Review: Firewatch (2016)

Das bereits 2016 erschienene Firewatch hat im Verlauf seiner Release- und Portierungsgeschichte durch die Bank gutes Feedback bekommen. Für mich ist das Ganze nicht nur aufgrund der überschaubaren Länge interessant, sondern auch mit Blick auf meine nicht vorhandene Erfahrung im Walking Sim-Genre. Zeit das zu ändern - wir gehen rein.


Der Einstieg in die gut 6-stündige Erzählung gestaltet sich vorbildlich und fährt emotional dicke, aber dennoch glaubwürdige Geschütze auf:

Julia, die Frau des Hauptcharakters Henry, leidet an einer schnell fortschreitenden Form der Demenz, die das Leben der beiden zunehmend belastet und selbst alltägliche Verrichtungen zu kräftezehrenden Erlebnissen macht. Schon bald stellt sich daher die Frage, wie lange Julia in heimischer Pflege verbleiben kann und ob nicht eine spezialisierte Pflegeeinrichtung die bessere Option für alle Beteiligten wäre. Letztendlich entscheiden Julias Eltern, dass ihre Tochter am besten bei ihnen aufgehoben ist und halten das Paar durch Julias Umzug zunächst auf Abstand.


Firewatch ballert diese einführenden Storybeats fast beiläufig raus, wohl wissend, dass sich wahrscheinlich die wenigsten Spieler/innen mit schweren Erkrankungen und deren Konsequenzen beschäftigt haben. Mich persönlich hat das Ganze trotz der ein oder anderen Erfahrung und generellem Interesse an diesen Themen erst mal kalt erwischt - weil es so relatable ist: Es ist das ganz normale Leben zweier ganz normaler Menschen, das durch eine simple Diagnose vollkommen aus dem Ruder läuft und in dem wirklich alle Sicherheiten auf den Prüfstand gestellt und neu verhandelt werden müssen.

Wenn man sich auf diese Art von emotionalem Storytelling einlassen kann, drückt Firewatch traumwandlerisch genau die richtigen Knöpfe und lässt einen nach dem Intro erst mal an einem sehr dunklen Ort zurück.


Für Henry sieht das ähnlich aus: Um mit der Situation klarzukommen, meldet er sich als Freiwilliger bei der Feuerwache im Shoshone National Forest und arbeitet im Verlauf der Sommersaison als Brandmelder. Ausgangspunkt seiner Wanderungen ist dabei der Wachturm "Two Forks", der das Lebensnotwendigste bietet und Henry mit einem Funkgerät ausstattet - womit wir beim vielleicht prägendsten Aspekt dieses Indie-Hits sind: Firewatch bekommt - nur über dieses Walkie-Talkie! - eine dermaßen dichte, echt wirkende menschliche Interaktion mit einer Kollegin namens Delilah hin, dass die fast vollkommene Abwesenheit sicht- und ansprechbarer NPCs zu keiner Zeit ins Gewicht fällt.


Ich bin in den nächsten 6 Stunden folglich ein extrem einfacher Mensch: Wenn Delilah spricht, geht es mir trotz der teils unangenehmen Themen gut - ich mag ihre Stimme und die lakonische Art, mit der sie das Geschehen kommentiert. Wir machen unsichere Witze, wir fassen Vertrauen zueinander, wir vermitteln Verständnis, wir sind - um es mit einer englischen Phrase zu sagen - "in this together". Ich fühle mich relativ schnell sicher und im Rahmen meiner Möglichkeiten stark, denn sie ist das metaphorische Leuchtfeuer in einem mir unbekannten Land.


Wenn Delilah hingegen schweigt, spreche ich zu ihr. Über Dinge, die mir bei meinen Ausflügen auffallen. Über ganz banale Erkenntnisse zu Metallschaufeln. Über Gedanken, die mich nicht loslassen. Ich möchte, dass es Delilah gut geht und ich möchte ihr - trotz oder gerade wegen meiner eigenen Geworfenheit - das Gefühl vermitteln, dass Dinge wieder in Ordnung kommen können, wenn man nur aufrichtig an ihnen arbeitet. Weil es sich so anfühlt, als ob Henry und Delilah durch eine bisher unausgesprochene Lebenserfahrung miteinander verbunden sind, die niemand allein zu schultern vermag.


Und das ist für mein Empfinden dann auch die eine Sache, die diesen Walking Sim von anderen Vertretern des Subgenres unterscheiden könnte: Firewatch ist mechanisch keine sonderlich spannende oder raffinierte Angelegenheit, was trotz einiger schöner Panoramen und Lichtstimmungen auch für die grafische Umsetzung gilt. Es erzählt mit diesen einfachen Mitteln jedoch eine mehr als überzeugende Geschichte, wodurch spielerische Defizite in weiten Teilen aufgewogen werden. Ich will unbedingt wissen, was bei Delilah und Henry geht - und habe aufgrund der exzellenten Sprecher/innen ernsthafte FOMO vibes, wenn ich gerade wieder wie ein Horst auf die Karte schaue und deshalb nicht schnell genug zurück am Funkgerät bin. Das schaffen im Zeitalter ebenso langatmiger wie unnötiger Vollvertonung einfach mal verdammt wenige Spiele. Und dafür kann man diesen Trip durchaus lieben.


Status: finished (6,5h)

Wertung: #fcknlegends (Cissy Jones, Rich Sommer) #almostagamebutinagoodway (game)