Vorsicht Schnäppchen – Was ist ein Spiel wert? Spezial
Geschrieben von Roman Dichter am 15.12.2013
„Viel zu teuer! Mir reichen die Handyspiele.“
„Aus England krieg‘ ich es viel billiger. Ich hab‘ auch noch einen Gutschein dafür.“
Kommen dir diese Sätze bekannt vor? In Zeiten von Online-Shops und Gratis-Spielen kommt deshalb die Frage auf: Wie viel will ich für ein Spiel bezahlen?
Der britische Shop Zavvi wirbt gezielt um deutsche Kunden, wie das von uns rechts unten herausgegriffene Werbebanner zeigt.
Der Wandel der Wertvorstellung
Früher war es einfach: Als ich zu Zeiten des Super Nintendos meine Spiele kaufte, war eigentlich ziemlich klar, was mich neue Spiele kosten würden. Natürlich gab es auch damals schon unterschiedliche Preise für unterschiedliche Spiele, bei unterschiedlichen Händlern oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Aber das hielt sich alles in Grenzen. Wer ein neues Spiel kaufen wollte, zahlte halt den Preis dafür. Und wer als Schüler (zu dieser Zeit waren erwachsene Videospieler eher selten…) genau auf sein Taschengeld schauen musste, konnte sich durch das Kaufen und Verkaufen gebrauchter Spiele selbst etwas dabei unterstützen, aber ein neues Spiel hatte halt seinen Preis. Diese relative Preisstabilität festigte auch unsere Vorstellung davon, was ein Spiel eigentlich wert ist.
Auch heute existiert noch eine solche Preisvorstellung, die allgemein bei etwa 50 Euro liegt. Dabei variiert die genaue Zahl (die es eigentlich gar nicht gibt) vielleicht noch ein bisschen zwischen den verschiedenen Systemen, aber irgendwo im Hinterkopf haben wir eine solche Zahl, die uns sagt: „Das kostet ein Spiel. Weniger ist günstig, mehr ist teuer.“ Wer an dieser Stelle schon protestiert und bestreitet, einen solchen Richtwert zu kennen, der ist vielleicht schon geprägt durch die zahlreichen neueren Einflüsse, die diese alte Struktur unterwandern und unsere Vorstellung vom Wert eines Spiels aufweichen.
Downloads mischen den Markt auf
Das Aufkommen von (legal) herunterladbaren Spielen hat nicht nur in einer Hinsicht dafür gesorgt, dass die gesamte Preisgestaltung von Spielen neu hinterfragt wurde. Der Grund dafür ist klar: Die Hersteller der Spiele sparen im Vergleich zum klassischen Verkauf auf Datenträgern direkt Geld. Datenträger müssen nicht hergestellt und bespielt werden, Anleitungen und Verpackungen müssen nicht produziert und zusammengefügt werden. Es gibt keine Kosten für Lagerung und Transport der fertigen Spiele. Man kann nicht zu viele oder zu wenige Exemplare anfertigen. Und der große Anteil der Einnahmen, den der Einzelhandel behalten möchte, fällt in der Regel auch weg. All das führt beim Konsumenten (also beim Spieler) dazu, dass er für die digitale Version eines Spiels eher weniger zahlen möchte als für ein Spiel, bei dem er etwas in der Hand halten kann. Ob es das Bewusstsein ist, dass der Hersteller beim Download Geld spart oder die höhere Wertschätzung einer schönen Verpackung im Regal – die meisten Spieler lassen sich nur durch günstige Angebote vom Download überzeugen.
