Pokémon braucht eine Pause und 2024 ist das richtige Jahr dafür Kommentar Spezial
Geschrieben von Daniel Kania am 09.07.2023
Ich liebe das Pokémon-Franchise – schon immer und wahrscheinlich auch für immer. Umso zermürbernder ist es, die Entwicklung der modernen Pokémon-Spiele mitansehen zu müssen. Sich auf eine neue Edition zu freuen, ist in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden, so legt man treuen Fans regelmäßig Kleinstein in den Weg. Fehlende Inhalte, rätselhafte Entscheidungen, zurückgebliebene Technik: die Liste an Patzern ist lang und man fragt sich warum. Pokémon ist so groß wie kaum eine andere Marke auf der Welt und die Videospiele, um die sich das gesamte Branding dreht, haben Besseres verdient.
Als ich das Material zu den bevorstehenden DLCs sah, dachte ich mir einfach nur: „Nein, das kann so wirklich nicht weitergehen“.
© Nintendo / Creatures / GAME FREAK
Nun komme ich daher – ohne in alle Interna von GAME FREAK oder The Pokémon Company als Ganzes eingeweiht zu sein – und schlage vor: Nehmt euch doch einfach mal mehr Zeit! Gebt den Entwicklungsteams mehr Freiraum! Auch wenn dies im Diskurs gerne einmal unterschlagen wird, können heutige Pokémon-Abenteuer immer noch sehr viel Freude bereiten. Gewiss handelt es sich auf spielerischer Ebene um keine Offenbarung, aber die etablierte Formel funktioniert auch nach all den Jahren noch hervorragend, möchte ich behaupten. Zudem wirkt es mir nicht so, als würde es den Machern an Kreativität oder Ideen mangeln.
Woran hapert es aber dann? Die Realität ist, dass wir dies von außen nicht wirklich beantworten können. Dafür fehlt es schlicht an umfassenden Einblicken in die Entwicklungs- und Geschäftsprozesse der beteiligten Unternehmen. Wir können allerdings sehr wohl eine fundierte Einschätzung abgeben. Nachdem ich mich als Fan schon viele Jahre mit dem Thema auseinandersetzen musste, bin ich für mich zum Schluss gekommen, dass Manager und Planer dafür verantwortlich gemacht werden sollten, in welchem Zustand die heutigen Spiele auf den Markt kommen. GAME FREAK will einfach gesagt zu viel.
Dass irgendwo hier Gier eine Rolle spielt, dürfte insbesondere in jüngster Zeit offensichtlich geworden sein. Während es früher noch üblich war, immer mal wieder ein Jahr auszulassen, um den nächsten großen Release vorzubereiten, liegt die letzte Pause, 2015, mittlerweile acht Jahre zurück. Das Taubsi abgeschossen hat man es schließlich im vergangenen Jahr, 2022, als man nicht nur Pokémon-Legenden: Arceus, sondern auch Pokémon Karmesin und Purpur herausbrachte. Beides innerhalb eines Jahres nach Pokémon Strahlender Diamant und Leuchtende Perle, welche einen neuen Tiefpunkt für die Serie setzten.
Wenn moderne Remakes weniger bieten als eine mehr als zehn Jahre alte Spezialedition, dann ist etwas gehörig schief gelaufen
© Nintendo / Creatures / GAME FREAK
Der Veröffentlichungsrhythmus ist offen gesagt erschreckend, scheint dem Momentum der Spielverkäufe aber keinen Abbruch zu tun. Die Nintendo Switch ist die aktuell weitverbreiteste Konsole auf dem Markt und besitzt eine enorme Zugkraft. Pokémon-Spiele gehören zu den erfolgreichsten Titeln auf dem System und konnten zuletzt mehrfach Rekorde aufstellen. Dies ist wohl vor allem dem großen Anteil an Gelegenheitsspielern und Kindern zu verdanken, welche vom Diskurs isoliert sind oder keine so kritische Sicht pflegen wie eingefleischte Fans, welche online eine laute Gruppe bilden. Ich schließe mich hierbei nicht aus.
Das spielt Geschäftsleuten natürlich in die Hände, wenn sich viele Kunden mit wenig zufriedengeben. Warum sollte man da mehr als nötig investieren? Noch scheint es keine große Wirkung zu haben, dass die Optik zwei Konsolengenerationen zurückhängt, man gestalterisch oft nur das Mindeste liefert, Spiele unsauber laufen und mit zahlreichen Bugs herauskommen. An kritischen Perspektiven wie meiner, welche man online in wachsender Anzahl findet, ist jedoch zu erkennen, dass sich das Pokémon-Franchise einen nicht unwesentlichen Image-Schaden aufbaut. Und das sollte auch dem gierigsten Manager zu denken geben.
