Die volle Kontrolle – wie wir Spiele steuern wollen Spezial
Geschrieben von Roman Dichter am 24.04.2016
Beim Blick auf Videospiele fällt uns häufig direkt die Grafik ins Auge. Außerdem beurteilen wir die Qualität eines Spiels – völlig zurecht – anhand des Spielspaßes, den wir beim Zocken empfinden. Spielspaß ist allerdings ein etwas schwammiger Begriff, der sich wiederum aus vielen verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Leicht könnte man vergessen, wie wichtig dabei ein ganz zentraler Aspekt ist: die Steuerung! Sie ist in weiten Teilen der Branche so standardisiert, dass sie uns im Alltag kaum auffällt. Erst wenn Spiele – wie beispielsweise Star Fox Zero – von den Normen abweichen, dann erkennen wir die Bedeutung und die Sprengkraft des Themas, das plötzlich zum Gegenstand heftiger Diskussionen werden kann. Also wie sollte die Steuerung von Videospielen aussehen? Was wollen wir eigentlich? Schauen wir uns dieses Thema etwas näher an.
Star Fox Zero weicht deutlich von der Steuerung der eigenen Vorgänger ab. Dies wird sehr kontrovers dirkutiert.
Was ist überhaupt Steuerung?
Die Steuerung ist im Grunde das Wesen, die Besonderheit aller Videospiele. Grafik, Sound, Story – das sind alles Dinge, die andere Medien auch zu unserer Unterhaltung beitragen können. Aber dass wir aktiv eingreifen und unseren Willen auf dem Bildschirm real werden lassen, das ist es wirklich, was ein Videospiel ausmacht. Steuerung bedeutet, dass wir die Möglichkeit erhalten, durch unsere Gedanken die Realität zu beeinflussen. Allgemein haben wir dafür unseren Körper, dessen Muskeln genau das machen. Wer also einen Schluck Wasser trinken möchte, muss nur seinem Körper befehlen, das Glas zu greifen und zum Mund zu führen.
Wollen wir dagegen einen Mario auf dem Bildschirm bewegen, ist ein weiterer Zwischenschritt notwendig: Wir befehlen unserem Körper einem Eingabegerät einen weiteren Befehl zu geben, der diesen wiederum an eine Hardware (wie unsere Nintendo-Konsole) weiterleitet und somit die gewünschte Aktion auf dem Fernseher wahr werden lässt. Wie genau dieser Zwischenschritt allerdings aussieht, ist deutlich weniger selbstverständlich als man meinen könnte. Blicken wir also zunächst zurück in die Vergangenheit der Controller, um danach besser die Gegenwart zu verstehen und Überlegungen über die Zukunft anstellen zu können.
Die klassische Steuerung, wie die des NES-Controllers, ist einfach: Knopf drücken und die Ergebnisse auf dem Bildschirm sehen!
Alles auf Knopfdruck – die Geburt der Spiele-Steuerung
Als die ersten Videospiele und Spiele-Konsolen aufkamen, kristallisierte sich schnell heraus, wie die Schnittstelle zwischen Mensch und Spiel aussehen würde. Technisch bedingt war es ein eingeschränktes, sehr einfaches Prinzip: der Knopfdruck! Ein einfacher Befehl signalisiert dem Spiel, dass etwas passieren soll. So konnte man etwa im legendären „Pong“ eine Art Tennisspiel simulieren. Der Spieler steuert praktisch den Schläger. Ein Befehl lässt ihn nach oben schnellen, ein anderer bewegt ihn nach unten. Schnell kam man auf den Gedanken, solche Befehle, die eine Bewegung in eine Richtung auslösen sollten, durch ein Zusammenhängendes Tasten-Element zu symbolisieren. So wurden Joystick und Steuerkreuz geboren. Ein Druck nach rechts widerspricht einem gleichzeitigen Druck nach links – logisch.
Ansonsten blieb man dem einfachen Knopf-Gedanken treu und variierte nur die Anzahl der Tasten, denen somit verschiedene Aktionen zugewiesen werden konnten. Dabei wurden es im Laufe der Zeit zunächst immer mehr Knöpfe. Das war deshalb möglich, weil die Industrie sich (mehr oder weniger bewusst) auf Standards für ihre Spiele einigte und die Spieler diese zu verstehen lernten. Bedenkt, wie komplex das Tasten-Wirrwarr im Grunde ist! Die (in manchen Spielen doppelte) Belegung von 14 Knöpfen und mehr soll der Spieler für das Spielen eines einzigen Titels auswendig lernen? Das sorgt eigentlich eher für Frust als für Spielspaß!
