Die Pikmin-Reihe steht in voller Blüte
Endlich ist es soweit: Nachdem Pikmin-Schöpfer Shigeru Miyamoto bereits 2015 bekanntgab, dass sich der vierte Teil des Strategie-Abenteuers nicht nur bereits in der Entwicklung befände, sondern auch kurz vor der Fertigstellung wäre, wurde es danach erstaunlich ruhig um den Nachfolger des 2013 für die Wii U veröffentlichten Pikmin 3. Vergangenes Jahr platzte dann in der September-Ausgabe der Nintendo Direct-Präsentationen die Bombe, mit der keiner mehr wirklich gerechnet hatte, und Pikmin 4 wurde tatsächlich offiziell für die Nintendo Switch angekündigt. Gut zehn Monate später stehen wir nun endlich ganz knapp vor der Veröffentlichung des neuen Weltraumabenteuers mit den putzigen Pflanzenwesen. Ob sich die lange Wartezeit gelohnt hat und was sich in den zehn Jahren seit dem Vorgänger alles getan hat, erfahrt ihr in unserem Test.
In seinem Kern ist Pikmin ein Abenteuer mit Strategie-Elementen, welches sich maßgeblich um die titelgebenden Pflanzenwesen dreht. Wie schon seit den Anfängen der Reihe, strandet ihr auf einem unbekannten Planeten, auf dem ihr diverse Überbleibsel einer menschenähnlichen Zivilisation erkundet. Der Clou dabei ist, dass ihr eine Spielfigur steuert, die nur wenige Zentimeter groß ist, weshalb alles gigantisch groß und in gewisser Weise auch beängstigend erscheint. Steuertet ihr im ersten Ableger der Reihe noch den Serienhelden Captain Olimar, ist dieser in Pikmin 4 nun verschollen und soll von einer Rettungscrew aufgespürt und nach Hause geleitet werden. Doch unglücklicherweise stürzt auch die Rettungscrew mit ihrem treuen Raumschiff, der Shepherd, auf dem unbekannten Planeten voller gefährlicher Lebewesen ab. Und so liegt es nun an euch, euch nicht nur auf die Suche nach Olimar zu machen, sondern Retter für die Retter zu spielen und neben der Rettungscrew auch einer ganzen Menge anderer Gestrandeter zu Hilfe zu eilen. Dafür dürft ihr euch dieses Mal sogar einen eigenen Charakter erstellen, wenngleich die Auswahlmöglichkeiten des Charakter-Editors vergleichsweise limitiert daherkommen.
Zum ersten Mal in der Pikmin-Reihe könnt ihr das Aussehen eures eigenen Charakters anpassen
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Zu eurer Unterstützung stehen euch gleich zwei Gefährten zur Verfügung. Als erstes stolpert ihr über den Rettungshund Otschin, der von da an zu eurem treuen Begleiter wird. Die hundeähnliche Kreatur kann Gegner angreifen, Dinge transportieren oder mit Hindernissen in der Umwelt interagieren, indem er beispielsweise Tonkrüge mit einem Sprintangriff zerbricht. Im Verlauf des Spiels werden weitere Aktionen eures tierischen Gefährten freigeschaltet, die euch sowohl beim Erkunden der Gebiete als auch im Kampf sehr nützlich sein können. Je mehr gestrandete Personen ihr rettet, desto mehr Talentpunkte könnt ihr in unterschiedliche Fähigkeiten investieren, die Otschin zu eurem mächtigsten Verbündeten, den die Pikmin-Reihe bisher hervorgebracht hat, machen. Außerdem könnt ihr ihm diverse Befehle erteilen, wodurch er sich – ähnlich wie in den Vorgängertiteln – als zweiter spielbarer Charakter nutzen lässt, sodass ihr an mehreren Aufgaben gleichzeitig arbeiten könnt.
Selbstverständlich stehen euch aber auch wieder die namensgebenden Pikmin zur Seite. Pflückt ihr die pflanzenähnlichen Lebewesen, laufen sie euch hinterher und erledigen allerlei Aufgaben für euch. Nicht nur könnt ihr sie auf Gegner werfen, um diese anzugreifen, sondern auch für den Transport aller möglichen Dinge sowie die Beseitigung von Hindernissen verwenden. Während euch zunächst nur Rote Pikmin zur Verfügung stehen, erweitert sich die Vielfalt der treuen Tierchen stetig im Verlauf des Spiels. Rote Pikmin richten ordentlich Schaden an Gegnern an und sind gegen Feuer immun. Gelbe Pikmin hingegen könnt ihr höher werfen, sind gegen Elektrizität immun und können schneller graben. Blaue Pikmin können das Wasser betreten, Fels-Pikmin sind besonders hart und Flügel-Pikmin können – wie der Name vermuten lässt – fliegen und können so Dinge besonders einfach transportieren. Schleppen Pikmin die leblosen Körper besiegter Feinde oder sogenannte Knopfprimeln zu ihrer Behausung, einer farbigen Zwiebel, sprießen neue Pikmin, sodass ihr euch im Nullkommanichts eine kleine Armee aufbauen könnt. Und diese werdet ihr auch brauchen, denn die Gegner werden stärker und oftmals braucht ihr eine ganze Menge Helferchen, um Hindernisse zu überwinden.