Einige gehen sogar noch weiter und entwickeln die etwas extreme Ansicht, ein paar Daten auf einem elektronischen Gerät seien nichts wert und nur Dinge, die mechanisch hergestellt werden, hätten eine Bezahlung verdient. Diese Mentalität lässt völlig außer Acht, dass der wesentliche Wert eines Videospiels (genau wie der eines Lieds, Buchs oder Films) im geistigen Eigentum liegt, also in der Kreativität und Mühe, die für die Herstellung investiert werden. Weil das leider von vielen ignoriert wird, gibt es heute einen großen Markt für Raubkopien, einhergehend mit einem erschreckend geringen Unrechtsbewusstsein. Das weiter zu vertiefen, würde an dieser Stelle zu weit führen, zeigt aber deutlich, wie stark auch der Druck auf die Industrie ist, ihre Spiele digital günstiger anzubieten. Vereinzelt wird noch versucht, Spiele im Internet zu Preisen aus dem Einzelhandel zu verkaufen. Nintendo beispielsweise versucht tapfer, damit die Vorstellung vom Wert ihrer Spiele einigermaßen konstant zu halten. Doch diese Strategie beginnt sichtbar zu bröckeln, weil auch Nintendo seit dem Release der Wii U verstärkt Sonderangebote und Rabatt-Aktionen im eshop anbietet.
Auch im eShop der Nintendo-Konsolen Nintendo 3DS und Wii U gibt es ein reichhaltiges Angebot an preisgünstigen Spielen.
Daran merkt man auch: Für die Hersteller sind höhere Preise nicht gleich höherer Gewinn! Gerade weil viele Kosten im Vergleich zu Retail-Versionen wegfallen, ergibt sich eine sehr interessante Situation: Es macht auf der Kostenseite kaum einen Unterschied, ob man 1 Spiel, 10 oder 1.000 verkauft. Damit stellt sich also nicht mehr so sehr die Frage, wie sich Einnahmen im Vergleich zu Produktionskosten verhalten, sondern es geht vielmehr darum, welchen Preis die Kunden bereit sind zu zahlen. Vielleicht fragt Nintendo deshalb seine „Club"-Mitglieder auch regelmäßig in Umfragen danach, welchen Wert ein gekauftes Spiel ihrer persönlichen Ansicht nach hat. Die Rechnung ist ganz einfach nachzuvollziehen: Angenommen, ich biete ein Spiel für 50 Euro an und verkaufe es zehn Mal, dann macht das 500 Euro Einnahmen. Würde ich es für nur 10 Euro verkaufen, müssten schon 50 Leute für dieselben Einnahmen zugreifen. Die Frage ist also, ob durch günstige Angebote so viel mehr Spiele verkauft werden können, dass es sich richtig lohnt. Oder umgekehrt: Werden zu viele Spieler durch hohe Preise abgeschreckt, sodass der Gewinn stark schrumpft?
Mini-Spiele auf dem Vormarsch
Zudem gibt es noch einen weiteren Aspekt, der den Einfluss der Download-Games betrifft: Downloads ermöglichen überhaupt erst das Aufkommen von sehr günstigen Spielen. Im Einzelhandel kann man Spiele, wenn sie neu erscheinen, nicht direkt für Mini-Beträge anbieten. Mit einem gewissen Betrag müssen nämlich zunächst die oben erwähnten Produktions-, Lagerungs- und Einzelhandelskosten bezahlt werden – und zwar für jedes einzelne Spiel. Reine Download-Titel dagegen können auch mit vergleichsweise geringem (Kosten-)Risiko hergestellt werden. Man macht also kleine Spiele, die gar nicht mit Vollpreistiteln konkurrieren wollen, und hält die Kosten dafür so gering wie möglich. Sie müssen dann gar nicht so häufig verkauft werden, um profitabel zu sein.
Somit kann man auch den Preis sehr niedrig ansetzen und setzt auf den „Für x Euro kann man nichts falsch machen“-Effekt. Ist das Spiel gut, erhält es gute Bewertungen oder wird weiterempfohlen. Dann kann die Zahl derer, die auch „nichts falsch machen wollen“ sogar ziemlich stark ansteigen und so für einen großen Erfolg sorgen. In einer Zeit, in der „große“ Spiele extrem aufwendig und teuer zu produzieren sind, in der Firmen finanziell am Ende sein können, wenn nur ein großes Spieleprojekt floppt, bieten die kleinen Download-Spiele die lebensnotwendige Nische für kleine und junge Firmen, um sich auf dem Markt zu behaupten.
