Die Bestimmung – Teil 1
Selten gab es einen so schönen Tag wie diesen. Seit einiger Zeit war die Kälte des Winters aus den Knochen des Landes gewichen und hatte einem Frühling Platz gemacht, der prächtiger nicht hätte sein können. Ein ebener, erdiger Weg bahnte sich seinen Weg durch eine Graslandschaft, so weit, wie kein menschliches Auge zu sehen vermochte. Entlang des Weges reckten die Blumen ihre kleinen Köpfchen gierig der Sonne entgegen, sodass es wirkte, als würde jede von ihnen um einen hochgelegenen Platz kämpfen, um im Meer aus bunten Blüten nicht unterzugehen. Kein einziger Schatten trübte die fröhliche Landschaft, denn am Himmel befanden sich auch keine Wolken, die einen Schatten hätten werfen können. Lediglich das helle blau des wolkenlosen Weltendachs erstreckte sich scheinbar endlos über das weite Land der Hylianischen Steppe. Inmitten dieser Idylle lag ein junges Mädchen im Gras und strich sanft mit ihren Fingern durch die vielen, kleinen Halme. Ihr blondes Haar, das sie stets zu Zöpfen geflochten trug, fielen ihr über die Schulter. Sie genoss die warme Sonne auf ihrem Gesicht und hielt ihre Augen geschlossen um nicht geblendet zu werden. Ein vertrautes Gackern erklang hier und da, wenn eines der Hühner, die sie hütete, ein Korn fand und sich freudig darauf stürzte um es aufzupicken. Sie liebte diese Tiere, und sie liebte die Natur. Der Name des Mädchen war Linkle, und sie war sich sicher: besser könnte ein Tag einfach nicht sein!
Doch auf einmal wurde diese idyllische Szene gestört. Schlagartig verdunkelten Wolken den Himmel, sie verdeckten die Sonne und tauchten die Szenerie in unheimliche Schatten. Verwundert von dem plötzlichen Wetterumschwung öffnete Linkle ihre Augen. Es waren keine weißen Wolken, die da über den Himmel zogen, nein, die Wolken waren schwarz! Wie riesige Krähenschwärme und von stürmenden Winden begleitet überquerten sie den Himmel. Sie kamen von überall her, von der Schädelbucht, vom See der Zoras, sogar aus den Wäldern der Kokiri – und sie kamen direkt auf sie zu! Nervös richtete sie sich auf und versuchte, die Hühner zu beruhigen, welche ängstlich zu flattern begonnen hatten. „Was ist hier nur los?“, fragte sie sich selbst mit unsicherer Stimme obwohl sie wusste, dass ihr niemand antworten würde. Und trotzdem glaubte sie, eine Stimme im aufziehenden Sturm erkennen zu können, die ihr zu antworten schien. „...uch…in…“ Wenn sie es sich nicht nur einbildete und da tatsächlich jemand zu ihr sprach, so konnte sie die Worte nicht verstehen. Zu undeutlich waren die Wortfetzen.
Schließlich bemerkte sie die Schatten auf dem Boden. Zunächst dachte sie, es wären die Schatten der Wolken über ihr gewesen, doch sie musste schnell feststellen, dass sie sich viel zu flink und uneinheitlich bewegten. Und sie langsam einkreisten. Vor lauter Schreck sprang Linkle auf und spähte nach einer Lücke, doch es war bereits zu spät: die Schatten hatten sie eingeschlossen und formten sich langsam zu unförmigen Schattengestalten. Linkle wollte zurückweichen, irgendwie entkommen, doch egal, wohin sie auch sah, es schien keinen Ausweg zu geben. Panisch drehte sie sich im Kreis, bis sie erneut dieses Flüstern vernahm, das eindeutig aus der Richtung der Schattengestalten kam. „…such…ihn…“ Diesmal konnte sie es deutlich besser verstehen. Für einen Moment dachte sie nach und entschloss sich dann, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und den Schatten zu antworten. „Wen soll ich denn suchen?“, rief sie gegen den Sturm an und versuchte dabei, ihre Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen. Eine der Gestalten vor ihr bäumte sich auf und rote Augen begannen zu glühen. „Es steht ein Krieg bevor, schlimmer als ihn Hyrule je gesehen hat. Städte werden brennen. Völker werden sterben. Welten werden untergehen, wenn du ihn nicht findest. Such ihn!“, dröhnte es aus dem Schatten hervor. Linkle verstand zwar nicht, was das alles mit ihr zu tun hatte, doch sie verstand den Ernst der Lage. Und sie wusste, dass sie handeln musste, sie brauchte unbedingt eine Antwort auf diese Frage. „So sagt mir doch, wen ich suchen muss, um es zu verhindern!“, rief sie mit zusammengekniffenen Augen weil ihr der Wind so sehr ins Gesicht peitschte, „Wen soll ich suchen?“ Doch als hätte der Schatten sie gar nicht gehört, setzte er seinen Monolog fort, während er immer näher an das Mädchen heranrückte. „Der Held der Zeit kehrt wieder, mächtiger als je zuvor. Dennoch wird er nicht stark genug sein, um der Bedrohung die Stirn zu bieten. Geschlagen wird er, vernichtet, wenn du es nicht verhinderst. Und die Welt gleitet ins Dunkel… FINDE IHN!“
Schweißgebadet schreckte Linkle aus dem Schlaf auf und saß kerzengerade im Bett noch bevor sie wirklich bei sich war. Ihr Herz schlug schnell und unregelmäßig, so als wäre es kein Traum sondern Wirklichkeit gewesen. Erst als die ersten Sonnenstrahlen des Tages sie durch die Fensterläden hindurch an der Nase kitzelten, realisierte sie, dass sie noch immer in ihrer kleinen Hütte außerhalb der Stadt war. Es hätte eigentlich ein Tag wie jeder andere sein sollen. Doch nun, nach diesem Traum, fühlte sie eine tiefe Unruhe in ihrem Inneren, die sie nicht mehr loslassen wollte. Und so stand sie schnell auf, griff sich ihre Armbrüste, zog sich die Kapuze über den Kopf und verließ ohne Frühstück das Haus. Wohin sie ging? Das wusste sie nicht. Aber ihre Füße taten es.
