Eure Prinzessin ist in einem anderen Schloss, befreit sich aber selbst – Ein Blick auf starke weibliche Charaktere in Videospielen Spezial
Geschrieben von Lisa Zander am 12.01.2019
Dornröschen fiel in einen tiefen Schlaf und konnte nur von einem heldenhaften Prinzen gerettet werden. Rotkäppchen wurde erst vom Jäger aus dem Bauch des bösen Wolfs befreit und Super Mario bezwingt Bowser, um Prinzessin Peach aus ihrer Not zu erlösen. Oftmals werden Frauen in Märchen, Sagen, Romanen und Filmen in die soeben beschriebene Opferrolle gedrängt. Unfähig, sich selbst zu befreien, müssen sich diese Frauen auf die Rettung durch James Bond, Ethan Hunt oder einem bärtigen Klempner verlassen. Wie anhand des Beispiels von Prinzessin Peach schon angedeutet wurde, ist dieser Stereotyp der hilflosen Frau auch in Videospielen vertreten.
So startet das typische Super Mario-Abenteuer damit, dass die Prinzessin entführt wird und um Marios Hilfe fleht. Gut, auch ihre Toads wirken hilflos und verlassen sich auf eure Unterstützung. Aber umgeben von Lava und Bowsers Handlangern scheint Peach sich aus eigener Kraft nicht befreien zu wollen. Das Bild, welches hier vermittelt wird, ist das einer unselbstständigen Frau, welche nicht in der Lage ist, sich allein um ihr Wohlergehen zu kümmern. Glücklicherweise gibt es jedoch auch gute Gegenbeispiele, die sich für Mädchen und junge Frauen zum Teil auch als besseres Vorbild eignen und mehr Charakterstärke zeigen. Im Folgenden soll ein Blick auf drei ausgewählte, unabhängige weibliche Charaktere, mit einer eben solchen Stärke, aus Videospielen geworfen werden.
Nicht um aufzuzeigen, dass es solche Charaktere gibt; das sollte jedem bewusst sein, der Titel von Tomb Raider, Metroid oder The Legend of Zelda gespielt hat. Vielmehr dient dieses Spezial dem Zweck, in Zeiten von Frauenquote und Gleichberechtigungsdebatten zu verdeutlichen, wie durch gut gezeichnete weibliche Charaktere Frauen nicht nur gut medial dargestellt werden können, sondern was für eine Bereicherung sie auch für die entsprechenden Videospiele sein können. Spoiler lassen sich bei dieser Darstellung nicht vermeiden, weshalb alle Zelda-Fans im kommenden Absatz, in Terranigma unerfahrene im fünften und sechsten Absatz, sowie all diejenigen unter euch, die Okami noch nicht durchgespielt haben, den siebten und achten Absatz meiden sollten.
Ebenfalls eine Prinzessin, aber in Titeln wie The Legend of Zelda: Breath of the Wild deutlich unabhängiger, ist Zelda. Trotz kräftigen Gegenwindes seitens ihres Vaters, setzt die 17-jährige Prinzessin ihren Willen durch und versucht Ganon auf ihre eigene Weise zu bezwingen. Anstatt auf die ihr in die Wiege gelegte – wenn auch, wie man in Links Erinnerungen erfährt, nicht zu Beginn manifestierte – Gabe, mit göttlicher Kraft gegen das Böse vorzugehen, zu vertrauen, wählt sie mit der Technologie der Shiekah einen neuen Weg. Damit legt sie ein gewisses Selbstvertrauen in einer für sie sehr schwierigen Zeit an den Tag.
Und im Gegensatz zur Prinzessin des Pilzkönigreichs lehnt sie zunächst strikt die Unterstützung eines Leibwächters ab. Abgesehen davon, dass Links Anwesenheit sie stets an ihre fehlenden göttlichen Kräfte und ihre Bestimmung erinnert, ist sie seiner Hilfe abgeneigt, da sie sich selbst beweisen möchte. Wie ihr im Spielverlauf lernt, handelt es sich bei dieser Zelda um einen starken Charakter, der durchaus auch launisch ist und Schwäche zeigen kann, sich jedoch trotz starken Drucks durch ihren Vater und ihre Bestimmung als Bezwingerin Ganons durchsetzen und letztlich ganz Hyrule 100 Jahre lang vor dem Untergang bewahren kann.
Besitzer eines SNES können sich vielleicht auch an die nächste junge Dame erinnern. In Terranigma spielte sie gleich auf mehrere Weisen eine große Rolle. Die entführte Prinzessin Melina, welche der Freundin des Protagonisten Ark stark ähnelt, hatte nicht nur eine für den Spielverlauf sehr wichtige Rolle, sondern auch einen stark gezeichneten Charakter. Zum ersten Mal trifft Ark im Schloss von Loire auf die schweigende Prinzessin, welche der König von ihrer Stummheit befreien wollte.