Die neuen Eis-Pikmin können Gewässer im Handumdrehen gefrieren lassen, sodass ihr sie überqueren könnt
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Wie es sich zum Standard der Reihe entwickelt hat, sind auch im vierten Ableger zwei neue Pikmin-Arten am Start, die euch neue Möglichkeiten im Kampf sowie bei der Erkundung bieten. Mit an Bord sind die Eis-Pikmin, welche nicht nur Gewässer, sondern auch Gegner mit ihrer enormen Kälte gefrieren lassen können. Wie Eiswürfel können diese frostigen Gesellen auf dem Wasser schwimmen, doch sobald ihr eine größere Menge von ihnen in das kühle Nass werft, erstarrt es, sodass ihr einfach darauf laufen könnt. So erhaltet ihr Zugang zu abgetrennten Bereichen und könnt diese genauer unter die Lupe nehmen. Ruft ihr die Eis-Pikmin mit eurer Pfeife zu euch zurück, taut das Wasser wenige Sekunden später wieder auf. Auch im Kampf lassen sich die neuen Pikmin nutzen, um Gegnern mit eisiger Kälte den Garaus zu machen. Neben den Eis-Pikmin werden auch die geisterhaften Leucht-Pikmin eingeführt, auf die ich später noch näher eingehen werde.
Im Laufe des Spiels erkundet ihr mehrere vielseitig gestaltete Gebiete, in denen ihr nach Schätzen sucht, die Glitzerium enthalten. Dieses wertvolle Material benötigt ihr, um die Shepherd wieder flott zu machen und das Radar zu verbessern, um weitere Notrufsignale ausfindig zu machen. Habt ihr genügend Glitzerium beisammen, könnt ihr weitere Gebiete entdecken, um dort nach weiteren Schätzen, Gestrandeten und auch Olimar zu suchen. Dabei entdeckt ihr die sogenannten Laublinge. Diesen Personen sind merkwürdigerweise Blätter über den gesamten Kopf gewachsen, sodass diese nicht nur nicht mehr wiederzuerkennen sind, sondern auch eine Besessenheit für Dandori entwickelt haben. „Dandori“ bedeutet so viel wie Zeitmanagement oder -effizienz, also die Fähigkeit, möglichst gut durchdacht und unter Aufteilung der vorhanden Kapazitäten eine Aufgabe zu bewältigen. Dieses Konzept wird in den sogenannten Dandori-Herausforderungen auf die Probe gestellt, wo ihr innerhalb eines Zeitlimits alle Gegner und Schätze in einem begrenzten Gebiet einsammeln müsst. Auch begegnet ihr immer wieder einem mysteriösen roten Laubling, der genau wie ihr auch einen Hund bei sich hat, euch zu einem Dandori-Duell herausfordert, bei welchem ihr innerhalb des Zeitlimits mehr Punkte als er sammelt müsst, und Gestrandete in andere Laublinge verwandelt. Was es wohl damit auf sich hat ...?
Bei der Erkundung von Höhlen müsst ihr euch nicht selten auf der untersten Ebene einem Bosskampf stellen
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Die einzelnen Gebiete sind deutlich größer als ihr es aus den vorherigen Serienablegern gewohnt seid. Sie sind sogar so groß, dass ihr die Beagle, euer kleines Erkundungsschiff, mit dem ihr in die Gebiete reist, zu einem von insgesamt drei Orten verlegen könnt, um Bereiche schneller zu erreichen und den Transportweg für eure Pikmin zu verkürzen. Erweitert werden diese Gebiete durch Höhlen, welche ihre Rückkehr nach deren Abwesenheit in Pikmin 3 feiern. Die Höhlen fungieren als Dungeons, in denen euch auf einer variierenden Anzahl an Ebenen zahlreiche Gegner, Hindernisse und natürlich auch jede Menge Schätze erwarten. Bei den Schätzen handelt es sich im Übrigen wieder um jede Menge Alltagsgegenstände, deren eigentlichen Zweck sich den außerirdischen Besuchern jedoch oftmals nicht erschließt, sowie leckeren Früchten. Auf der untersten Ebene einiger Höhlen erwarten euch auch Bosskämpfe gegen besondere Gegner. Außerdem lohnt sich die Erkundung von Höhlen, weil ihr in ihnen oft neue oder seltene Pikmin-Arten, wie die schweren und kräftigen Lila Pikmin oder die giftresistenten Weißen Pikmin, finden und eurem Arsenal hinzufügen könnt.