Aber die Standards und Erfahrungen machen es uns leichter: Analogstick und Steuerkreuz bewegen den Hauptcharakter (und doch ist das nicht selbstverständlich – im Nintendo 64-Spiel „Turok“ bewegt ihr ihn beispielsweise mit den C-Tasten). Springen kann man mit A oder B (allerdings gibt es auch Spiele, bei denen man am Steuerkreuz mit dem Druck nach oben einen Sprung auslöst). Tasten wie R und L sind in Rennspielen für Gas und Bremse verantwortlich (in Mario Kart allerdings nicht – auch ein A- oder B-Knopf kann diese Funktionen erfüllen). Und ein Start-Button führt uns ins Pause-Menü (selbst das muss aber nicht zwangsläufig so sein).
Wir sehen: Ein eigentlich ziemlich kompliziertes System wurde durch Lernprozesse und das Etablieren von Standards handelbar gemacht. Hinterfragt wurde es damals nicht, weil es nie eine Alternative gab und man ohnehin schon fasziniert war, dass es überhaupt eine Möglichkeit gab, das Geschehen auf dem Bildschirm zu beeinflussen. So hat sich die Kontrolle der Spiele durch Knopfdrücken tief in unser Verständnis von Spielen eingebrannt und ist bis heute fest damit verbunden. Allerdings haben uns die letzten Jahre etwas Neues geboten – eine Alternative zur reinen Knopf-Steuerung. Erstmals konnten wir direkte Vergleiche zwischen unterschiedlichen Interaktionsmöglichkeiten ziehen und somit auch auf den Gedanken kommen, eine Variante zu kritisieren.
Die Wii Sports-Spiele repräsentieren eindrucksvoll die Bewegungssteuerung, die Nintendo mit der Wii-Konsole einführte.
Die Revolution: Wii und Wii U – Begeisterung und Kritik
Es war die Wii-Konsole, die erstmals eine alternative Steuerungsform massentauglich machte (auch wenn sie diese nicht völlig neu erfunden hatte). Bewegungssteuerung machte es möglich, ohne Knopfdrücke Informationen an die Konsole weiterzugeben. Dies löste zunächst Begeisterung aus, die sich auch in beachtlichen Verkaufszahlen wiederspiegelte. Es faszinierte nicht nur die andere Herangehensweise, sondern auch, dass es jetzt noch viel natürlicher und präziser möglich war, die eigenen Gedanken im Spiel umzusetzen. Bei simulierten Bowling führen wir auf diese Weise Bewegungen aus, die denen beim echten Bowling schon sehr stark ähneln. Der oben beschriebene Zwischenschritt, unsere Gedanken zunächst in auswendig gelernte Knopfdruck-Befehle umzuwandeln, fällt praktisch weg. Dieser sehr einfache Zugang machte es auch unerfahrenen Spielern möglich, schnell Freude an Spielen zu erhalten und neue Märkte wurden somit erobert.
Den Projektnamen „Revolution“ trug die Wii-Konsole also zurecht – trotzdem kam auch schnell Kritik auf. Was sich beim Bowling oder Golf sehr natürlich, präzise und einfach genial anfühlt, wirkt in vielen anderen klassischen Genres aufgesetzt und wenig hilfreich. Eine Armbewegung direkt auf den Bildschirm zu übertragen ist sinnvoll, aber laufen und springen möchten die wenigsten Spieler vor dem Fernseher – zudem eignet sich die Wii Remote nur sehr bedingt zur präzisen Erkennung dieser Handlungen. Wird also ein Sprung durch ein Schütteln der Wii-Fernbedienung ausgelöst, ist das eher albern und unnötig umständlich. Teilweise wurden Knopfdrücke durch solches Schütteln simuliert, weil die Wii Remote einfach sehr wenige Knöpfe bietet – für klassische Steuerungs-Varianten also nur bedingt geeignet ist. So kehrten viele Spieler der Wii den Rücken und die Spieler-Gemeinde war gespalten.
