Die Pokémon-Hauptreihe erobert erstmals den Handheld- UND Fernsehbildschirm
Nun ist es also passiert: Die ersten Pokémon-Spiele sind auf einer Heimkonsole gelandet. Wie konnte das nur passieren, obwohl sich das Studio GAME FREAK so lange geweigert hat? Möglich macht das Ganze das grandiose Konzept der Nintendo Switch. Die Mischung aus Handheld und Heimkonsole ermöglicht es erstmals, alle Fans zufriedenzustellen. Die ersten Spiele, die von dem neuen Konzept profitieren, sind die Remakes der ersten Ableger der Reihe, Pokémon: Let's Go, Pikachu! und Pokémon: Let's Go, Evoli! In diesem Test schauen wir uns diese Spiele nun genauer an. Können sie den hohen Ansprüchen gerecht werden?
Kanto, eine Region, die erstmals 1996 das Licht der Welt erblickt hat, ist nun schon zum fünften Mal Schauplatz eines Pokémon-Rollenspiels. Zum dritten Mal startet ihr euer Abenteuer in der kleinen Stadt Alabastia, dieses Mal jedoch nicht als Rot, sondern als komplett neuer Charakter. Ansonsten ähnelt das Ganze dem Ablauf der Sonderedition Pokémon Gelb. Auf der Route 1 begegnet euch ein Pikachu (in Let’s Go Evoli! ein Evoli), das ihr dieses Mal jedoch selbst fangt. Euer erster Partner ist jedoch ein widerspenstiger Freund, der nicht gerne im Pokéball verbleibt, sondern lieber auf euch selbst sitzt, um die Welt zu sehen. Und so reist ihr zusammen durch die Welt, besiegt die acht Arenaleiter, besonders starke Pokémon-Trainer, zerstört das kriminelle Syndikat Team Rocket und erobert die Pokémon-Liga. Wer sich mit den Spielen der ersten Generation beschäftigt hat, wird das alles genauso kennen. Wer jedoch noch nie ein Pokémon-Spiel gespielt hat, dem werde ich in den nächsten Absätzen das Grundkonzept erklären.
Kommen wir zuerst zu den Pokémon-Kämpfen. Das allgemeine Konzept will ich nur kurz anschneiden. Pokémon können bis zu zwei von insgesamt 18 Typen haben, die alle gegenüber anderen Typen Stärken und Schwächen haben. Pokémon haben unterschiedliche Level und Attacken, die euch helfen sollen, die gegnerischen Pokémon von Trainern, anderen Personen, die in Kanto leben, zu besiegen. Die Kämpfe selbst laufen rundenbasiert ab. Wer zuerst angreift, bestimmt der Initativwert. Umso höher er ist, desto höher ist die Priorität im Kampf. Es gibt auch andere Werte wie den (Spezial-) Angriff, die (Spezial-) Verteidigung und die Kraftpunkte. Innerhalb der Kämpfe könnt ihr Items wie Tränke oder Beleber einsetzen, um eure geschwächten Pokémon wieder auf Vordermann zu bringen. Insgesamt könnt ihr sechs Pokémon in eurem Team haben, die jeweils vier Attacken beherrschen. Im Gegensatz zu den Vorgängern können Taschenmonster jedoch keine Items tragen und haben keine Fähigkeiten. Das sind wohl zwei der Hauptgründe, warum die Spiele für die kompetitive Szene uninteressant sind.
Doch zurück zu dem eigentlichen Abenteuer. Ihr selbst reist durch Kanto, besucht Routen, Höhlen und Städte, trefft Trainer und andere NPCs, die euch Tipps oder Items geben. In allen großen Städten befinden sich Arenen. Um sie zu betreten, müsst ihr gewisse Voraussetzungen erfüllen. So braucht ihr zum Beispiel Pokémon von bestimmten Typen oder aber Taschenmonster, die ein gewisses Level erreicht haben. Für keine der Voraussetzungen musste ich jedoch je grinden. Sie könnten also auch genauso gut nicht existieren. In der Arena trefft ihr auf weitere Trainer und einen Arenaleiter, der sich auf einen bestimmten Typ spezialisiert hat. Besiegt ihr ihn, erhaltet ihr einen Orden. Mit acht Orden könnt ihr die Pokémon-Liga herausfordern. Besiegt ihr dort alle Gegner, werdet ihr zum Pokémon-Champ. Ab und an trefft ihr auf Team Rocket. Deren Ziel ist es, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Das könnt ihr natürlich nicht zulassen und schaltet im Laufe des Abenteuers als Kind die Mafia aus. Nicht schlecht. Ihr selbst habt auch einen freundlichen Rivalen, der euch ab und an herausfordert und etwas stärker als die regulären Trainer ist. Es gibt zudem in jedem Gebiet besonders starke Trainer, die euch Geschenke geben, wenn ihr sie besiegt. Meistens sind das Technische Maschinen, mit denen ihr euren Pokémon neue Attacken beibringen könnt.
