Wie ich in die kompetitive Mario Kart-Szene eintauchte – ein Selbstversuch Spezial
Geschrieben von Chris Holletschek am 13.10.2019
Schon seit vielen Jahren bin ich ein Anhänger des kompetitiven Computerspielens, kurz eSport. Dies soll nun zwar keine Abhandlung über den elektronischen Sport als solchen werden, allerdings fasziniert es mich seit jeher, dass Menschen selbst in dem einfachen Herumschieben von Pixeln einen Wettbewerbscharakter sahen und so damit begonnen haben, in teils erbitterten Gefechten herauszufinden, wer der Beste im Bewegen eines Joysticks ist. Dass dieses Messen mittlerweile nicht mehr nur mit Ruhm und Ehre, und auch nicht mehr nur mit Sach- und Geldpreisen belohnt wird, sondern sich auf dessen Grundlage eine mit einer rosigen Zukunft ausgestattete Industrie gebildet hat, halte ich ebenso für eine große Errungenschaft.
In der Rolle des Zuschauers lasse ich mich gerne von jedem Spiel, das kompetitiv gegeneinander gespielt werden kann, in seinen Bann ziehen. Immer dann, wenn Wettbewerbs- und Eventcharakter aufeinandertreffen, kann man mit mir rechnen. Als Spieler habe ich wiederum nie den wirklichen Ehrgeiz entwickelt, in einem der großen Titel aktiv oben mitspielen zu wollen. Oder anders gesagt: Es war vielmehr ein vergleichsweise kleines Rennspiel, das stattdessen mittlerweile seit weit über einem Jahrzehnt meine Aufmerksamkeit fordert: Trackmania. Durch Trackmania habe ich den eSport kennengelernt. Ich habe gelernt, was es bedeutet zu trainieren und sich auf einen bestimmten Moment vorzubereiten. Ich habe gelernt, wie ein Team voller anonymer Menschen zur Herzenssache werden kann und wie aus Fremden Freunde werden. Und ich habe gelernt, wie sich Siege anfühlen und wie mit Niederlagen umzugehen ist.
Daneben gibt es aber auch noch das, weswegen wir alle letztendlich hier sind: Nintendo. Ich habe allerdings den Eindruck, dass der japanische Spieleriese und eSport seit jeher nur mäßig zusammenpassen. Klar, da gibt es zwar die berühmt-berüchtigte Smash-Szene, aus der einige der legendärsten Momente des gesamten eSport-Kosmos hervorgingen, klammert man diese jedoch aus – was angesichts meines Unvermögens, diese Reihe ordentlich zu spielen, durchaus sinnvoll ist – wird es bereits ziemlich dünn. Auf der Nintendo Switch gab es mit Titeln wie Arms, Pokémon Tekken oder auch Mario Tennis durchaus Versuche, mit einem kompetitiven Gedanken ausgestattete Spiele an den Mann oder die Frau zu bringen, sonderlich lange währte der Erfolg in dieser Hinsicht aber nie. Eine weitere Erwähnung sollte an dieser Stelle aber sicherlich noch Splatoon finden, dessen zweiter Teil sich einer durchaus ansehnlichen Community erfreuen kann und neben Super Smash Bros. Ultimate derzeit zum Vorzeigetitel gehört, wenn Nintendo auf Events mit Turnieren die Zuschauermasse anziehen will. Leider bin ich aber auch mit diesem Gameplaykonzept nie so richtig warm geworden, weshalb auch Splatoon für mich wegfällt. Gäbe es da bloß ein Spiel, das von Nintendo stammt und dem Rennspiel-Genre zugeordnet werden könnte …
Meine Online-Lobby-Erfahrung bewies mir, dass ich auch bei den besseren Fahrern mithalten kann ... dachte ich. © Nintendo
Spätestens jetzt sollte klar sein, worauf ich in diesem Spezial zu sprechen kommen möchte (oder ihr habt die Überschrift des Artikels bis hierhin nicht schon vergessen): Mario Kart. Der Racer ist gewiss kein neues Pflaster für mich. Seit dem 2001 erschienenen Mario Kart Super Circuit habe ich – mit Ausnahme von Mario Kart 8 für die Wii U – jeden Ableger der Reihe besessen. Nachdem ich den GBA-Teil ausgiebig mit und gegen meinen Bruder gespielt habe – und nach einem kürzeren Double Dash!!-Intermezzo – eröffnete sich mir mit Mario Kart DS letztlich die verheißungsvolle Welt des Online-Spielens. Dort und spätestens mit Mario Kart Wii gelang ich dann zu der Erkenntnis, dass ich doch ganz gut in dem bin, was ich auf den bunten Rennstrecken so fabriziere. Daher rührte es bereits zu diesem Zeitpunkt nicht lange, bis sich der Wunsch nach ernsthafterem Wettbewerb als in den zufällig zusammengeworfenen Online-Lobbys entwickelte. Da die Spielereihe Nintendo-typisch allerdings über keine Möglichkeit zur unkomplizierten Kommunikation mit anderen Fahrern verfügt, versuchte ich damals mithilfe von Google an weitere Informationen zu gelangen – vergebens. In diesem Punkt wird der Kultstatus von Mario Kart dem Ganzen ein wenig zum Verhängnis. Sucht man nämlich naiv nach Mario Kart-Turnieren findet man quasi alles – von lokalen Hinterhofcups über in diversen Online-Communitys oder wahlweise geschlossenen Facebookgruppen organisierten Funturnieren hin zur vor allem in Studentenkneipen beliebten Abwandlung „Don’t drink and drive“ – nur keinen Zugang zur kompetitiven Szene.