Die nächste Konsolen-Generation nutzte Nintendo abermals, um neue Wege zu gehen. Die Wii U bot einen zweiten Bildschirm auf dem GamePad, das sowohl Touch- als auch Bewegungssteuerung beherrschte. Ein Touchscreen liefert – ähnlich wie die Bewegungssteuerung – bei manchen Spiel-Elementen deutliche Vorteile gegenüber der reinen Knopf-Eingabe. Doch hier wurde uns das Problem, das schon die Wii hatte, noch deutlicher bewusst: Einerseits setzt Nintendo stark auf neue Steuerungskonzepte und innovative Ideen, die auch wirklich tolle Ergebnisse liefern. Andererseits sind diese Ideen in vielen Spielen nicht sinnvoll umsetzbar.
Das sorgt für Unzufriedenheit: Wer begeistert von der Innovation ist, leidet darunter, dass es kaum Spiele gibt, die diese sinnvoll integrieren. Wer klassische Steuerung bevorzugt, empfindet die alternativen Ansätze als überflüssig und spielt lieber auf anderen Konsolen, die auf jeglichen experimentellen Schnickschnack verzichten. Und bei manchen Spielen wie Star Fox Zero ist klar zu sehen, dass innovative Steuerung von den einen geliebt und zugleich von den anderen gehasst werden kann – man also kaum neutral und eindeutig sagen kann: „Das ist besser!“ Und hier liegt das Dilemma, in dem wir uns befinden. Neue Ideen haben zwar viel Kritik einstecken müssen, sind aber nicht grundsätzlich schlecht, haben ausgezeichnete Spiele hervorgebracht und nach wie vor viele Fans. Wie soll also die Zukunft der Spiele-Steuerung aussehen?
Die Wii Remote brachte die innovative Bewegungssteuerung ins Spiel. Was bei vielen Spielen begeistert, ist bei anderen aber unnötig.
Die Steuerung der Zukunft – wo führt der Weg uns hin?
Letztlich liegt es natürlich an den Herstellern, wie wir in Zukunft spielen werden. Gerade Nintendo würde uns kaum überraschen, wenn die nächste Konsole wieder eine Besonderheit in Sachen Steuerung bieten würde. Wir werden es sehen – jedenfalls gibt es einige grundsätzlich verschiedene Richtungen, die zukünftige Projekte wie das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht enthüllte „NX“ einschlagen könnten:
1. Zurück zur Normalität?
Während neue Steuerungs-Ideen der Wii noch großen Erfolg einbrachten, war zuletzt ein deutlich gegenteiliger Trend zu erkennen. Die Abkehr vieler Spieler von der Wii-Idee setzte sich bei der Wii U fort, deren Erfolg natürlich eine Frage des Blickwinkels ist, aber im Vergleich zum direkten Vorgänger sicher als negativ zu bewerten ist. Auch im Vergleich zum aktuellen Marktführer ist die Wii U deutlich geschlagen. Der Blick auf die PlayStation 4 ist zudem sehr interessant, wenn wir uns diese Konsole näher ansehen: Was bietet sie an Steuerungs-Innovationen? Nichts! Ein ganz klassischer Controller zieht die Massen an! Da haben Xbox One, die besonders zu Beginn stark auf die Kamera-Steuerung „Kinect“ setzte, und eben die Wii U mit Blick auf die Verkaufszahlen wenig entgegenzusetzen. Ist das vielleicht das Zeichen für Nintendo, ebenfalls einen Schritt zurückzugehen und andere Verkaufsargumente zu finden? Das ist nicht undenkbar, wenngleich sicher viele von uns den frischen Wind vermissen würden, den Nintendo immer wieder in die Branche bringt.
2. Experimentell in die nächste Nische?
Die PlayStation 4 liefert aber auch ein Argument gegen den klassischen Weg: Sie ist ein sehr starker Konkurrent, der im direkten Duell gute Karten hätte. Nintendos Stärke ist eigentlich nicht das Wettrüsten, sondern das Erforschen von Nischen und das Eröffnen von neuen Wegen, die eine neue Form von Kreativität in Spielen ermöglicht. Mit jeder Konsole haben sie das bisher versucht. Und an keiner Stelle kann das so gut gelingen wie bei der Steuerung, der Essenz des Mediums Videospiele. Die Frage ist nur: Gibt es eine wahrhaft neue Idee? Und kann man eine gute Idee auch qualitativ überzeugend umsetzen? Wird diese Idee die ganze Vielfalt an Spielen bereichern oder wieder nur bestimmte Genres? Wird es also gelingen, auch Spieler zu begeistern, die von Wii Remote und GamePad die Nase voll haben? Für eine reine Gedankensteuerung ist die Technik wohl noch nicht reif, also bleibt es uns nur abzuwarten, wie wir das nächste Mario-Spiel steuern werden.