Während sich die klassischen Trainerkämpfe in Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli! kaum verändert haben, wurde das Konzept zum Fangen von wilden Pokémon komplett über den Haufen geworfen. Statt Pokémon zufällig im hohen Gras anzutreffen, sind sie nun in der Oberwelt zu sehen. Eine wirklich grandiose Änderung, die ich nicht mehr missen will. Statt sie in einem Kampf zu schwächen, wurde das Konzept der App Pokémon GO übernommen. So werft ihr schlicht und ergreifend Pokébälle auf eure zukünftigen Partner. Sie können sich auf dem Spielfeld frei bewegen, ihr müsst also passend zielen. Um sie herum taucht außerdem auch ein Ring auf, der sich verkleinert und dann wieder schlagartig groß wird. Werft ihr den Ball zur passenden Zeit erreicht ihr großartige Würfe, die die Fangchance nicht nur erhöhen, sondern euch auch mehr Erfahrungspunkte bescheren. Sollte euch das immer noch nicht reichen, habt ihr zudem noch Beeren, die ebenfalls die Fangchance erhöhen. Insgesamt gibt es fünf verschiedene Bälle. Pokébälle und Premierbälle sind die schwächsten Taschenmonster-Käfige, danach kommen die Superbälle und daraufhin die Hyperbälle. Regulär im Spiel gibt es noch einen Meisterball, der garantiert das Pokémon fängt. Dieser empfiehlt sich bei den Legendären Pokémon. Apropos Legendäre Pokémon. Gegen diese besonders starken Pokémon müsst ihr erst kämpfen und sie besiegen, um sie zu fangen. Im Gegensatz zu normalen Pokémon fliehen sie danach jedoch nicht, sollte der Fangversuch zu oft nicht klappen. Die neue Fangmechanik ist ohne Frage der größte Kritikpunkt für viele klassische Pokémon-Fans. Das liegt auch daran, dass ihr entweder den Joy-Con aktiv bewegen müsst oder im Handheld-Modus eure Nintendo Switch bewegen müsst, um zu zielen. Glücklicherweise lässt sich im portablen Modus auch der linke Analog-Stick nutzen, um die Kamera anzupassen. Über den Touchscreen könnt ihr keine Bälle werfen, was sehr merkwürdig ist, da die Mechanik ja eigentlich auf Pokémon GO basiert.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wo bekommt ihr die ganzen Pokébälle her? Ganz einfach: Trainer geben euch neben Geld auch Bälle. Zudem wurden die Kosten in den Pokémon-Märkten drastisch reduziert. Pokébälle kosten 100, Superbälle 300 und Hyperbälle 500 PokéDollar. Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli! versucht euch zudem dazu zu motivieren, möglichst viele Pokémon zu fangen. Das liegt auch daran, dass ihr gerade durch das Fangen von Pokémon viele Erfahrungspunkte für eure sechs Team-Pokémon erhaltet. Zwar geben auch Trainerkämpfe Punkte, die sind aber deutlich geringer. Umso häufiger ihr ein Pokémon der gleichen Art direkt hintereinander fangt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es besonders gute Werte oder sogar eine besondere Färbung (Schillernde Pokémon) hat. Manchmal gibt es auch besonders große oder kleine Versionen von Taschenmonstern. Neben weiteren Bonuserfahrungspunkten haben sie jedoch keinen visuellen Unterschied und sind auch nicht im Kampf besser oder schlechter. Wollt ihr einen „Hardmode“, dann fangt möglichst wenige Pokémon. Ihr könnt Pokémon auch löschen (zum Professor schicken) und erhaltet dafür Bonbons, die die Werte eurer Taschenmonster erhöhen.