Als Ausgangspunkt für eure Erkundungen der verschiedenen Gebiete dient euch das Basiscamp, wo ihr nicht nur die Shepherd, sondern auch alle geretteten Gestrandeten finden könnt. Diese erfüllen dabei verschiedene Aufgaben und betrauen euch mit Nebenmissionen, für die ihr eine kleine Belohnung erhalten könnt. Ihr könnt Otschin neue Fähigkeiten beibringen, eure bisherigen Schätze oder besiegten Gegner ansehen, euren Charakter umgestalten, bereits abgeschlossene Dandori-Duelle und -Herausforderungen erneut spielen und vieles mehr. Bei euren Erkundungen findet ihr Rohmaterial, welches ihr im Gebiet selbst nutzen könnt, um diverse Konstruktionen wie Brücken oder Rampen zu bauen. Im Basiscamp könnt ihr es beim Forscher eurer Rettungscrew gegen Ausrüstungsgegenstände für Otschin und euren eigenen Charakter oder Items, welche euch im Kampf oder bei der Erkundung nutzen, eintauschen. Auch die gefundenen Laublinge werden hierher gebracht, um eine Möglichkeit zu finden, diese von ihrem Zustand zu befreien.
Die Leucht-Pikmin sind eure einzige Chance, die Monsterangriffe in den Nachtexpeditionen abzuwehren
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Erstmals in der Reihe könnt ihr dafür mit euren Pikmin auch nachts das sichere Raumschiff verlassen und nach Leuchtsaft suchen, aus dem ihr ein Heilmittel für die Laublinge herstellen könnt. Die Nachtexpeditionen spielen sich jedoch etwas anders ab, als ihr es vermutlich erwartet habt. Wirklich erkunden könnt ihr hier nämlich die Gebiete nicht, da ihr damit beauftragt seid, Leuchtbauten, in welchen sich der Leuchtsaft befindet, bis zum Morgen zu verteidigen. Dabei helfen euch die neuen Leucht-Pikmin, welche (fast) ausschließlich in diesem Modus verfügbar sind. Mit diesen müsst ihr so schnell wie möglich Leucht-Knöpfe sammeln, um die Anzahl eurer Leucht-Pikmin zu erhöhen. Nach einer Weile beginnen die nächtlichen Kreaturen nämlich, sich den Leuchtbauten zu nähern, um diese zu zerstören. Ihr müsst also quasi eure Basis verteidigen, um die Mission erfolgreich abzuschließen. Siegreich seid ihr, wenn ihr entweder bis zum Morgengrauen durchhaltet oder sämtliche Gegner eliminiert. Je nach Anzahl der am Ende einer Nachtexpedition übrigen Leucht-Pikmin werdet ihr mit Leuchtsamen belohnt, mit denen ihr zusätzliche Leucht-Pikmin bei der nächsten Nachtexpedition oder am Tag, aber dafür ausschließlich in Höhlen zu eurer Unterstützung rufen könnt. Zweifelsohne weckte die Aussicht auf nächtliche Erkundungen großes Interesse bei vielen Fans, mich eingeschlossen, jedoch sehe ich hier deutlich verschenktes Potenzial, vor allem da die Nachtexpeditionen einzig dem Zweck dienen, Laublinge in normale Personen zurückzuverwandeln, was zwar anfangs noch irgendwie besonders wirkt, aufgrund der großen Anzahl an Laublingen jedoch schnell seinen Reiz verliert.