Ihr findet heraus, dass Melina ursprünglich von diesem adoptiert wurde, nachdem er ihr Heimatdorf zerstört und ihre Eltern umgebracht hat. Von diesen Umständen traumatisiert schweigt sie, bis ihr sie wieder zum Reden bringt. Letztlich ermordet Melina den Mörder ihrer Eltern und flieht. Im weiteren Spielverlauf lernt ihr die Prinzessin etwas besser kennen und bekommt einen kurzen Einblick in die Gedankenwelt dieser sonst so stur wirkenden Frau. Aber was rechtfertigt es an dieser Stelle, dass sie in einem Atemzug mit der heldenhaften und gerechten Prinzessin Zelda genannt wird?
Als Kind hat mich Melina mit ihrem Schweigen und ihrer sturen Persönlichkeit nur genervt, aber heute sehe ich ihren Charakter anders. Stellen wir uns mal Prinzessin Peach, wie sie zuvor beschrieben wurde, in ihrer Rolle vor: Ihre Eltern wurden umgebracht, ihr Dorf zerstört und sie wird von ihrem Entführer adoptiert. Im Schloss angekommen würde sie vermutlich darauf warten, dass ein Held in Latzhosen kommt, um sie zu retten. An dieser Stelle soll natürlich keinesfalls behauptet werden, dass Melinas Rache am König in Ordnung sei und sie damit ein gutes Vorbild abgeben könne. Doch lässt sie sich nach kurzem Anstoß durch den Protagonisten trotz ihres sehr schweren Schicksals nicht unterkriegen und versucht die Situation aus eigener Kraft zu überwinden. Ganz ohne Helden. Hinzu kommt, dass sie bis zum Ende des Spiels stets eine mysteriöse Aura umgibt und ihr nie das Gefühl haben werdet, sie vollends verstehen zu können. Einen flachen Charakter, der nur dafür da ist, gerettet zu werden und danke zu sagen, findet ihr in ihr nicht.
Das letzte Beispiel für einen starken und interessanten weiblichen Charakter ist die Königin Himiko aus Ōkami. Ähnlich wie Zelda und Melina legt auch Himiko ihr Schicksal nicht gänzlich in die Hände anderer. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht weiß, an welcher Stelle sie Hilfe annehmen sollte. Als Wölfin Amaterasu werdet ihr von ihr im Kampf gegen das Böse unterstützt, doch auch schon bevor ihr wisst, wie ihr sie unterstützen könnt, widmet sie sich dieser Aufgabe vollkommen. Sie nimmt ihre Rolle als Königin so ernst, dass sie letztlich ihr Leben für den Schutz ihrer Untertanen opfert. Eingesperrt in ihrem Palast konzentriert sie sich so sehr auf das Lokalisieren des Bösen – eine Aufgabe, die nur sie für euch übernehmen könnte – dass sie auch einen schlechten Ruf in Kauf nimmt, um den Bürgern von Sei-An Sicherheit zu bieten.
Wie die zuvor genannten Frauen strahlt auch Himiko Stärke aus. Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Wohl opfert sie sich für ihre Untertanen auf. Auch bei ihr kann man als Spieler nie so recht einschätzen, was in ihr vorgeht. Weiß sie, dass ihre Aufgabe ihr zuletzt den Tod bringen wird? Nimmt sie ihren Tod bewusst in Kauf, um ihre Untertanen zu retten? Was sie mit Zelda und auch Melina gemeinsam hat, ist ihre Entschlossenheit, selbst für ihr Schicksal verantwortlich zu sein. Sie ist ebenfalls keine Frau, die zunächst abwartet, ob ihr nicht ein Held aus der Patsche helfen und ihre Aufgabe übernehmen kann.
Was kann zurückblickend auf die drei in diesem Text vorgestellten weiblichen Charaktere in Videospielen gesagt werden? Zelda, Melina und Himiko sind allesamt sehr individuelle Persönlichkeiten, die auch sehr unterschiedliche Rollen in den jeweiligen Videospielen übernehmen. Dennoch haben sie alle auf ihre Weise eine sehr wichtige Position und ohne sie würden allen Titeln ein entscheidender Aspekt fehlen. Im Gegensatz zu Prinzessin Peach tragen sie mit ihrem eigenen Handeln maßgeblich zum Spielverlauf bei und stellen Frauen dar, die selbstständig mit schwierigen Situation umzugehen vermögen. Ein männerfeindliches Bild sollte mit diesem Text jedoch keinesfalls entstehen. Doch wäre Mario sicherlich auch glücklich, wieder seiner Haupttätigkeit als Klempner nachzugehen, wenn Peach nicht ständig von Bowser entführt werden würde.
Was für starke weibliche Charaktere, die in diesem Text nicht genauer beleuchtet werden, fallen euch noch ein?