Die Grundmechaniken haben wir nun abgearbeitet. Kommen wir nun zu weiteren Neuerungen in Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli! Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass euch jedes der 153 Pokémon in der Oberwelt begleiten kann. Noch besser: Auf großen Pokémon könnt ihr reiten. Da es kein Fahrrad mehr gibt, ist dies die einzige Möglichkeit sich schneller fortzubewegen. Die nervige Mechanik der Versteckten Maschinen wurde ja bereits in Pokémon Sonne und Mond abgeschafft. Nun sind es Pikachu oder Evoli, die die Möglichkeit haben, Fähigkeiten wie Zerschneider und Surfer zu ersetzen. Es handelt sich dabei um passive Fähigkeiten, die keine Attacken-Slots belegen. Anders ist das Ganze bei neuen Attacken, die exklusiv von euren Partner-Pokémon erlernt werden können. Diese haben oftmals andere Typen und machen die Pokémon so universaler. Dank dieser Mechanik sind die Partner deutlich stärker, auch wenn sie sich nicht weiterentwickeln können. Pokémon-Boxen in Pokémon Centern gibt es nicht mehr. Stattdessen könnt ihr von überall auf der Welt eure Pokémon austauschen.
Wer braucht schon Versteckte Maschinen, wenn Pikachu bzw. Evoli alles beherrschen, was ein Abenteurer braucht?
Partner-Pokémon haben jedoch noch weitere Stärken. So könnt ihr sie beispielsweise streicheln, ihnen Kleidung geben, ihre „Frisur“ ändern oder sie füttern, um die Zuneigung zu erhöhen. Ist die Zuneigung hoch, können sie beispielsweise tödlichen Attacken ausweichen oder eine Statusveränderung wie Vergiftung von selbst aufheben. Das Streicheln ist übrigens die einzige Touchscreen-Funktion im Handheld-Modus. Die gesamte Inszenierung ist so süß, dass sie beinahe Karies verursacht. Das gilt auch für die diversen Zwischensequenzen, in denen euer Partner mit der Welt von Kanto interagiert. Pikachu und Evoli sind jedoch die einzigen Charaktere, die sprechen können. Ein Fun-Fact: Die Schweife eurer Pokémon wackeln, wenn ihr versteckte Items auf dem Boden findet. So etwas lässt sich schnell übersehen, ist aber eine tolle Neuerung. Die Partner haben zudem auch Funktionen, die aktiviert werden, wenn ihr den Joy-Con schüttelt. Zum Beispiel können so Werte im Kampf erhöht werden. Diese Funktion wurde im Handheld-Modus ersatzlos gestrichen.
Eine der größten Funktionen ist ohne Frage die Konnektivität zur Smart-Device-App Pokémon GO. So könnt ihr Pokémon von GO auf Let’s Go übertragen (nicht anders herum) und mit ihnen im Pokémon GO-Park in Fuchsania City spielen oder sie auch fangen. Da es auch dieses Mal wieder versionsexklusive Pokémon gibt, könnt ihr diese Taschenmonster so ebenfalls erhalten. Auch die Alola-Formen der Kanto-Pokémon lassen sich so übertragen, ihr könnt sie aber auch innerhalb der Spiele durch Tauschvorgänge erhalten. Übertragt ihr ein Pokémon von Pokémon GO auf die Nintendo Switch, erhaltet ihr in der App eine geheimnisvolle Box, die sich alle sieben Tage für eine halbe Stunden öffnen lässt, mit der ihr das neue Pokémon Meltan fangen könnt. Dieses kann sich auch entwickeln, allerdings ist der Aufwand extrem hoch und benötigt viele Wochen. Innerhalb von Pokémon: Let’s Go lässt sich Meltan nicht entwickeln, was ein großer Kritikpunkt ist. Dazu braucht ihr ein teures Smartphone, um das Pokémon überhaupt erst zu erhalten, was die Zielgruppe von jungen Kindern überhaupt nicht anspricht. Selbst wenn man Hilfe von seinen Eltern erhält, will man diese sicherlich nicht ständig nerven, um das weiterentwickelte Melmetal zu erhalten.
