerdings selbst ausprobierten und noch dazu sahen, wie sich neue Mitarbeiter mit dem klassischen System schwertaten, gaben sich schließlich auch die letzten Kritiker einsichtig. Mehr Optionen anzubieten animierte mehr Spieler dazu, dem Spiel eine Chance zu geben. Zudem wurden die Schwierigkeitsgrade bewusst so feinjustiert, dass für jeden Spielertyp etwas dabei war.
Nach einer schaffensfreudigen, aber relativ kurzen Entwicklungszeit erschien der Titel dann als Fire Emblem: Awakening, zuerst am 19. April 2012 in Japan, dann am 4. Februar 2013 in Nordamerika und letztlich am 19. April 2013 in Europa. Man erneuerte hierbei das Erscheinungsbild des Serienlogos, um die Entschlossenheit zu vermitteln, etwas Neues wagen zu wollen. Gleichzeitig wählte man einen Untertitel, der ein gewisses Gewicht vermitteln sollte. „Awakening“ passt nicht nur zur Handlung des Spiels, sondern kann auf vielerlei Art interpretiert werden. Meine liebste Deutung ist eine, mit welcher die Macher vorher kaum hätten rechnen können: Das Erwachen oder die Wiedererweckung eines nahezu totgeglaubten Nintendo-Franchise. Bei diesem Projekt ist alles zusammengekommen, um es zu einem Riesenerfolg zu machen. Auch heute noch gilt der Ableger als einer der meistverkauften und beliebtesten Titel der Serie.
© Nintendo / Intelligent Systems
Fire Emblem: Awakening markierte auch den Anfang meiner persönlichen Geschichte mit der Spielereihe. Wie viele andere kannte ich Marth und Ike aus Super Smash Bros. und war neugierig zu erfahren, wie sich die Abenteuer, aus denen sie stammen, spielen lassen. Zur Zeit der Veröffentlichung war ich im Teenager-Alter und so genau die richtige Zielgruppe, um von der Fantasy-Welt verzaubert zu werden. Was den Kauf schlussendlich besiegelte, war die Demoversion, die im Nintendo eShop angeboten wurde. Hier erhielt man mit den ersten zwei Kapiteln der Story zwar nur einen kleinen Vorgeschmack, aber schon das genügte, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Die liebevollen Charaktere, die spannende Handlung, die schicken Designs, die atmosphärische Musik. Ich war hin und weg und dank des Casual-Modus konnte ich auch als blutiger Anfänger das Spiel zum Release verschlingen und mich daraufhin in das Franchise verlieben.
Das alles ist nun genau 10 Jahre her und doch fühlt es sich gar nicht so fern an. Während ich mit dem Casual-Modus eingestiegen war, spielte ich Awakening anschließend noch einmal im Klassik-Modus durch. Mit mehr Wissen und einem besseren Verständnis der Spielmechaniken bewaffnet hatte ich einen so großen Spaß und ein so tiefes Verhältnis zu einer Spielwelt, wie ich es seitdem selten erlebt habe. Über die Nachfolger habe ich auch viel Gutes zu sagen – Lesebegeisterte dürfen sich gerne meinen XXL-Test zu Three Houses zu Gemüte führen –, aber der Nintendo 3DS-Erstling wird für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Tatsächlich war es ein Gefühl während meines Spieldurchgangs von Engage in diesem Jahr, welches mich an Awakening erinnerte und dazu brachte, diese Retrospektive zu schreiben. Und die Recherche machte mir nur noch klarer, welche Parallelen es zwischen ihnen gibt.
Alles Gute zum Geburtstag, Fire Emblem: Awakening! Habt auch ihr schöne Erinnerungen und Anekdoten zum Rollenspiel? Schreibt sie uns gerne im Kommentarbereich.