Tatsächlich behaupten sich die „Kleinen“ teilweise sehr gut und könnten sogar eine Bedrohung für die „großen Geschwister“ darstellen. Handy-Spiele wurden von Videospielern früher eher mit einem Lächeln abgetan. OK – das vorinstallierte Snake konnte auf vielen Mobiltelefonen unterhalten, aber war keine Konkurrenz zu „richtigen“ Spielen. Heute verschwimmen die Grenzen immer mehr und moderne Smartphones können schon Beachtliches leisten. Nicht selten wird deshalb sogar das Ende der mobilen Spielkonsolen vorhergesagt. Mit besseren Steuerungsmöglichkeiten, exklusiven und anspruchsvollen Spielen halten Firmen wie Nintendo zwar besser dagegen, als viele geglaubt haben, aber einige Marktanteile haben sie sicherlich schon heute verloren (auch wenn man jetzt streiten kann, wie viele Handy-Spieler sich ohne Smartphone eine Handheld-Konsole kaufen würden).
Zusammenfassend muss man feststellen, dass der Download-Markt heute eine bunte Mischung aus kleinen und großen, teuren und günstigen Spielen für uns bereithält. Da ist es ganz natürlich, dass bei nicht wenigen Kunden die Frage aufkommt, ob sie von einem Spiel für 50 Euro wirklich so viel mehr haben als von einem Spiel für 5 Euro. Und auch wenn es klare Unterschiede zwischen Spielen dieser beiden Kategorien gibt, muss man anerkennen, dass manches Billigspiel weit mehr und länger unterhalten kann als diverse Vollpreis-Titel. Und schon kommt wieder der Gedanke auf, wo man „nichts falsch machen“ kann…
Der eshop-Titel EDGE (Wii U) wird für günstige 3,99 Euro angeboten. Zur Einführung gab es sogar einen zusätzlichen Rabatt.
Achtung – die Schnäppchenjäger kommen
Aber auch auf dem Retail-Markt ist Bewegung in die Preispolitik gekommen. Das liegt zum einen an den kostengünstigen Angeboten für Download-Software, zum anderen aber auch an einer wachsenden Kultur der Schnäppchenjäger. Natürlich hatten wir auch früher schon Interesse an günstigen Angeboten, aber heutzutage ist die Jagd nach dem günstigsten Preis fast schon ein Sport geworden. Das liegt an der sehr viel stärkeren Konkurrenzsituation im Einzelhandel. Während man früher – je nach Größe der Stadt, in der man wohnte – die Wahl zwischen so ca. einem bis fünf Geschäften hatte, in denen man seine Spiele kaufen konnte, gibt es heute das Internet. Zusätzlich zu Media Markt und Co. bestehen diverse Online-Shops, die die Games nicht nur bequem nach Hause liefern, sondern auch alle in direkter Konkurrenz zueinander stehen.
Konkurrenz erzeugt bekanntlich Preisdruck. Dazu kommt die Globalisierung, die für freien Handel mit anderen Ländern sorgt, in denen beispielsweise dank geringerer Steuern viele Spiele günstiger verkauft werden. Gerade englische Shops sorgen bei vielen deutschen Spielern regelmäßig für Spiele-Nachschub. Um bei dieser ganzen Konkurrenz noch mithalten zu können, bietet man Gutscheine, Rabatt-Aktionen und andere Vergünstigungen an, damit die Kunden auch im eigenen Shop bestellen. Ein wahrer Schnäppchenjäger zahlt eigentlich nie so viel, wie ein Spiel im Laden nebenan kostet.
