Test zu Pentiment - Nintendo Switch
Ein Mordfall, historische Geschichten und ketzerischer Schabernack
Im November 2022 wagten die Entwickler von Obsidian Entertainment mit dem malerischen Rollenspiel Pentiment einen großen Schritt aus der eigenen Komfortzone – und wurden prompt für ihren Mut belohnt. Es hagelte Bestwertungen von der Fachpresse und Spielerschaft. In der vergangenen Nintendo Direct ließ Microsoft die brodelnde Gerüchteküche platzen und gab bekannt, dass das hochgelobte Rollenspiel einen Tag nach der Präsentation für die Nintendo Switch erscheinen wird. Wir haben eine kleine Zeitreise in das beschauliche fiktive Örtchen Tassing im 16. Jahrhundert unternommen und haben den Protagonisten auf seiner Reise begleitet. Kann Pentiment auch auf dem Hybriden von Nintendo überzeugen?
In Pentiment schlüpft ihr in die Rolle des Protagonisten Andreas Maler, einem Meisterkünstler aus Nürnberg. Im Laufe seiner noch recht jungen Lebensgeschichte landet Andreas in der fiktiven bayerischen Kleinstadt Tassing und arbeitet in dem nahegelegenen Skriptorium in der Abtei des Nachbardorfes Kiersau an der Fertigstellung seines Meisterwerkes. Inmitten eines stürmischen Nachmittages erschüttert der Mord an Baron Rothvogel die Abtei, Arbeitskollegen und Bewohner – und plötzlich steckt Andreas mitten in einem Netz aus Lügen, Intrigen und düsteren Geheimnissen. Der alte, gebrechliche Künstler und geschätzte Arbeitskollege von Andreas, Piero, steht unter Tatverdacht. Der gesunde Menschenverstand vermittelt einem aber sofort, dass das keinen Sinn ergibt. Doch lassen sich auch die Anderen von Pieros Unschuld überzeugen oder reitet ihr euren Freund mit eurem Herumgeschnüffel nur weiter ins Verderben?

Ihr entscheidet zu Spielbeginn über die bisherige berufliche Laufbahn und den Wissensschatz des Protagonisten
© Obsidian Entertainment
Zugegeben, bis ihr euch dieser Frage stellt, verläuft das Spielgeschehen zu Beginn im Schneckentempo. Zunächst steht erst einmal die „Charaktererstellung“ auf dem Programm. Zwar ist das Aussehen des Protagonisten in Stein gemeißelt und kann nicht angepasst werden, dafür aber die Persönlichkeit und der bisherige berufliche Werdegang von Andreas – und damit auch seinen Wissensschatz. So dürft ihr entscheiden, in welchen Ländern und Städten Andreas Erfahrungen gesammelt hat und in welchen Themengebieten er sich dementsprechend besonders gut auskennt, was in zukünftigen Gesprächen und brenzligen Situationen durchaus vom Vorteil sein kann. Dagegen habt ihr nicht viel Mitspracherecht, sobald ihr von einem Thema absolut keine Ahnung habt.
Das Thema „Entscheidungen“ zieht sich allgemein durch das gesamte Spiel. Anhand eurer zuvor ausgewählten Themengebiete bekommt ihr zukünftig bestimmte Dialoge vorgesetzt und müsst euch dann zwischen einer kleinen Auswahl an Antworten entscheiden. Des Öfteren kommt es vor, dass sich eure Gesprächspartner dann eure Antworten merken, was sich ebenfalls auf den Verlauf der Geschichte(n) auswirken kann.
Eine kleine Entscheidungshilfe ist die Gedankenwolke, in welcher Andreas vor einer Antwort hin und wieder in sich hineinhorcht und den bisherigen Gesprächsverlauf noch einmal zusammenfasst. Seine innere Stimmen schlagen dann verschiedene Antwortmöglichkeiten vor, je nachdem, in welche Richtung ihr das Gespräch lenken wollt. Vor einer größeren Entscheidung erhaltet ihr zudem eine kleine Übersicht mit euren guten und schlechten Antworten und einer Einschätzung eurer Erfolgschance in dem Gespräch. Sobald ihr eine Entscheidung trefft, ist diese in Stein gemeißelt: Es bringt nichts, den Spielstand bei einer Fehlentscheidung einfach neu zu laden, um einem Fehltritt zu korrigieren. Das Spiel speichert automatisch und besonders gerne nach großen Entscheidungen. Dadurch entsteht aber ein großes Potenzial für ein erneutes Durchspielen. Zunächst müsst ihr aber mit euren Entscheidungen leben und es kann durchaus vorkommen, dass es die eine oder andere unschuldige Person treffen wird.
Die gesamte Spielwelt und Geschichte wird in Pentiment in einem Buch erzählt und erinnert besonders mit der 2,5D-Grafik an die glorreichen Point-and-Click-Adventures früherer Zeiten. So bewegt ihr Andreas mit dem Analogstick durch die Schauplätze und könnt dort mit den Bewohnern und Umgebungen interagieren. Insbesondere die Interaktionen mit den Bewohnern steht stets an oberster Stelle, denn durch diese erhaltet ihr wertvolle Informationen – erfahrt aber auch teilweise ziemlich traurige oder gar schockierende Schicksale. Die schier nicht endenden Texte werden zwischendurch mit kleinen Minispielen wie Wolle spinnen, Äste durchbrechen oder Abendbrot mit einer Familie essen aufgelockert. Ihr solltet aber nicht zu gutmütig sein und allen gerecht werden wollen, denn auch euer Tag hat nur 24 Stunden. Es kommt gerne häufiger vor, dass euch mehrere Bewohner an einem Tag um einen Gefallen bitten, ihr könnt aber meist nur 1-2 davon auch wirklich erledigen. Sagt ihr jemanden zu, könnt dies am Ende des Tages aber nicht einhalten, behält sich die Person euren Ausrutscher im Hinterkopf – meist eher negativ.