3. Einzug der Vielfalt?
Vielleicht gibt es aktuell aber gar keine wirklich revolutionäre Idee zu einer neuen Steuerung, die sich zufriedenstellend umsetzen lässt. Womöglich lautet der neue Kurs stattdessen, die zersplitterte Spieler-Gemeinde wieder zusammenzubringen und vor einer Nintendo-Konsole zu vereinen. Die Wii U hat es im Grunde schon vorgemacht: GamePad, Wii Remote und Pro Controller – die gängigen Steuerungsvarianten sind aktuell alle möglich. Allerdings gibt es praktisch ein eher unausgewogenes Verhältnis zwischen ihnen. Bewegungssteuerung mit der Wii Remote gibt es kaum noch. Das ist durchaus schade, denn einige neue Wii Sports-Disziplinen würden sicher bei vielen Spielern Anklang finden. Das Problem ist wohl, dass die Wii Remotes zwar kompatibel zur Wii U sind, ihr aber nicht beiliegen und somit nicht wirklich zum Wii U-Konzept gehören.
Dieses Konzept lautet GamePad – was wiederum viele Spieler enttäuscht, weil es selten voll ausgenutzt wird. Klassische Steuerung ist eigentlich Wii U-Standard, sodass Abweichungen (erneut nenne ich Star Fox Zero) sofort zu großen Diskussionen führen. Vielleicht gelingt es Nintendo ja, verschiedene Steuerungs-Varianten in der nächsten Konsole so zu etablieren, sodass jeder Spieler zufrieden ist. Im Optimalfall schaffen es dann auch die Entwickler, für jedes Spiel die passende Steuerungs-Variante auszuwählen und diese durchdacht umzusetzen. Und vielleicht erkennen sie dann auch, dass es manchmal nicht die eine, richtige Lösung gibt, und bieten verschiedene Steuerungs-Varianten für verschiedene Geschmäcker an. Das bedeutet mehr Aufwand, aber sicher nicht weniger Erfolg.
Das Wii U GamePad steht im Fokus des Wii-Nachfolgers. Erneut war ein ganz klassischer Controller nicht genug für Nintendo.
Das ist gute Steuerung
All diese Gedanken führen uns schließlich zur Erkenntnis, wann eine Spiele-Steuerung „gut“ ist. Falsch wäre es, schlicht eine Variante wie die klassische Knopf-Steuerung zum Sieger zu erklären. Vielmehr sind verschiedene Varianten für verschiedene Genres und verschiedene Spiele unterschiedlich sinnvoll. Gut ist Steuerung dann, wenn sie zum Spiel passt, durchdacht umgesetzt wurde und dem Spieler die bestmögliche Kontrolle über das Geschehen gibt. Was nicht wegzudiskutieren ist: Auch der persönliche Geschmack spielt eine große Rolle! Star Fox Zero hat viele Gegner – und viele Fans! Ich persönlich kann mir seit Wii Sports kaum ein Golf-Spiel vorstellen, bei dem man nicht selbst den virtuellen Schläger schwingt. Andere Spieler wollen aber gar keine möglichst natürliche Kopie des Bewegungsablaufes, sondern empfinden gerade Spaß daran, mit gut getimten Knopfdrücken den Ball ins Loch zu schlagen. Ein Spiel muss nicht unbedingt die Realität in allen Facetten nachahmen, sondern kann etwas ganz Eigenes sein. Für die Spieler kann es also nur gut sein, wenn wir eine breite Auswahl und verschiedenen Spielen haben, bei der sie sich idealerweise sogar die Art der Steuerung selbst aussuchen können. Innovative Controller sind dabei stets willkommen, aber die Spiele-Hersteller sollten immer gut durchdenken, was sie aus den gegebenen Möglichkeiten machen.
Autor: Roman Dichter