Pikmin 4 fühlt sich an wie ein Best-of der Reihe, welches nicht nur alle bisherigen Pikmin-Arten und eine gewaltige Anzahl verschiedener wiederkehrender und neuer Gegner beinhaltet, sondern auch die von Fans im dritten Ableger vermissten Höhlen zurückbringt. Die schiere Anzahl an Inhalten kann sich dabei wirklich sehen lassen. Leider darf ich an dieser Stelle nichts genaueres über den Umfang der gesamten Kampagne verraten, lediglich dass euch auch nach dem Abspann noch eine ganze Menge weitere, teils überraschende Inhalte erwartet. Im Vergleich zu den vorherigen Teilen wurden auch zahlreiche Quality-of-Life-Verbesserungen vorgenommen, welche das Pikmin-Spielerlebnis so angenehm wie nie zuvor gestalten. Während Teil 1 und auch Teil 3 zumindest in Ansätzen noch euer Abenteuer mit einem Zeitlimit versehen haben, könnt ihr euch hier wieder unbegrenzt viele Tage Zeit lassen, um jeden Winkel der gewaltigen Spielwelt zu entdecken. In den einzelnen Gebieten tickt die Uhr herunter, da ihr bei Einbruch der Nacht zurück zur Shepherd fliegen müsst und dabei alle nicht bei euch befindlichen Pikmin verliert. Glücklicherweise verläuft die Zeit bei der Erkundung von Höhlen langsamer, sodass ihr hier niemals bangen müsst, dass euch mittendrin die Zeit ausgeht. Solltet ihr einmal einen folgenschweren Fehler begehen, der euch das Leben einiger eurer Pikmin kostet, könnt ihr nun die Zeit um ein paar Minuten zurückdrehen und euch der Situation erneut stellen. Darüber dürften sich vor allem diejenigen, die in ihrem Spieldurchlauf keine Pikmin verlieren oder möglichst wenige Tage benötigen wollen, besonders freuen. Mit Otschin habt ihr außerdem einen wirklich nützlichen, wenngleich auch manchmal etwas übermächtigen Partner an eurer Seite, der euch nicht nur bei der Erkundung, sondern auch in Kämpfen eine große Hilfe ist.
Neben dem vergeudeten Potenzial bei den Nachtexpeditionen gibt es noch einen weiteren Wermutstropfen: fehlende Hauptbosse. Noch heute kann ich mich an jeden einzelnen der Gebiets-Bosse aus Pikmin 3 erinnern, die nicht nur optisch toll designt, sondern auch fabelhaft in Szene gesetzt waren. Leider sucht ihr solche Bossbegegnungen in Pikmin 4 nahezu vergebens. Anstelle der Gebiets-Bosse sind nämlich die Dandori-Herausforderungen und -Duelle gerückt. Zwar sind diese auf zusätzlichen Modi der Vorgänger basierenden Gameplay-Elemente nette Ergänzungen, aber nicht als Ersatz für echte Bosskämpfe – hier wünsche ich mir definitiv eine Rückkehr in Pikmin 5! Für mich persönlich stellt es zwar keinen großen Verlust dar, jedoch müssen sich auch Fans des Koop-Modus auf einen Rückschritt einstellen. Konntet ihr in Pikmin 3 die gesamte Kampagne im lokalen Koop absolvieren, kann Spieler 2 in diesem Teil lediglich mit einem Fadenkreuz zielen und Steine schleudern sowie Items werfen. Das ist zwar prinzipiell eine nette Unterstützung für den eigentlichen Protagonisten, für viele aber vermutlich nicht besonders reizvoll. Immerhin könnt ihr noch in einem separaten Modus gegeneinander oder gemeinsam miteinander gegen eine CPU beim Dandori-Duell antreten.
Pikmin 3 war seinerzeit ein grafisches Highlight auf der Wii U. Die Umgebungen kamen mit großem Detailreichtum daher und die 3D-Modelle, vor allem der leckeren Früchte, sahen zum Anbeißen aus. Pikmin 4 setzt hier noch einmal einen obendrauf. Nicht nur sehen die 3D-Modelle nochmal besser als im Vorgänger aus, auch bei den Umgebungstexturen, vor allem bei den Böden, hat sich so einiges getan. Hin und wieder kann man beobachten, wie ein paar wenige Objekte in der Ferne nachladen, wenn man sich ihnen nähert, aber dies fällt kaum auf und schmälert den grafischen Gesamteindruck nicht. Auch das Sounddesign ist gelungen. Ruhige Klänge untermalen die Erkundung der abwechslungsreichen Landschaften, während harte Kämpfe durch ebenso harte Klänge unterstützt werden – da tanzt sogar das Disco-Langbein mit! Sowohl im TV- als auch im Handheld-Modus läuft Pikmin 4 stets flüssig, lediglich beim Ableben eines bestimmten Gegnertyps, der wie ein Feuerwerk zerplatzt, konnte ich deutlich merkbare Einbrüche bei der Framerate feststellen.
Unser Fazit
9
Geniales Spiel