So gab ich die Suche auch recht schnell wieder auf und fand mich letztlich mit meinem Schicksal ab, mittlerweile in Mario Kart 7 und später dann auch in Mario Kart 8 Deluxe ein Dasein als gewöhnlicher Spieler zu fristen. Doch dann, an einem warmen Sommertag gegen Ende Juli dieses Jahres, war er plötzlich da, der initiale Moment, der den Stein ins Rollen bringt: Ein Kommentar von @Micha-Teddy93. Unterhalb einer News, die die Ankündigung von Garfield Kart Furious Racing enthält, entstand eine Diskussion darüber, ob es nach Team Sonic Racing, Crash Team Racing und eben Mario Kart noch eines weiteren Funracers bedürfe. Unter anderem kam man auch auf den für die genannten Titel benötigten Skill zu sprechen. Besagter Micha-Teddy93 entpuppte sich daraufhin als langjähriger kompetitiver Mario Kart-Spieler und nannte das Schlüsselwort MKU. Die Abkürzung steht für Mario Kart Universal, der wohl größten Team-Turnierreihe, die die kompetitive Szene zu bieten hat. Organisiert wird der als Liga durchgeführte Wettbewerb auf Mario Kart Central, was wiederum die Anlaufstelle schlechthin für Mario Kart-Teams und Solospieler aus aller Welt darstellt. Somit war es der 31. Juli 2019, an dem mein eSport-Herz wieder entfacht wurde und eine Reise in eine neue Szene ihren Anfang nahm.
Die Registry von Mario Kart Central ist ein wahrgewordener Traum aller Statistik- und Datenfetischisten.
MKCentral kann im Grunde als eine große Datenbank angesehen werden. Sie beinhaltet nicht nur Ankündigungen und Informationen zu laufenden und neuen Turnieren, sondern verfügt auch über eine sogenannte Registry, in der sich mit wenigen Klicks zahlreiche Informationen zu Teams und Spielern finden lassen. Demnach war dies auch meine erste Station, um mir einen groben Überblick über die Lage zu verschaffen. Dabei fiel schnell auf, dass die kompetitive Mario Kart-Community nicht nur französisch und spanisch geprägt, sondern auch in Nord- und vor allem in Latein- bis Südamerika beheimatet ist. Aber auch der deutschsprachige Raum kommt nicht zu kurz, was mir die Suche durchaus erleichtert hat. So sprangen mir beispielsweise die „Pirates of Duisburg“ aufgrund meiner Herkunft aus dem Ruhrpott sofort ins Auge. Bei näherer Recherche stellte sich allerdings heraus, dass es sich dabei um ein Unterteam des auf Weltklasse-Niveau fahrenden Clans „Blizzard“ handelt. Und auch wenn es sich bei den Duisburger Piraten nur um ein zweites Team handelt, war für mich schnell ersichtlich, dass sie hoffnungslos weit entfernt von meinem Können liegen würden. Die weitere Suche währte aber nicht lange, da traf ich auch schon auf den Namen „eXodus“. Hier schien vieles zu passen: Ein rein deutschsprachiges Team, das in früheren Ligen noch unter einem anderen Namen unterwegs war, was die Vermutung nahelegte, dass womöglich ein Neustart oder zumindest eine Neuorientierung erfolgte. Der Clan verfügte darüber hinaus auch über ein zweites Team, dessen Gründung gerade einmal auf Anfang Juli 2019 datierte. Alles schien wie für mich gemacht, weshalb meine Nachricht an einen der als Leader eingetragenen Spieler nicht lang auf sich warten ließ.