Durch das Bestreben der Spieler, möglichst günstig einzukaufen, senken die Händler die Preise, wo sie nur können. Selbst große Blockbuster, die auch zu hohen Preisen verkauft werden können, erleben deshalb häufig einen starken Preiseinbruch. In vielen Fällen können Zocker, die sich ein paar Monate mehr gedulden können, die Hälfte des Preises oder sogar deutlich mehr einsparen. Es sind also nicht nur die Download-Games, sondern alle Videospiele sind zu extrem unterschiedlichen Preisen zu haben. Und erneut durchzuckt uns die Frage: „Was ist mir ein Spiel wert?“
Neue Finanzierungsmodelle
Immer mehr Spieler beantworten diese Frage für sich mit: „Jedenfalls nicht sehr viel!“ Und wo sich diese Mentalität durchsetzt, bekommt die Industrie Probleme. Es gibt nicht mehr nur wenige extrem günstige Spiele, sondern eine riesige Auswahl. Das zentrale Kaufargument des günstigen Preises gibt es nicht mehr – andere sind es ja auch. Will man mit Qualität überzeugen, ist das oft zu teuer für den kleinen Preis. Aus dieser schwierigen Situation suchen viele Hersteller Auswege durch neue Arten der Finanzierung. Wenn durch den direkten Spieleverkauf nicht mehr viel zu verdienen ist, dann halt anders: Manche Spiele werden durch Werbung finanziert, einige sogar durch fragwürdigen Datenhandel. Immer beliebter wird das Modell, eine kostenlose Grundversion anzubieten, für Zusatzinhalte aber zu kassieren. Oder man versucht über den „Crowdfunding“-Trend, ein Projekt praktisch durch Spenden im Vorfeld zu finanzieren.
Das Spiel Lobodestroyo erscheint auf Wii U, weil auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter genügend Geld gesammelt wurde.
All diese verschiedenen Finanzierungsformen führen dazu, dass es nicht nur weitere Arten von sehr günstigen Spielen gibt, sondern auch Spiele, die tatsächlich kostenlos sind. Unterm Strich haben wir heute ein Spieleangebot, das sich in einer Preisspanne von ca. 0 bis 70 Euro bewegt. Aber welche Preise sind jetzt wirklich gerechtfertigt und welche nicht? Was sind wir zukünftig noch bereit zu bezahlen? Und was wird man uns zu welchen Preisen anbieten?
Und die Moral von der Geschicht?
Die Entwicklung des Marktes hat zu Preiseinbrüchen geführt, die in erster Linie ganz erfreulich für die Spieler sind. Weniger bezahlen? Klar! Da ist auch zunächst nichts gegen zu sagen. Aber wenn man etwas weiter nachdenkt, offenbaren sich auch problematische Entwicklungen. Wenn Billigspiele weiter auf dem Vormarsch sind, können sich die großen, spannenden und eben auch teuren Produktionen überhaupt noch auf dem Markt behaupten? Wird es sich für die Entwickler noch lohnen, wirklich hochwertige Spiele mit viel Liebe und Zeit herzustellen, was dann auch seinen Preis hat? Schon heute ist das Risiko gestiegen und manche Firma ändert ihre Strategie in Richtung günstigerer Spiele. Noch gibt es genügend Spieler, die für Qualität auch etwas mehr zahlen, aber was, wenn das immer weniger werden?
Dass wir gerne sparen, ist verständlich, aber vielleicht sollten wir nicht ausschließlich über den Preis nachdenken. Durch unsere Kaufentscheidungen beeinflussen wir nämlich mehr, als wir denken. Es lohnt sich auch, die Frage zu stellen, wen man durch einen Kauf unterstützt. Den Online-Großhändler, der zur Profitmaximierung an vielen Stellen spart, zum Beispiel auch an seinen eigenen Angestellten? Oder den kleinen Händler von nebenan, der der harten Konkurrenz wenig entgegensetzen kann? Wollen wir es noch wertschätzen, persönlich beraten zu werden, ein Spiel im Regal ansehen, anspielen und direkt mitnehmen zu können? Oder zählt für uns doch nur der Preis? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn unsere Geldreserven sind natürlich begrenzt (bei manchen mehr als bei anderen). Aber es macht Sinn, zumindest noch über andere Dinge nachzudenken und eine bewusste Entscheidung zu treffen.
Wer seine Meinung zu diesem Thema loswerden und sich an der Diskussion beteiligen möchte, kann dies in den Kommentaren tun!
Autor: Roman Dichter