Comic-Rezension: Harleen Band 1
Geschrieben von Dennis Gröschke am 08.02.2020
In den letzten Jahrzehnten wurden bei DC Comics schon so einiges an Charakteren erschaffen. Diese fanden durch findige Autoren sowie fantastische Zeichner ihren Weg in die Comic-Hefte und Bücher des Verlages. So auch geschehen bei der Figur Harley Quinn, die seit nunmehr fast 3 Jahrzehnten nicht mehr als dem DC-Kosmos wegzudenken ist. Doch bei Harley gestaltete sich der Ursprung ein wenig anders als in der üblichen Vorgehensweise. Sie tauchte erstmals in der ersten Staffel von Batman: The Animated Series in der Folge „Das große Zittern“ (Joker´s Favor) auf und war dort als Sidekick vom Joker zu sehen. Erst später wurde sie, auch aufgrund der positiven Resonanz, in die Comic-Welt aufgenommen und bekam in Harley Quinn: Mad Love eine Ursprungsgeschichte in Comic-Form spendiert. Seitdem wirbelt Harley durch die Geschichten von Batman, Joker und den Birds of Prey, bekam aber im Lauf der Zeit auch Soloserien spendiert.
Nun kommt im Rahmen der Black Label-Reihe von DC Comics eine Neuinterpretation von Harleys Ursprungsgeschichte in die Läden, von der nun der erste Band erschienen ist. Unter dem Black Label erschaffen Top-Künstler faszinierende Werke in der Tradition von „Batman: The Killing Joke“. Also eigenständige Comics für Kenner, Neueinsteiger und Gelegenheitsleser. Hier ist in der Regel kein Vorwissen vonnöten und die Geschichten sind so angelegt, dass sie mit der gegenwärtigen Kontinuität von DC Comics oder den entsprechenden Figuren nichts zu tun haben. Man braucht also im Fall von Batman keine 80 Jahre Comic-Historie studiert haben oder wissen, was in den aktuell laufenden Comics von Batman gerade der Stand der Dinge ist. Das hat den Vorteil, dass die entsprechenden Autoren und Zeichner ihrer Fantasie freien Lauf lassen können und in ihrer Kreativität nicht durch einen entsprechenden Ballast beschränkt werden, den ein Charakter mit sich bringt.
Nachdem bisher in der Black-Label-Reihe nur Batman-Titel auf Deutsch erschienen sind, nimmt sich nun Stjepan Šejić (Sonnenstein, Aquaman) der eingangs erwähnten Harley Quinn an und erzählt ihre Ursprungsgeschichte mit einem neuen Ansatz. Dazu steht ihm wie bereits bei Batman: Damned ein übergroßes Albumformat mit 32 x 25 cm Ausmaßen zur Verfügung, was seine Zeichnungen fantastisch zur Geltung bringt. Aufgeteilt ist die Geschichte in 3 Alben, wovon Band 1 hier nun besprochen werden soll.
Dr. Harleen Quinzel wird von Albträumen geplagt. Immer wieder träumt sie, wie sie auf einer gewundenen Straße durch eine verzerrte Version von Gotham City geht. Immer wieder begegnet sie dort einem monströsen Joker und wacht schließlich auf. Dieses Mal jedoch fühlt sie sich als Ärztin zum Joker hingezogen, er lächelt sie an und sie lachen gemeinsam, bevor der Traum aufhört. Doch dies soll nur der Beginn eines teuflischen Tanzes darstellen.
Kurz darauf erleben wir Harleen, wie sie auf einer Informationstagung im kriminalpsychologischen Studienzentrum einen Vortrag hält. Sie beschäftigt sich darin mit dem Thema der dauerhaften Degeneration von Empathie und wie sich dieser Zustand auf das soziale Verhalten auswirken kann. Aus dem Kriegsgebiet zurückgekehrte Soldaten zeigen in dieser Hinsicht Symptome auf, aber auch in Gotham City finden sich diese Zustände bei den dort ansässigen Schwerverbrechern. Die Schwierigkeit stellt dar, diese Symptome frühzeitig zu identifizieren und sie in einer umfassenden Studie an Probanden aufzuzeigen. Aus diesem Grund schlägt Dr. Quinzel eine Vergleichsstudie der Insassen von Arkham Asylum (psychiatrische Anstalt) und dem Gefängnis von Gotham City (Blackgate) vor. Die Resonanz auf diesen Vorschlag scheint auf dem Nullpunkt zu sein, zumindest bildet sich das Harleen aufgrund der Reaktion ihres Publikums ein.