Apropos Nachricht, während MKCentral zwar durchaus ein Forum bietet, in welchem theoretisch miteinander kommuniziert werden könnte, wird dieses aber vorrangig für die Ankündigung von Events sowie die Bekanntgabe von Matchergebnissen genutzt – es ist und bleibt eben eine große Datenbank. Möchtet ihr euch dagegen mit Mario Kart-Begeisterten oder potenziell künftigen Teamkameraden austauschen, müsst ihr euch zwingend mit der populären Kommunikationsplattform Discord auseinandersetzen. Dort finden sich nicht nur der recht aktive Mario Kart Central- und weitere Community-Server, auch die Teamkommunikation läuft in der Regel über die Text- und Sprachplattform. So dauerte es nicht lange und ich fand mich auf dem Discord-Server von eXodus wieder.
Im Vorfeld hatte ich zwar durchaus deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ein absoluter Neuling auf diesem kompetitiven Gebiet bin, nichtsdestotrotz wurde ich, ganz zu meiner Verwunderung, direkt sehr freundlich aufgenommen und unterstützt. Das überraschte mich deshalb, weil ich bezüglich des Umgangstons in der Mario Kart-Community zu Beginn meiner Recherche noch anderslautende Dinge gelesen habe. So wurde MKCentral beispielsweise erst im vergangenen Jahr gelauncht. Im dazugehörigen Willkommensthread nahm der kritische Zustand der Community einen nicht unwesentlichen Teil ein. Es wurde an die Mitglieder appelliert, diesen Neustart (alle bisherigen Spielersperren wurden aufgehoben) als eine Möglichkeit anzusehen, in Zukunft vieles besser zu machen. Das verunsicherte mich ein wenig, denn da ich mit der Trackmania-Community nur eine der wohl freundlichsten Spielergemeinschaften kannte, konnte ich nicht abschätzen, wie ich mit einem potenziell toxischen Umfeld auf Dauer klarkommen würde. Diese Zweifel schienen zunächst jedoch unbegründet, denn es erwartete mich wie erwähnt ein Neulingen gegenüber sehr aufgeschlossenes Team.
In einem sogenannten „Mogi“ kann auch schon einmal vom üblichen Format abgesehen werden. Hier das Beispielergebnis eines Vier-gegen-vier-gegen-vier.
Ich lernte schnell, dass die im mariokart’schen Volksmund „CW“ (Clanwar) genannten Teamwettkämpfe zu Trainingszwecken beinahe täglich organisiert werden. Diese werden so wie die richtigen Turnierbegegnungen üblicherweise im Sechs-gegen-sechs-Format abgehalten. Dabei wird von dem spieleigenen Team-Modus, der die Teilnehmer in ein rotes sowie ein blaues Team teilt, nicht gebraucht gemacht. Das liegt unter anderem an dem Blitz-Item, das in diesem Fall nur das gegnerische Team schrumpfen und damit einfach einen zu großen Vorteil bringen würde. Stattdessen wird also im Alle-gegen-alle-Modus gefahren, was so einige taktische Finessen mit sich bringt. Der angesprochene Blitz trifft beispielsweise ausnahmslos alle Fahrer, was ihn weiterhin zu einem sehr mächtigen Item macht, allerdings nur eingesetzt werden sollte, wenn das eigene Team nicht die vorderen Plätze belegt. Gleiches gilt für den blauen Schildkrötenpanzer, an dessen Abwehr nun – sollte er vom gegnerischen Team kommen – nicht mehr nur der Erstplatzierte, sondern auch alle anderen Mitfahrer interessiert sind, um eben den vordersten Mann zu schützen. Darüber hinaus ist es bei dieser Spielweise von hoher Wichtigkeit, während eines Rennens zu jedem Zeitpunkt darüber in Kenntnis zu sein, wer da derzeit genau vor und hinter einem fährt. Denn danach richtet sich nicht nur die Entscheidung, ob man zum Beispiel den roten Schildkrötenpanzer nun wirklich abfeuern möchte, sondern generell der Einsatz von Items. Drei grüne Panzer können da zu einem nervigen Unterfangen werden, denn diese blindlings in eine Richtung zu werfen, kann für das eigene Team schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.