Pokémon Karmesin und Purpur sind mit einem Metascore von 72 die am schlechtesten bewerteten Haupteditionen überhaupt. Trotz eines erfolgreichen Verkaufsstarts war die Berichterstattung von Spielabstürzen und visuellen Glitches dominiert. Dies drängte Nintendo schlussendlich dazu, sich öffentlich für den Zustand der Spiele zu entschuldigen. Ein beispielloser Akt des Unternehmens – und vielleicht auch ein Eingeständnis, dass die Dinge so nicht weitergehen können? Ich zumindest kann nur hoffen, dass in Folge der beschämenden Veröffentlichung ernsthafte Gespräche geführt und Konsequenzen gezogen wurden.
Auch wenn ich irgendwie noch Spaß an den Spielen finde, wünschte ich mir, alles wäre so liebevoll ausgearbeitet wie die Pokémon selbst
© Nintendo / Creatures / GAME FREAK
Gleichzeitig ist mir klar, dass wir nicht damit rechnen können, schon bald Änderungen an der durchgetakteten Pokémon-Maschinerie zu erleben. Zum einen wird vieles lange im Voraus produziert, um den irrsinnigen Output einhalten zu können. Zum anderen wäre es ein riesiges Unterfangen, für ausreichend Ressourcen zu sorgen, um im bisherigen Tempo tatsächlich hochqualitative Spiele zu entwickeln. Ich bezweifle, dass GAME FREAK willig oder fähig ist, in solchem Maße aufzustocken und umzudenken, auch wenn es langfristig gesehen die beste Lösung für die Qualität der Pokémon-Spiele wäre. Doch wovon träum ich nachts ...
Ein Kompromiss bleibt aber noch, mit dem sich GAME FREAK etwas Raum verschaffen und potenziell eine höhere Qualität für seine nächsten Projekte sicherstellen könnte. Wie wäre es, wenn man 2024 einfach mal auslässt? Undenkbar, ich weiß, aber hört mich an: Die Nintendo Switch befindet sich in ihrem siebten Jahr und dürfte schon bald von neuer Hardware abgelöst werden. In welcher Form dies geschehen wird und ob die nächste Konsole möglicherweise abwärtskompatibel ist, bleibt abzuwarten. Der vermeintlich bevorstehende Übergang bietet GAME FREAK allerdings die ideale Gelegenheit, eine Pause einzulegen.
Möchte man zeitnah einen Titel für die neue Hardware veröffentlichen, böte es sich an, seine Ressourcen dafür zu bündeln und nicht an einem weiteren Titel für die bestehende Nintendo Switch zu „verschwenden“. Ist das neue System abwärtskompatibel, ist die Lage gewiss eine andere, aber selbst dann würde es Nintendo helfen, einen verkaufsstarken Exklusivtitel für sein neues Gerät zu haben. Auch wenn Nintendo-Plattformen sich dank vieler einzigartiger IPs eine solide Nutzerbasis aufbauen können, zählt Pokémon dann doch zu den größten Systemsellern. Nintendo braucht Pokémon so wie Pokémon Nintendo braucht.
Aufgrund seiner vielen neuen Spielelemente wurde Pokémon-Legenden: Arceus zu meinem liebsten Ableger der letzten Jahre
© Nintendo / Creatures / GAME FREAK
Abseits davon fällt es mir aber auch schwer, einen Tipp abzugeben, was nach den DLCs zu Pokémon Karmesin und Purpur überhaupt anstehen soll. Die neunte Generation ist gerade erst frisch gestartet, da wäre es doch eigentlich seltsam, wenn abseits der Paldea-Abenteuer nichts herauskäme. Gehe ich die Möglichkeiten im Kopf durch, erscheint mir jedoch nichts als naheliegend. Remakes der fünften Generation empfinde ich als zu früh. Zumal bezweifelt werden darf, wie gelungen diese wären, wenn sie mit dem gleichen Wahn nach Originaltreue entwickelt würden wie Pokémon Strahlender Diamant und Leuchtende Perle.
Ein neuer Legenden-Ableger? Möglich und wünschenswert, nachdem der Einstand viel Mut für Neues bewies, aber ob GAME FREAK wirklich so übereifrig ist? Ich schätze, hier wird man erst einmal die Reaktion auf Pokémon-Legenden: Arceus abgewartet haben. Was bleibt noch, ein neues Let's Go? Nicht vollkommen auszuschließen, erscheint mir durch die schwindende Relevanz von Pokémon GO jedoch als abwegig. Und der nächste große Meilenstein, die zehnte Generation, würde doch super zum 30. Geburtstag im Frühjahr 2026 passen. GAME FREAK tut nur gut darin, seine Kräfte zu sammeln und 2024 auszulassen.