Am Abend trifft sie sich mit einer Freundin in einer Bar und gibt sich ihrem Dilemma vollständig hin. 30 Jahre alt, Single und ohne beruflichen Erfolg denkt Harleen sich in eine Krise. Auf dem Nachhauseweg begegnet sie dabei dem Joker und seinen Mitstreitern, der gerade dabei ist mit Sprengstoff eine Waffenlieferung zu seinen Gunsten zu gestalten. Harleen ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Während der Joker eine Waffe auf ihren Kopf richtet, lernen wir Leser einige Hintergründe aus Harleens Leben kennen, die im Angesicht der Gefahr in ihrem Kopf ablaufen. Diese Szene nutzt Stjepan Šejićsehr schön aus und präsentiert uns diese Flashbacks auf einer Doppelseite des Albums. Dort lernen wir Leser, dass sich Harleen ihre Position im Studienzentrum nicht immer nur erarbeitet hat, sondern auch die eine oder andere Äffare mit älteren Männern ein Grund ist, weswegen sie sich dort halten kann.
Es folgen actionreich gestaltete Seiten, in denen Batman den Joker Dingfest macht, Harleen ist dabei Teil einer größeren Gruppe, die sich der Faszination dieser beiden gewalttätigen Männer nicht entziehen kann. Erneut punktet Stjepan Šejić hier mit seiner eindringlichen digitalen Zeichenkunst und wenigen Worten. Allein die Gedanken von Harleen untermalen die Szenerie, die zwischendrin von nebelgetränkten Auszügen des Kampfes zwischen dem Joker und Batman gekennzeichnet ist.
Tags darauf beginnen sich die Dinge im kriminalpsychologischen Studienzentrum für Harleen zu ändern. Entgegen ihrer Befürchtung ist ihr Vortrag doch auf Interesse gestoßen. Ein gewisser Lucius Fox, Chefberater der Wayne-Stiftung, macht sich für ihren Vorschlag stark und setzt einige Hebel in Bewegung, damit Dr. Harleen Quinzel ihre Vergleichsstudie umsetzen kann. Auch wenn ihr Erfolg im Studienzentrum nicht nur freundliche Reaktionen hervorruft, startet sie ihre Studie im Arkham Asylum und nimmt sich dort in der Folge die ersten Schwerverbrecher vor. Sie zögert den Kontakt und das Gespräch mit dem Joker soweit wie möglich heraus, der ebenfalls in Arkham untergebracht ist, nachdem Batman ihn (mal wieder) dort eingeliefert hat. Doch auch wenn sich Dr. Harleen Quinzel mit Videos und weiteren Berichten über den Joker vorbereitet, sie kommt nicht umhin den Mann selbst zu interviewen, der sich nach und nach wieder in ihre Träume schleicht und sie dort zunehmend beunruhigt. Der erste Band schließt mit dem ersten Gespräch der beiden in Arkham Asylum und obwohl der Joker hinter einer Scheibe steckt, kann man sich als Leser nicht dem Eindruck erwehren, dass hier zwei Menschen aufeinandertreffen, die noch eine ganze Zeit miteinander verbringen werden.
Optisch sind die großformatigen Bücher aus der Black-Label-Reihe ein Hingucker. © DC Comics, Panini Comics
Stjepan Šejić charakterisiert Harleen als unsichere und an sich selbst zweifelnde Persönlichkeit. Sicher hat sie einen universitären Abschluss, dennoch befreit sie das nicht vor Unsicherheiten auf ihrem Lebensweg. Von der ersten Seite an verfolgt sie der Joker, zunächst in ihren Träumen (Nightmare on Elm Street lässt grüßen), zwischendrin folgt ihre zufällige Begegnung mit ihm bei der Waffenlieferung und zum Abschluss dann als Proband ihrer Vergleichsstudie. Ihre Karriere scheint nicht verdient zu sein, weswegen sie sich schnell verunsichern lässt. Im Gespräch mit ihrer Freundin kommt auch heraus, dass sie ihre Ideale vor eine mögliche Monetarisierung ihrer Forschung setzt. An diesen Punkten setzt Šejić seine „Harley Quinn“ an, sie ist noch nicht die vorlaute und ergebene Marionette des Jokers, wie sie auch gerne Mal in den Comics dargestellt wird. Sie ist aber auch noch lange nicht die taffe Harlekin, die sich vom Joker losgelöst hat und mit den Birds of Prey loszieht, um Gotham unsicher zu machen. Ich bin gespannt, wo die Reise innerhalb dieser Ursprungsgeschichte noch hinführen wird.
Optisch ist dieser Band 1 von Harleen eine Wucht. Šejić schöpft hier seine kreativen Möglichkeiten vollends aus und gestaltet die Einführung in die Welt von Harleen mit gedeckten Farben und lange nicht so bunt, wie es beispielsweise andere Künstler bei der Figur Harley Quinn getan haben. Dort war die Figur aber auch bereits etabliert. Hier bleibt in den nächsten beiden Büchern also noch Spielraum, um die Entwicklung von Harleen zu Harley visuell passend zu untermalen. Mir gefällt, dass sich Šejić zwischendrin einfach auch den Platz nimmt, um komplette Doppelseiten des großformatigen Buches für wichtige Szenen herauszustellen. Ganz große Klasse und unbedingte Leseempfehlung!
Harleen Band 1 ist erschienen bei Panini Comics – ISBN: 978 374 161 741 6, Hardcover, 68 Seiten, 14,99 €
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Berichtsbild: © DC Comics, Panini Comics