Eine stimmig moderne Mischung aus Visual Novel, Krimi und Mythologie
Griechische Gottheiten faszinieren die Menschheit seit vielen Jahrhunderten. Heute haben sie als Sagen Einzug in unsere moderne Welt gefunden. Immer wieder wird in der Popkultur versucht, die Geschichten und Persönlichkeiten dieser Gottheiten aufzugreifen – das Mosaik neu zusammenzusetzen, um ein neues, faszinierendes Werk zusammenzufügen. Eine dieser modernen Interpretationen ist das kürzlich erschienene Videospiel Stray Gods: The Roleplaying Musical. Doch hier sind es nicht nur die Gottheiten, die dieses Spiel zu einem bunten und einzigartigen Mosaik machen.
Stray Gods ist ein Videospiel aus dem Hause Humble Bundle. Was das Spiel auf den ersten Blick faszinierend macht, ist die Zusammenführung verschiedener Genres, die den Entwicklern erstaunlich gut gelungen ist. Statt einer klassischen Visual Novel werden in Stray Gods auch Musical-Elemente genutzt, um Spielende in den Bann ziehen zu können. Gepaart wird das Ganze mit einer Kriminalgeschichte, die durch übernatürliche Elemente ausgeschmückt wird.
In Stray Gods spielt ihr die ungewöhnliche Geschichte der Musikerin Grace, die während eines Vorsprechens die Bekanntschaft mit Calliope macht. Dieses Zusammentreffen lässt sich nur als schicksalhaft bezeichnen, da die Harmonie zwischen den beiden perfekt ist. Am selben Abend wendet sich jedoch diese Begegnung zum Schlechten, als es wild an Graces Wohnungstür klopft, ihr die blutende Calliope in die Arme fällt und auf dem Küchenboden verstirbt. Eine goldgelbe, gleißende Sphäre erhebt sich aus ihrem Körper und dringt in Grace ein. Aus dem Nichts taucht plötzlich ein junger Mann namens Hermes auf und bringt die unter Schock stehende Grace in ein Büro, wo sie anderen griechischen Gottheiten – im Spiel „Idole“ genannt – begegnet und ohne weitere Umschweife des Mordes an Calliope beschuldigt wird.
Ähnlich wie in anderen Visual Novels verfolgt ihr die Handlung, während ihr einzelne Antworten auswählt und so den Verlauf des Geschehens bestimmen könnt. Eine der zentralen Entscheidungen steht aber ganz zu Anfang des Spiels an, wenn ihr entscheidet, welchen besonderen Charakterzug Grace besitzen soll. Sie kann entweder clever sein und so Leute intelligent an die Wand debattieren oder ihr könnt sie empathisch wirken lassen und so die Herzen der Idole und Menschen gleichermaßen erobern. Mit dem aggressiven Charaktertyp ist Grace auf Krawall gebürstet und sucht gern Streit. Die Entscheidung des Charakterzugs beeinflusst, welche Antworten zur Auswahl stehen und kann Dialoge schnell in eine völlig neue Richtung lenken.
Das Spiel setzt auf einen Comicstil als Visualisierung. Die Umgebung wirkt dreidimensional ausgearbeitet, während die Charaktere als 2D-Designs zu sehen sind. Dabei verharren sie nicht an einer Stelle. Stattdessen bewegen sich die Charaktere immer im Raum, wie Basteleien, die neu positioniert werden, und so ein unglaublich dynamisches Bild erschaffen. Der gewählte Artstyle wirkt modern und fasziniert durch bildgewaltige Szenerien, die gemeinsam mit einer gekonnt inszenierten musikalischen Untermalung zu überzeugen weiß.
Herzzerreißende Szenen warten auf neugierige Spürnasen und den richtigen Sinn für Gerechtigkeit und Empathie
© Humble Bundle
Die Geschichte rund um den Mord von Calliope bekommt eine ordentliche Würze Spannung, da Grace ihre göttliche Fähigkeit geerbt hat und damit andere zum Singen animieren kann. Als neue Muse bringt sie nämlich innerste Bedürfnisse hervor und kann Menschen und Idole gleichermaßen inspirieren. Dabei kommt es in regelmäßigen Abständen zu Musical-Einlagen, die nicht nur gelungen sind, sondern das echte Highlight des Spiels darstellen. Wundervolle Kompositionen treffen auf symbolträchtige Bilder, sodass ein vielseitiges Gesamterlebnis entsteht. Grace kann auch innerhalb eines Liedes eingreifen, indem sie bestimmte Arten von Emotionen mit ihren Gesangseinlagen vorgibt. Dabei kann es schnell harmonisch oder unharmonisch zugehen.
Die verschiedenen Charaktere sind aber leider eine Schwachstelle des Spiels. Die Spielzeit ist auf etwa sechs bis sieben Stunden pro Spieldurchlauf begrenzt, was dafür sorgt, dass Charaktere nur bedingt Zeit finden, sich weiterzuentwickeln. Zwar gibt es viele optionale Gespräche, die ich in diese Zeit einberechnet habe, aber auch so kommen die Charaktere eher unvollständig weg. Die Autoren haben versucht, den bekannten Sagen rund um Persephone, Apollo und anderen Gottheiten einen modernen Twist zu geben. Grundlegende Charaktereigenschaften der Idole und die Sagen selbst konnten nicht stark genug ausgearbeitet werden, weswegen auch verschiedene Momente der Handlung vorhersehbar werden. Die Idole faszinieren zunächst mit ihren Schicksalen und ihrem Leid in der modernen Welt, das reicht aber nicht, um ihre vollständige Tiefe zu entlocken. Durch mehrfache Spieldurchläufe versuchen die Entwickler dazu zu motivieren, andere Entscheidungen zu nutzen, um die Charaktere auszuarbeiten. Mir fehlte aber während der Hälfte des zweiten Durchlaufs der nötige Willen zum Weiterspielen, da zu vieles gleich erscheint und entsprechend schnell die Luft raus ist.
Besonders bitter ist die Synchronarbeit, die sich zwischen hervorragend und katastrophal bewegt. Wenn die Charaktere gut zu hören sind, faszinieren sie durch ihre authentische Stimme und das dazugehörige Talent. Oft genug kommt es aber vor, dass die Stimmen viel zu leise eingespielt werden, sodass diese gern von der Musik verschluckt wird. Auch wenn die Musik im Hintergrund in den Optionen leiser eingestellt wird, reicht das nicht wirklich, um das dumpfe Geflüster zu hören. Diese sehr wechselhafte Qualität steht dabei im direkten Kontrast zur Musik und den Musical-Szenen, die mich über alle Maße verzaubern konnten, auch wenn nicht jedes Lied meinen Geschmack traf.
Unser Fazit
7
Spaßgarant