Man wird es nun schon vermuten können, aber während eines Matches ebenfalls unerlässlich: Absprachen. Diese erfolgen üblicherweise – natürlich – über den Voice-Chat auf dem Discord-Server. Dort wird regelmäßig über die eigene Position informiert oder es werden bestimmte Items wie Blitz, Panzer oder auch der Geist angesagt. Darüber hinaus geht es bei einem Teamrennen nicht mehr nur darum, stets die Ideallinie zu fahren, um möglichst weit vorne zu landen, auch das gezielte Zurückbleiben am Start, das sogenannte „bagging“, kann zielführend sein. Damit sichert man sich am ehesten sehr starke Items, die im Verlauf oder am Ende den entscheidenden Unterschied machen können. Es gibt gewiss noch die ein oder andere Finesse mehr, beispielsweise wird die Wahl der Strecken von den Positionen des vorherigen Rennens abhängig gemacht, doch wollen wir die schnöde Theorie erst einmal ruhen lassen.
In meinem ersten Match kam zwar nicht nur ich, sondern das gesamte Team ordentlich unter die Räder, trotzdem war es sehr lehrreich. © Nintendo
Es verging nach meiner Aufnahme ins Team nicht viel Zeit, bis ich im Line-up für meinen ersten CW stand. Für jemanden, der bis dahin ausschließlich solo unterwegs war, stand folgerichtig die komplette Überforderung ins Haus. Aber ich war mir meiner Defizite durchaus bewusst, sodass ich stets entspannt und lernwillig an das Match herantrat. Man könnte behaupten, dass sich gegen das etablierte spanische Team „Madarina de Schrödinger“ eine spannende Partie entwickelte, doch im Prinzip nahm das Rennen jene Form an, die ich auch in den meisten Begegnungen danach beobachten konnte: Alle zwölf Fahrer sind mit wenigen Ausnahmen bei einer konstant hohen Geschwindigkeit stets eng beieinander, was durchaus in Stress ausarten kann, da man nicht nur sich selbst auf Kurs halten und sich vor drohenden Gefahren schützen muss, sondern auch auf auch Ansagen des eigenen Teams zu hören und die Fahrer direkt vor und hinter einem stets im Auge zu behalten sind. Für mich sah und sieht es immer so aus, als könne ich durchaus mithalten, allerdings war recht schnell ein Muster ersichtlich: Am Ende fehlen mir zwar meist nur sehr wenige Meter, aber die dadurch bedingte, durchgehende Platzierung im hinteren Mittelfeld bedeutet auf der Abschlusstabelle keine sonderlich gute Endplatzierung – Ausnahmen bestätigen die Regel. Das entmutigte mich allerdings nicht, ganz im Gegenteil: Ich erkannte, dass ich hier noch viel Lernen kann, was mich weiter anspornte und meine Motivation, aktiv Mario Kart zu spielen, in die Höhe trieb.
Nichtsdestotrotz gibt es eine Komponente, mit der ich durchaus hätte rechnen können, die mir aber trotzdem etwas zum Verhängnis wurde: Zeit. Die Trainingsmatches finden nicht ohne Grund so gut wie allabendlich statt. Durch die Regelmäßigkeit verbessert sich optimalerweise die Absprache und das generelle Zusammenspiel, sodass man letztlich nicht mehr nur sechs zusammengeworfene Solofahrer, sondern ein eingespieltes Team hat. Das ist zwar ein nobles und sinnvolles Ziel, diese Regelmäßigkeit kann ich durch diverse Verpflichtungen aber nicht durchgehend bieten. So hat sich nach einer gewissen Zeit herauskristallisiert, dass ich mich zwar gerne gelegentlich an dem ein oder anderen CW beteilige – gerade wenn es gegen den Lokalrivalen „Alolan Guardians“ geht, ist stets eine besondere Brisanz geboten – aber für ernsthaftere Beteiligungen am Teamgeschehen reicht es nach rund zwei Monaten im kompetitiven Geschehen noch nicht. Demnach stehe ich für die derzeit laufende, achte Ausgabe des eingangs erwähnten MKU-Turniers zwar im offiziellen Aufgebot von „eXodus 2“, einen Einsatz werde ich aber aller Voraussicht nach nicht verbuchen können. Deshalb heißt es für mich für die nahe Zukunft: Dem Team die Daumen drücken und im Zeitrennen-Modus an meinen Rennlinien feilen. Bis dahin verbleibe ich mit einem Dank an Andrew, Käfin und allen anderen eXodus-Mitgliedern für die fortwährende Hilfsbereitschaft sowie Geduld und wer weiß, vielleicht werde ich dem Team schon zur MKU 9 mit guten Leistungen etwas zurückgeben können.