Als Linkle schließlich die Stadt um das Schloss Hyrule erreicht hatte, stand sie zunächst recht ratlos vor dem großen Springbrunnen, der munter vor sich in plätscherte. Unschlüssig, wohin ihr Weg sie führen sollte, ließ sie ihren Blick über das Treiben auf dem Markplatz schweifen – und sah sie. In einer dunklen Gasse, die die Menschen zu meiden pflegten, stand eine buckelige Gestalt mit einem Kapuzenumhang und starrte sie stumm an. Das Gesicht lag im Schatten und war nicht zu sehen, doch Linkle war sich sicher, dass sie beobachtet wurde. „Wer zur Hölle..?“, fragte sich Linkle und runzelte die Stirn angesichts dieser unheimlichen Begegnung. Als hätte die Gestalt ihre Gedanken gelesen, hob sie den Kopf ein wenig, bevor sie sich umdrehte und langsam in der dunklen Gasse verschwand. „Warte... du entkommst mir nicht!“, dachte das Mädchen entschlossen, schloss ihre Hand noch etwas fester um ihre Armbrust und begann, sich durch die Menschenmassen zu drängen. Sie musste mit dieser Person sprechen, das wusste sie einfach! Und so folgte Linkle der unheimlichen Person, die zielstrebig und dennoch langsam genug durch die dunklen Gassen streifte, sodass Linkle sie nicht aus den Augen verlor. Nach einigen Minuten, in denen das Mädchen schon daran zu zweifeln begann, ob diese Verfolgungsjagd wirklich so klug war, erreichte die gebeugte Gestalt schließlich ein winziges Häuschen mit einem schäbigen, verwitterten Türschild. ‚GESCHLOSSEN‘ stand darauf. Eine alte, knochige Hand schob sich unter dem langen Umhang hervor und umfasste den Türgriff, bevor sie die Tür vorsichtig aufdrückte. „Folge mir, Kind.“, sagte die fremde Person, und Linkle erkannte, dass es sich um eine Frau handelte. „Was ist das für ein Ort?“, fragte Linkle nervös und folgte der Frau zögerlich in das Gebäude. Irritiert sah sie sich in diesem kleinen Häuschen um. Darin war nichts. Nun, zumindest nichts, was erwähnenswert gewesen wäre, außer einer großen, steinernen Tür mit einer kreisrunden Vertiefung. „Es ist höchste Zeit, dass du endlich hier auftauchst.“, sagte die Alte mit rauer Stimme, „Ich dachte schon, es wäre zu spät.“ Sie griff in ihren Umhang, holte etwas heraus, das wie ein rundes Schmuckstück aussah, und drückte es in der Vertiefung der Steintür. Sofort begann das Zimmer zu beben und unter Ächzen und Knirschen öffnete sich die Tür. Linkle hielt sich eine Hand vor das Gesicht um sich vor dem Staub zu schützen, der in kleinen Schwaden aufstieg. Nachdem die Tür sich geöffnet hatte, nahm die alte Frau das Schmuckstück wieder auf der Vertiefung und überreichte es Linkle.
Verdutzt nahm sie das runde Etwas entgegen. Es sah aus wie ein Kompass, doch die kleine Nadel unter dem Glas begann sich wie wild zu drehen, sobald Linkle ihn in die Hand nahm. „Was soll ich denn damit? Ich habe einen eigenen Kompass, und außerdem ist dieser hier kaputt. Er zeigt nicht einmal nach Norden!“, sagte sie schnippisch und wollte den Kompass schon an seine Besitzerin zurück geben. Doch die Alte sah sie nur an und machte keine Anstalten, das Gerät zurück zu nehmen. „Kind… bist du denn wirklich so blind? Kamst du hier her, um den Norden zu finden, oder um deinem Schicksal ins Auge zu blicken?“ Linkle blinzelte. Sie verstand nicht. „Mein… Schicksal..?“, fragte sie zögernd und blickte erneut auf den Kompass in ihrer Hand. Die Nadel, die sich zuvor wie wild und ohne Ziel gedreht hatte, zitterte und richtete sich schließlich aus – und sie zeigte genau in den Raum, der sich soeben vor ihnen eröffnet hatte. „Du kannst dich nicht erinnern, nicht wahr?“, fragte die Alte und klang dabei fast etwas traurig, „Du weißt nicht, woher du kommst. Du weißt nicht, wie du hier in Hyrule gelandet bist. Und du hast auch nie einen Sinn in deinem Leben sehen können, keine Bestimmung und keinen Weg, auf dem du deine Schritte lenken konntest. Erinnerst du dich an deinen Traum?“ Für einen Moment musste Linkle nachdenken, doch dann wusste sie, was die Frau ihr sagen wollte. „Ja…“, sagte sie langsam, „Die Schatten… sie sagten mir, ich solle ‚ihn‘ suchen…“ Dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag. „Moment… wart Ihr der Schatten?! Habt Ihr mich im Traum aufgesucht?“ Die alte Frau nickte lächelnd und deutete anschließend auf den Kompass, der inzwischen ganz ruhig und eindeutig ausgerichtet war. „Du HAST ihn gefunden. Nun folge ihm, und du wirst deinem Schicksal begegnen.“