Zeitgleich mit Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli! ist auch der Pokéball Plus erschienen, ein Pokéball, der zudem auch als Controller verwendet werden kann. Er beinhaltet zudem das Mysteriöse Pokémon Mew, das ihr nur so erhalten könnt. Wirklich angenehm lassen sich die Spiele nicht damit spielen, die HD-Vibrationsfunktion ist dafür umso besser. Verbindet ihr das Spiel zudem mit Pokémon GO, könnt ihr das zum Beispiel dazu nutzen, um automatisch PokéStops zu aktivieren. So gesehen ist der Pokéball Plus für Pokémon GO-Fans fast noch interessanter.
In jedem großen Gebiet erwarten euch Trainercoaches, die euch nach einem erfolgreichen Kampf Belohnungen geben.
Kommen wir nun zum Mehrspielermodus. Neben einem lokalen Modus könnt ihr auch online gegen andere Spieler antreten oder mit ihnen Pokémon tauschen. Selten habe ich jedoch eine so schlechte Umsetzung erlebt. Ein normaler Mensch erwartet wohl, dass ihm in einer Liste angezeigt wird, welcher Freund online ist. Nicht so in Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli!. Stattdessen müsst ihr ein „Passwort“ in Form von drei Pokémon-Icons (ihr habt die Auswahl zwischen zehn Pokémon) erstellen. Hat bereits jemand anderes dieses Passwort erstellt, werdet ihr mit dieser Person verbunden, obwohl die Funktion sagt, dass ihr nur mit einem Freund spielen wollt. Selbst auf dem Nintendo DS war das damals besser umgesetzt. Es ist eine Schande, dass der Onlinemodus, der das erste Mal Geld kostet, so furchtbar umgesetzt wurde.
Weitere Neuheiten bieten die Spiele sonst nicht. Nach dem Bezwingen der Pokémon-Liga könnt ihr 153 Meistertrainer herausfordern, die sich auf ein Pokémon spezialisiert haben. Besiegt ihr sie, erhaltet ihr einen „Titel“. Auch Arenaleiter und die Top 4 lassen sich erneut mit einem stärkeren Team herausfordern. Die Azuria-Höhle wollen wir natürlich auch nicht vergessen. Ein wirklich umfangreiches Post-Game erwartet euch jedoch nicht.
Grafisch sehen Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli! gerade in Bewegung schön aus. Der Stil ist zwar schlicht, aber passt hervorragend zum Remake der ersten Spiele der Reihe. Wie schon in den Originalen gibt es aus welchen Gründen auch immer auch dieses Mal keinen Tag- und Nachtwechsel. Die Pokémon-Modelle sehen sehr schick aus, auch wenn ich mir wünschen würde, dass die Kampfanimationen mehr auf die Pokémon zugeschnitten werden würden. Selbst in Pokémon Stadium war das besser und auch dieser Titel hatte nur die erste Generation an Pokémon. Absolut perfekt sind hingegen die Remixes der klassischen Musikstücke von Pokémon Gelb. Gerade Fans der Originale dürften sich auf Wolke 7 befinden, wenn sie die Tracks von damals heute mit zeitgemäßer Technik hören. Die HD-Vibration ist in dem Spiel ebenfalls gut gelungen. Das Gleiche kann ich jedoch nicht über das Werfen des Pokéballs behaupten. Statt einer aktiven Bewegungskontrolle werft ihr erst den Ball und danach fliegt er auf das Pokémon zu.
Was mir noch nachträglich eingefallen ist: Pokémon: Let's Go, Pikachu/Evoli! haben einen Koop-Mehrspielermodus. So könnt ihr zusammen durch Kanto laufen und gemeinsam Pokémon fangen. Werft ihr beide gleichzeitig einen Ball, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Fang und es gibt zudem mehr Erfahrungs-Boni. Leider verbraucht ihr auch doppelt so viele Bälle. Ihr könnt auch gemeinsam gegen Trainer kämpfen. Das empfehle ich euch jedoch nicht, da ihr und euer Partner dann zwei Pokémon zeitgleich (das erste und zweite Pokémon in eurem Team) einsetzt, während der Gegner nur ein Taschenmonster auf dem Spielfeld hat. Damit sind die Kämpfe trivial. Dieser lokale Mehrspielermodus ist nicht wirklich gelungen, was wohl auch erklären dürfte, warum der letzte Absatz erst im letzten Moment vor Abgabe des Tests eingefügt wurde. Jetzt solltet ihr aber wirklich alles Notwendige wissen.
Unser Fazit
7
Spaßgarant