Die Personen merken sich eure Antworten in den Gesprächen – dies erhöht oder verringert die Chance auf den gewünschten Erfolg
© Obsidian Entertainment
In den ersten Spielstunden könnte es durchaus noch zu Verwechslungen der vielen Charaktere kommen und auch der Orientierungssinn könnte möglicherweise zunächst eingeschränkt sein. Im Menü findet ihr aber auf Knopfdruck eine Karte der Schauplätze und findet dort zusätzlich kurze Beschreibungen von den jeweiligen Charakteren. Eine Schnellreise zwischen den Orten gibt es nicht, was den schmalen Spagat für die Entscheidungen und dem eigenen Zeitmanagement noch eine ganze Ecke aufregender macht. Ihr könnt und werdet nicht überall eure Schnüffelnase reinhalten können – entscheidet also mit Bedacht.
Ein kleines Tagebuch fasst euch den bisherigen Spielverlauf zusammen, wohingegen euch das Glossar spezifische Begriffe und Persönlichkeiten erklärt und vorstellt. So kommen auch Geschichtsmuffel auf ihre Kosten und müssen sich vorher kein historisches Grundwissen aneignen, um zu verstehen, worüber da eigentlich gesprochen wird. Neben einigen fiktiven Persönlichkeiten und Geläster über die Nachbarn, stehen auch reale Personen wie Til Eulenspiegel oder die Reformation der Kirche mitsamt den 95 Thesen von Martin Luther weit oben im Gesprächsthemen-Kurs der Bewohner und sorgen für heiße Diskussionen.
Pentiment passt mit seinem Buchmalerei-Stil wie die Faust aufs Auge auf die Nintendo Switch. Es läuft sowohl im Handheld-, als auch im TV-Modus der Konsole butterweich. Generell halten sich die Ladezeiten in Grenzen und auch der Wechsel zwischen den Schauplätzen verläuft reibungslos – und die dazugehörige Animation mit dem Umblättern einer Buchseite ist ein Schmaus für die Augen. Eine Sprachausgabe gibt es dagegen nicht, was mit Hinblick auf die vielen langen Texte nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Positiv hervorzuheben sind auch die Barrierefreiheiten in den Einstellungen: So könnt ihr nicht nur die Schriftgrößen nach euren Wünschen anpassen, was im Handheld-Modus durchaus ein Segen sein kann, sondern auch die Schriftarten ändern. Neben medialen Zeichen und schnörkeligen Schriften, könnt ihr dadurch leicht lesbare Schriftarten verwenden. Ein hoher Kontrast unterstützt farbenblinde Personen, die Option der Photosensibilität deaktiviert Blitzeffekte und sogar die Tastenbelegung kann nach eigenen Wünschen angepasst werden. So geht Barrierefreiheit in Videospielen. Der Soundtrack ist vorhanden, spielt aber eine sehr untergeordnete Rolle. Generell lässt sich sagen: Die allgemeine Präsentation von Pentiment ist eher reduziert, aber mit einem unglaublich hohen Grad an Detailverliebtheit. All dies macht Pentiment zu einem stimmigen Kunstwerk.
Unser Fazit

9
Geniales Spiel